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Was ist der „Weltkirchenrat“?

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Am 12. August ist der im Sommer 1968 neukonstituierte Zentralausschuß des ökumenischen Rates der Kirchen in Canterbury zum erstenmal zusammengetreten. Dieses Ereignis lenkt die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit für einige Zeit auf den ökumenischen Rat der Kirchen, der gewöhnlich Weltkirchenrat genannt wird. Die Bedeutung der Tagung kann nur der richtig einschätzen, der nicht allein Wesen und Zweck dieser großen Organisation kennt, sondern auch die Wandlungen, die sich seit ihrer Entstehung vollzogen haben.

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Am 12. August ist der im Sommer 1968 neukonstituierte Zentralausschuß des ökumenischen Rates der Kirchen in Canterbury zum erstenmal zusammengetreten. Dieses Ereignis lenkt die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit für einige Zeit auf den ökumenischen Rat der Kirchen, der gewöhnlich Weltkirchenrat genannt wird. Die Bedeutung der Tagung kann nur der richtig einschätzen, der nicht allein Wesen und Zweck dieser großen Organisation kennt, sondern auch die Wandlungen, die sich seit ihrer Entstehung vollzogen haben.

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Der ökumenische Rat der Kirchen wurde nach jahrzehntelangen Vorarbeiten 1948 in Amsterdam gegründet. Er ist ein Zusammenschluß von Kirchen mit dem Ziel, die Wiederherstellung der Einheit der Kirche •Christi kräftig zu fördern. Der in Amsterdam beschlossenen Verfassung zufolge kommt der Generalversammlung die höchste Autorität im Rate zu. Inzwischen haben nach der Gründungsversammlung drei weitere Vollversammlungen stattgefunden: 1954 in Evanston, USA; 1961 in Neu-Delhi, Indien, und 1968 in Uppsala, Schweden. In der Vollversammlung sind alle Mitgliedskirchen durch Delegierte vertreten. Die Vollversammlung legt diecWtfflnWnfür die Arbeff irl'-en'“ jew*'nacre'iJrenit*e eteti Kommissionen ein und wählt die Präsidenten des Rates sowie einen Zentralausschuß, dem zwischen den einzelnen Generalversammlungen die Leitungsaufgabe und Entschei-dungssewalt zukommt. Der Zentralausschuß tritt jährlich einmal zu einer Session zusammen; er ist zugleich der Budgetausschuß des Rates; er setzt sein eigenes Exekutivkomitee ein, das halbjährig tagt. Ursw-ürwrlich umfaßte der Zentralausschuß 90 Mitglieder; jetzt sind es 120. Viele bekannte protestantische Kirchenführer gehören oder gehörten dem Zentralausschuß an: so zählte auch der inzwischen in den Ruhestand getretene Bischof der Evangelischen Kirche in Österreich. Dr. Gerhard May, in den Jahren 1954 bis 1961 zu seinen Mitgliedern. Jede Kirche, die ihr volles Einverständnis mit der ..Basis“ des ökumenischen Rates erklärt, kann ihm beitreten. Die Baste lautete ursprünglich: „Der ökumenische Rat Ist eine Gemeinschaft von Kirchen, die unsern Herrn Jesus Christus als Gott und Heiland anerkennen.“ Jahre hindurch wurde Kritik geübt, daß diese grundsätzliche Feststellung doch zu wenig Bestimmtes aussage.

Die neue n!s

In Anbetracht der Fülle und Verschiedenartigkeit der Traditionen, Lehren und Kulturen ist leicht einzusehen, daß eine Neuformulierung sich überaus schwierig gestaltete. Doch die Bestrebungen führten zum Erfolg. Auf der Weltkirchenkorafe-renz in Neu-Delhi wurde die Neufassung der Basis beschlossen, die seither folgenden Worfflaut hat: „Der ökumenische Rat ist eine Gemeinschaft von Kirchen, die den Herrn Jesus Christus gemäß der Heiligen Schrift als Gott und Heiland bekennen und darum gemeinsam zu erfüllen trachten, wozu sie berufen sind, zut Ehre Gottes, des Vaters, des Sohnes und des Helligen Geistes.“ Diese Grundsatzerklärung beweist nicht nur, daß schon 1961 ein hoher Grad an Gemeinsamkeit unter den Kirchen erreicht war. sie kennzeichnet außerdem die Zielrichtung ökumenischer Aktivität.

