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Befreiung ist der neue Name für Frieden

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„Entwicklungist der neue Name für Frieden.“ Dieses Wort hatte der verstorbene Präsident der Lateinamerikanischen Bischofskonferenz, Larrain, geprägt, und Kardinal Feitin hat es auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil verwendet. Paul VI. hat es in seine Enzyklika „Populorum progressio“ übernommen. Auf einer Beratung, die Sodepax kürzlich (3. bis 9. April 1970) in Baden bei Wien abhielt, konnte man eine nachdrücklich betonte Umformung hören: „Befreiung ist der neue Name für Frieden.“ Entwicklungshilfe dagegen wurde verdächtigt, nur eine Art Neokolonialismus zu sein.

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„Entwicklungist der neue Name für Frieden.“ Dieses Wort hatte der verstorbene Präsident der Lateinamerikanischen Bischofskonferenz, Larrain, geprägt, und Kardinal Feitin hat es auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil verwendet. Paul VI. hat es in seine Enzyklika „Populorum progressio“ übernommen. Auf einer Beratung, die Sodepax kürzlich (3. bis 9. April 1970) in Baden bei Wien abhielt, konnte man eine nachdrücklich betonte Umformung hören: „Befreiung ist der neue Name für Frieden.“ Entwicklungshilfe dagegen wurde verdächtigt, nur eine Art Neokolonialismus zu sein.

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Wer oder was ist SODEPAX? Die protestantischen Kirchen haben im Weltrat der Kirchen (mit dem Sitz in Genf) eine Verbindung gefunden; später sind die orthodoxen Kirchen zu ihnen gestoßen. Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil hat auch die katholische Kirche zum Weltrat der Kirchen Beziehungen aufgenommen, die ihren Höhepunkt im vorjährigen Genfer Besuch des Papstes erreichten. Im Jahre 1968 wurde erstmals eine gemeinsame Einrichtung der katholischen Kirche (näherhin der Päpstlichen Kommission „Iustitia et pax“) und des Weltrates der Kirchen geschaffen: ein Komitee für Fragen der Gesellschaft (Society), der Entwicklung (Development) und des Friedens (Peace, lat. Pax), eben SODEPAX mit einem Sekretariat in Genf. Es ist nicht in erster Linie auf den Ökumenismus ausgerichtet, sondern auf den christlichen Dienst an der Menschheitsfamilie in ihrem Kampf gegen Not und Krieg; es will die Kirchen im Bemühen um den Aufbau einer besseren Welt und einer menschlicheren Gesellschaft unterstützen. Schon im April 1968 hat SODEPAX in Beirut über die Weltzusammenarbeit in der Entwicklung beraten und im Mai 1969 darüber eine Nachberatung in Montreal gehalten. Diesmal versammelte es etwa sechzig Leute in Baden zu einer Studientagung über christliche Friedensarbeit. Zu den Teilnehmern, die aus allen Erdteilen kamen und verschiedenen christlichen Gemeinschaften angehören, zählten etwa Frau Dr. Klompe, Kulturminister der Niederlande, der katholische Erz-bischof von New Delhi, Fernandes, der katholische Bischof Paul Tep-Im Sotha aus Kambodscha, der rumänische Metropolit Corneanu. Die Bedeutung der Tagung, die unter dem Vorsitz von General Simatupang (Indonesien) stand, wurde durch die Ansprachen von Kardinal König und Dr. Blake, Generalsekretär des Weltrates der Kirchen und des evangelischen Landesbischofs Sakrausky unterstrichen.

Aus der Fülle von Problemen, die auf der Tagung zunächst in grundlegenden Referaten, dann in vier Arbeitskreisen und wieder in Vollsitzungen behandelt wurden, kann hier natürlich nur wenig berichtet werden. Der Arbeitskreis I etwa kam zur Einsicht, daß es unter heutigen Umständen nicht sehr sinnvoll sei,allgemein und abstrakt vom Frieden zu reden. Um etwas Bedeutsames sagen zu können, müsse man vielmehr das Problem und die Aufgabe des Friedens jeweils unter konkreten Gegebenheiten angehen. Der Arbeitskreis wählte daher für seine Überlegungen drei repräsentative Situationen aus, nämlich die Situation der nuklearen Bedrohung, die Situation der entwicklungsbedürftigen Länder und die Situation der Länder, deren Bevölkerung unter ungerechten Strukturen leidet.