Ebenfalls in Neu-Delhi wurde die Verschmelzung des ökumenischen Rates der Kirchen mit dem Internationalen Missionsrat beschlossen. Man versprach sich davon eine Straffung und Vereinheitlichung der Ver-kündiigungsarbeit in der weiten Welt und wallte zugleich zum Ausdruck bringen, daß Kirche und Mission voneinander nicht zu trennen sind.

Beitritt der Ostkirchen

Während zu Anfang die Zahl der protestantischen und anglikanischen Kirchen im Weltkirchenrat bei weitem Oberwog, und unter diesen das angelsächsische Element bestimmend war, änderte sich das Bild 1961.; Damals vollzog sich die, Eingliederung der russisch-orthodoxen Kirche' in den Ölcümentscnen Rat.'Sie erregte nicht geringes Aufsehen. Wohl hatten sich einige kleinere orthodoxe Kirchen von Anfang an der ökumenischen Arbeit nicht femgehalten, so das ökumenische Patriarchat von Konstawtinopel; aber der Einzug der Russen, denen so gut wie alle dem Rat noch nicht angehörenden Kirchen aus dem Ostblock folgten, bildete einen Markstein der Entwicklung. Natürlich fehlte es nicht an Stimmen, die vor einer unheilvollen kommunistischen Einflußnahme auf die ökumenische Bewegung warnten und meinten. besonders die Einwirkung des ökumenischen Rates auf die internationale Politik werde in Zukunft unter einem Unstern stehen. Heute aber, nach Ablauf so vieler Jahre, kann festgestellt werden, daß der Weltkirchenrat keineswegs in Abhängigkeit vom Osten geraten ist. Vielmehr hat die Mitarbeit der Ostkirchen der ökumenischen Arbeit trotz einiger Schwierigkeiten mehr Weite und Allgeimeingültigkeit verliehen. Die Zahl der Mitgliedskirchen war bisher ständig im Steigen begriffen, obwohl laufend Zusammenschlüsse kleinerer Kirchen stattfinden, die dann nur noch als eine Kirche gezählt werden.

Dem ökumenischen Rat gehörten an: 1948 — 147 Kirchen. 1954 — 160 Kirchen, 1961 — 181 Kirchen und 1968 sogar 235 Kirchen, die für ungefähr 350,000.000 Gläubige sprechen.

Der Generalsekretär

Eine besondere Stellung nimmt der Generalsekretär ein. Er wird vom Zentralausschuß gewählt. Seine Aufgabe besteht laut Verfassung darin, mit seinem Stabe die Beschlüsse der Vollversammlung, des Zentralausschusses und des Exekutivkomitees auszuführen. Welche Rolle er aber tatsächlich spielt, hängt ganz von seinen Fähigkeiten und von seiner Persönlichkeit ab.

In den ersten zwei Jahrzehnten seines Bestehens hatte der ökumenische Rat in dem Holländer Dr. Willem A. Visser't Hooft einen Generalsekretär von wahrhaft großem Format. Er verfügt nicht allein über die Gabe, jedes noch so heikle Problem

mit scharfem Geist zu durchdringen; er vermag vor allem jeden Gedanken — die Meinungen anderer ebensogut wie seine eigenen Ideen — mit nicht zu überbietender Prägnanz zu formulieren. Dadurch wird das außergewöhnlich hohe Niveau und die Bedeutung seiner Reden und Aufsätze miiitbestimmt, die immer wieder als wegweisend angesehen werden. Rechnet man zu alledem noch die gewinnende persönliche Art dieses verdienten Mannes hinzu, so leuchtet ein, daß der Nachfolger es nicht leicht hat...

Der jetzt 69jährige Visser*t Hooft trägt nunmehr den Titel eines Ehrenpräsidenten auf Lebenszeit und arbeitet weiter in der Gemfer Zentrale, wattäfi£'aJi& testete •verant-VortumgsVoWnAmt at> wrffläea Schultern des 63jährigen Amerikaners Dr. Eugene Carson Blake ruht. Der neue Generalsekretär setzt sich mit besonderer Kraft für internationale und rassische Gerechtigkeit und für den wirtschaftlichen Fortschritt der zuiüctegebliebenen Nationen ein. Eine gewisse Parallele zu Papst Paul VT. ist nicht zu übersehen, doch kopiert Blake ihn nicht, sondern es ist die neue Zeit die die kirchlichen •Führer in diese Richtung drängt.

Vollversammlung in Uppsala Das zeigte sich deutlich auf der letzten Vollversammlunig im Sommer 1968 in Uppsala. Die verschiedensten Gruppen, nicht zuletzt Repräsentanten einer ungezügelten Jugend, erhoben in umüberhörbarer Weise die Forderung, die Kirchen sollten In Zukunft weniger reden, dafür viel mehr handeln.

Nicht daß es die verbundenen Kirchen bis dahin an praktischer Hilfeleistung hätten fehlen lassen. Nüchterne Zahlen über die geleistete Flüchtlings-, Katastrophen- und Entwicklungshilfe müßten eigentlich jede Kritik zum Verstummen bringen. Daß dennoch ein noch viel stärkeres Engagement der Kirchen in allen die Welt bewegenden Fragen gefordert wurde, war symptomatisch. Visser't Hooft charakterisierte die Situation mW der Feststellung, die Ökumenische Bewegung sei an einem paradoxen Punkt ihrer Entwicklung angelaragt: Einer erstaunlieh reichen Ernte — ein deutlicher Hinwels auf die inzwischen zustande gekommene Zusammenarbeit mit der römisch-katholischen Kirche! — stehe eine wachsende Skepsis und Enttäuschung gegenüber. Während einerseits der Traum Nathan Söderbloms, des berühmten Pioniers der ökumenischen Frühzeit, in Erfüllung zu gehen verspreche, der Traum, daß alle Kirchen gemeinsam zu den Weltproblemen Stellung nehmen, werde die Relevanz der ökumenischen Bewegung mehr als je angezweifelt. Dieses Phänomen erklärte Visser't Hooft durch das gegenseitige Verhältnis von Kirche und Welt. „Immer wieder können wir hören“, sagte er, „daß die Welt eine radikale Erneuerung braucht. Wie aber können die

Kirchen überzeugend von radikaler Erneuerung sprechen, wenn sie selbst nicht radikal erneuert sind? — Die Welt braucht eine durchgreifende Änderung ihrer traditionellen Strukturen; aber zeigen denn nicht gerade die Kirchen, daß sich die traditionellen Strukturen einer solchen Verwandlung widersetzen? — Diese Welt braucht eine wirkliche Einheit. Ist aber die Verbindung der Kirchen in der ökumenischen Bewegung mehr als ein blasser Abelanz der Einheit, die sie haben sollten?“ (Wortlaut: ökumen. Pressedienst, Genf).

Um diese Schwierigkeiten zu meistern, fordert Visser't Hooft ein neues Verständnis der Menschheit, die Wiederentdeckung der klaren biblischen Lehre von der Einheit der Menschheit in Theologie, Unterricht und Predigt.

Der neue Generalsekretär Blake aber scheute sich nicht, die Vollversammlung als „weltweite Vertretung des kirchlichen Establishments“ zu apostrophieren: er rief ihr zu. sie solle ■ aus der Routine dieses Establishments ausbrechen und sich zu echte* Erneuerung durchringen.

Aktuelle Arbeit

Die Beschlüsse der 4. Vollversammlung des ökumenischen Rates der Kirchen weisen denn auch in solche Richtungen. Es ist unmöglich, die Vielfältigkeit der Themen und Gedanken, die in den Resolutionen zum Ausdruck kommt, kurz aufzuzeigen. Da wird das Ziel eines „wirklich universalen Konzils, das wieder für alle Christen sprechen kann“, gemalt; da werden unter dem Titel „Erneuerung in der Mission“ neue Strukturen in der Mission überall, auch In den säkularisierten Industrienationen, gefordert; im Hinblick auf die wirtschaftliche und soziale Weltenit-wicklung werden, dem Druck vorangegangener Konferenzen nachgebend, äußerste Anstrengungen verlangt, um durch radikale Veränderungen der Institutionen Mangel und Elend auszurotten — man spürt hier die Nähe zur Enzyklika „Populorum progressio“; selbstverständlich fehlt es nicht an dem Postulat des stärksten Engagements zur Sicherung des Weltfriedens und zur Lösung der internationalen Krisen sowie zur Liquidierung jeder rassischen Diskriminierung; die Inangriffnahme einer umfassenden Studie des Humanums wird beschlossen; im innerkirchlichen Bereich wird auf die Erarbeitung neuer Formen des Gottesdienstes gedrungen, die dazu dienen sollen, die Solidarität der Kirche mit der Welt sichtbar zu machen; ein Nahziel wird gesteckt: die gegenseitige Anerkennung der Taufe in allen Kirchen; schließlich wird besonderes Gewicht darauf gelegt, daß bei der Herausbildung neuer Lebensstile die Leiden anderer Menschen nie aus den Augen verloren werden und daß an der Grundlage der Verheißungen Gottes tn jedem Falle festzuhalten tet, damit das Leben seines tiefsten Sinnes nicht entleert werde.