Angesichts der nuklearen Bedrohung wurde wiederholt die Frage aufgeworfen, ob man jetzt noch jene Kriterien gelten lassen könne, die in der Vergangenheit für den „gerechten Krieg“ ausgearbeitet wurden. Daß die Kriterien heute neu durchdacht werden müssen, war allen klar. Über die Frage, ob man sich heute mit Gewalt gegen einen ungerechten Angriff verteidigen dürfe, waren die Meinungen geteilt. Alexis S. Bouevsky, Sekretär der Abteilung für die Beziehungen zu den anderen Kirchen im Moskauer Patriarchat, vertrat in der Vollversammlung entschieden die Auffassung, die russisch-orthodoxe Kirche hätte das Recht, einem unterdrückten Volk ihren Segen zu einem Befreiungskrieg zu geben, und nannte als Beispiel den Kampf gegen Hitler im zweiten Weltkrieg. Gerade angesichts der nuklearen Bedrohung stellt sich die Frage der Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen in besonderer Gestalt: Die Studientagung war der Meinung, daß das Recht der Verweigerung nicht nur jenen zugestanden werden soll,die grundsätzlich gegen jede Gewaltanwendung eingestellt sind, sondern auch denen, die den Atomkrieg ablehnen oder meinen, die Teilnahme an bestimmten anderen Kriegen nicht verantworten zu können. Sehr deutlich hat sich gezeigt, daß man mit der Fixierung auf diese Frage leicht in eine Sackgasse geraten kann. Es ist nicht genug, sich mit dem Symptom des Krieges zu befassen. Man muß vielmehr seinen Ursachen nachgehen und sie zu beheben trachten. Zu den Grundursachen zählen zweifellos die vorhandenen Nöte und Ungerechtigkeiten.

Besonders aus der Sicht der asiatischen Länder ergibt sich, daß echte Friedensarbeit im wesentlichen durch das Bemühen um Behebung der Not und der Ungerechtigkeit geleistet werden muß. Der Entwicklungshilfe wird ihre Bedeutung zuerkannt, freilich so, daß mit dem Wachstum der Wirtschaft zusammen soziale Gerechtigkeit und Eigenständigkeit der Völker verwirklicht werden. Wenn es daran fehlt, wird die Hilfe als Neokolonialismus empfunden. Im Lauf der Gespräche hat sich wiederholt gezeigt, daß in der Wahl der Ausdrücke höchste Vorsicht geboten ist; Leute aus „Entwicklungsländern“ haben zum Beispiel darauf hingewiesen, daß man ihre Länder nicht so nennen sollte, weil sonst der Eindruck erweckt werden könnte, die Entwicklung sei dort schon voll im Gang; gerade daran fehle es aber. Eine Schwierigkeit kam zum Vorschein: Christen in entwickelten Ländern, die bereit sind, Projekte in solchen Ländern zu finanzieren, die entwickelt werden sollen, sehen sich vor die Frage gestellt ob sie diese Hilfe einem Land geben sollen, in dem eine dünne herrschende Schicht die Massen unterdrückt. Wenn sie es tun, geraten sie in den Verdacht, die Unterdrückung zu unterstützen; wenn sie es nicht tun, erwecken sie den Eindruck, das Elend in diesem Land sei ihnen gleichgültig. Auf welchem Weg sollen sie die Hilfe gewähren, um nicht des Neokolonialismus verdächtigt zu werden? Die Studientagung wußte darauf keine befriedigende Auskunft zu geben, sondern konnte nur zu weiteren Überlegungen anregen. In lateinamerikanischen und südafrikanischen Ländern nimmt das Bemühen um den Frieden vor allem das Gesicht des Kampfes um Befreiung unterdrückter Massen und Rassen an. Vertreter dieser Länder waren es, die beim Versagen friedlicher Lösungsversuche auch dem gewaltsamen Befreiungskampf das Wort redeten. Auf die eine oder die andere Art müssen die Unterdrückten befreit werden, nur so können Unterdrücker und Unterdrückte miteinander zum Frieden kommen; nur der Aufbau einer neuen Sozialordnung ermöglicht den Frieden. „Befreiung ist der neue Name für Frieden.“

Die Teilnehmer der Studientagung waren einhellig der Überzeugung, die das Zweite Vatikanische Konzil in aller Klarheit ausgesprochen hat, daß echter Friede nicht schon mit dem Nichtkriegführen gegeben ist, sondern erst mit einer Ordnung der Gerechtigkeit und der Solidarität der Menschheit, daß also das Friedensbemühen auf eine solche Ordnung gerichtet werden muß. SODEPAX organisiert und leitet selbst nicht Entwicklungsprogramme, Abrüstungskonferenzen oder Friedensverhandlungen. Was soll also mit den gewonnenen Erkenntnissen geschehen? SODEPAX legt sie den Kirchen vor, die in entsprechender Weise weniger die Regierungen als die öffentliche Meinung beeinflussen sollen. Es ist zu hoffen, daß es dann auch zu den notwendigen politischen Schritten auf die Sicherung eines echten Friedens hin kommt.

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