Diese Aufzählung ist weit davon entfernt, vollständig zu sein. Sie vermag kaum zu skizzieren, welche Fülle von Impulsen von dieser Generalversammlung ausgegangen ist, die die Mitgliedskirchen verarbeiten müssen und mit denen sich natürlich jetzt

auch der Zentralausschuß auseinanderzusetzen hat.

Canterbury

Der Präsident des Zentralausschusses, der Inder Madathilparampil Mammen Thomas, der die erste Sitzung in Canterbury eröffnete, legte die Tagesordnung mit folgenden Punkten vor:

Die Entgegennahme des Berichtes über die vorläufigen Arbeitsergebnisse des kürzlich eingesetzten Strukturausschusses, der die Struktur und Arbeitsweise des ökumenischen Rates der Kirchen sorgfältig überprüft.

Eine Diskussion über die Resultate der vom Weltkirchenrat im Mai dieses Jahres in London veranstalteten Tagung über Rassenprobleme, zu der man bewußt auch sehr radikale Vertreter — zum Beispiel aus den Reihen der Black-Power-Bewegung — eingeladen hatte.

Ein Bericht des Generalsekretärs über seine Eindrücke von den Spannungen im Nahen Osten; er hat vor wehigen Monaten eine Reise in jenes Krisengebiet unternommen.

Vorschläge über die zukünftige Haltung des ökumenischen Rates im Nteeria-Blafra-Konflikt; der Weltkirchenrat hat bisher den Notleidenden auf beiden Seiten Hilfe geleistet und im übrigen Neutralität gewahrt, wie es die Rücksicht auf seine Mit-glied'kirchen in beiden Lagern gebot. Ein Referat über die Mai-Tagung der Gwieinsamen Arbeitsgruppe des ökumenischen Rates der Kirchen und der römisch-katholischen Kirche; diese Arbeitsgruppe Ist durch den Geist und den Verlauf des 2. Vatika-'schen Konzils ermöglicht und im Frtihllng 1965 gebildet worden; da ihre personelle Zusammensetzung auf sehr hoher Ebene gehalten ist, läßt sich schließen, daß ihr von beiden Seiten große Bedeutung beigemessen wird; sie hat bereits 9 erfolgreiche Taaungen abgehalten; bei der letzten Zusammenkunft im Mai snrach man. allerdings unverbindlich, über eine eventuelle Mitgliedschaft der römisch-katholischen Kirche im ökumenischen Rat; aus dem Munde des Papstes konnte man anläßlich seines Besuches in Genf zur Klarstellung der Lage jedoch hören, daß diese Frage vorläufig noch „Im Bereich der Hypothese“ bleiben müsse.

Die ganze Welt ist in Bewegung. Grundlegende Umwandlungen sind im Gange. Die christl'chen Gemeinschaften, die ihre Verantwortung dieser fortschreitenden Welt gegenüber spüren, befinden sich selber im Zustand einer starken, drängenden Unruhe. Was schon innerhalb der katholischen Kirche schwielig ist, das ist in der breit gestreuten, universalen Ökumene erst recht besonders schwer, nämlich das Lenken und Steuern der zahlreichen, verschiedenen Strömungen.

Mögen diese im einzelnen an sich alle gut motiviert sein, sie bedürfen der Koordinierung und Verklammerung sowie der Legitimierung durch einen sinnvollen Bezug auf einen heiligen Zweck. Die Tagung des Zentralausschusses wird dann erfolgreich sein, wenn sie einen Schritt auf diesem Wege bedeutet

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