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Auch nach Helsinki im Osten nichts Neues

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Kardinal König gab dem ORF für die Hörfunksendung „Drüben” ein Interview über die Lage der Katholiken im Osten. Die von der ORF-Pressestelle an die APA ausgesandte Kurzfassung wurde, nochmals verkürzt, an die Zeitungen ausgegeben, dort in Eigenregie verarbeitet - und als dann Italiens KP-Organ „Unitä” den Kardinal kritisierte, hatte der Boulevard wieder seine Sensation. Was hat nun der Kardinal tatsächlich gesagt? Dies ist dem hier wiedergegebenen, nur unwesentlich redigierten Wortlaut zu entnehmen.

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Kardinal König gab dem ORF für die Hörfunksendung „Drüben” ein Interview über die Lage der Katholiken im Osten. Die von der ORF-Pressestelle an die APA ausgesandte Kurzfassung wurde, nochmals verkürzt, an die Zeitungen ausgegeben, dort in Eigenregie verarbeitet - und als dann Italiens KP-Organ „Unitä” den Kardinal kritisierte, hatte der Boulevard wieder seine Sensation. Was hat nun der Kardinal tatsächlich gesagt? Dies ist dem hier wiedergegebenen, nur unwesentlich redigierten Wortlaut zu entnehmen.

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ORF: Man hat oft den Eindruck, daß zwischen dem Vatikan und den Staaten des Ostblocks eine gewisse Normalisierung eingetreten ist. Erst jetzt wieder ist ein Abgesandter des Vatikans nach Rumänien gereist. 1st es für den Christen im Ostblock nach Helsinki leichter geworden? Haben es die Gläubigen im Ostblock jetzt besser?

KARDINAL: Die Frage ist nicht ganz leicht zu beantworten. Von seiten der Regierungen ist bis jetzt kaum etwas festzustellen, daß sich grundsätzlich etwas in ihrer Einstellung zur Frage der Religion geändert hätte. Seitens der Gläubigen ist aber insofern eine Verbesserung eingetreten, als sie sich jetzt auf die Dokumente von Helsinki berufen können, wenn es also in einem Passus von Helsinki heißt: „Die Teilnehmerstaaten werden die Menschenrechte und Grundfreiheiten, einschließlich der Gedanken-, Gewissens-, Religions- oder Uberzeugungsfreiheit für alle ohne Unterschied der Rasse, des Geschlechtes, der Sprache oder der Religion achten. Sie werden die wirksame Ausübung der zivilen, politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen sowie der anderen Rechte und Freiheiten, die sich alle aus der dem Menschen umwohnenden Würde ergeben, für seine freie und volle Entfaltung wesentlich sind, fördern und ermutigen.” Das heißt, die Gläubigen - ganz gleich, zu welcher Religion sie gehören - haben jetzt die Möglichkeit, ihrer Regierung, ihren Vorgesetzten Stellen gegenüber, auf diesen Passus - der auch von den sozialistischen und kommunistischen Staaten unterzeichnet wurde - hinzuweisen und Rechte für sich abzuleiten. Das heißt praktisch eine Gleichstellung des religiösen Bekenntnisses mit dem offiziellen, vom Staate protegierten Atheismus.

Im Geist des Sozialismus

ORF: Das ist die Theorie. Wie sieht aber die Praxis aus? Denken wir an unsere Nachbarstaaten, an Ungarn, an Polen. Ist dort die Kirchenpolitik liberaler geworden?

KARDINAL: Bis jetzt ist von solchen Folgerungen zugunsten der Gläubigen in Ungarn .nichts zu merken, zumindest sind mir keine echten Änderungen bekanntgeworden. Es ist sicher ein spektakuläres Ereignis gewesen, daß der Parteichef - bis jetzt waren es immer staatliche Vertreter, die den Vatikan aufsuchten - den Vatikan aufgesucht hat, aber ob das Änderungen mit sich bringt zugunsten der religiösen Bekenntnisse, ist abzuwarten. Bis jetzt ist mir nichts bekanntgeworden in dieser Hinsicht, im Gegenteil, ich weise auf folgendes Dokument, das aus dem Vorjahr stammt, hin. Man kann sich schwer vorstellen, daß innerhalb von Wochen und Monaten solche Grundsatzerklärungen einfach umgestülpt oder umgekehrt werden können. Ich nehme hier als Beispiel eine Erklärung des Generalsekretärs der Vaterländischen Front, Dr. Istvan Sarlos, vom 24. August des Vorjahrs, wo er über das Erziehungsziel aller Schulen in Ungarn gesprochen hat. Es heißt: „Im den Sozialismus aufbauenden Ungarn werden in allen Schulen die Kinder im Geiste des Sozialismus erzogen. Im gleichen Geiste muß man in allen Schulen auch die Kinder der religiösen Eltern erziehen.” So lautet der Text. Dazu ist zu sagen: „Im Geiste des Sozialismus erziehen” heißt, auch im Geiste des Atheismus erziehen, denn in allen diesen Ländern ist der Atheismus ein notwendiger Bestandteil der Erziehung, der Staatsräson, der politischen Führung, der allgemeinen Volksbildung. Wenn also vom Erziehen im Geiste des Sozialismus gesprochen wird, dann ist das ganz automatisch auch eine Erziehung im Geiste des Atheismus.

ORF: Trotz des Besuches von Parteichef Kadar keine Änderungen in Ungarn. Wie sieht es aber in Polen aus? Polen ist ein zutiefst katholisches Land, immer noch. Man sagt immer, die polnischen Katholiken seien militante Katholiken. Haben sie etwas erreicht?

KARDINAL: Ich möchte vorausschicken, daß die Situation von Land zu Land verschieden ist. Die grundsätzlichen Belange sind überall die gleichen, aber das äußere Bild, die äußeren Formen sind verschieden. Daher ist auch die Situation - ich spreche ja nur über Religion - in Polen wieder anders als in anderen Oststaaten. Es ist eine Tatsache, daß die Katholiken in

Polen eine ganz besondere Stärke aufweisen. Ich war selbst Zeuge in der Nähe d^r Stadt Kattowitz, wo vor drei Jahren am letzten Maisonntag laut Schätzung der Polizei 150.000 Männer am Gottesdienst teilgenommen haben, den ich selbst dort zelebriert habe. Ich wiederhole: die Zahlenangabe stammt von der staatlichen Polizei, die 150.000 Männer ohne Frauen gezählt hat, weil man für diesen Anlaß gebeten hat, die Frauen mögen an der Prozession nicht teilnehmen und den Männern den Platz geben. Es ist Tatsache, daß bei einer Fronleichnamsprozession in Polen Hunderttausende von Teilnehmern gezählt werden. Ich habe selber Filme gesehen, die mir das bestätigt haben.

Auf der anderen Seite ist natürlich auch dort die grundsätzliche Einstellung des Staates und der Regierung, Religion sei Hindernis des sozialen Fortschrittes, der sozialen Entwicklung und müsse langsam verschwinden oder zum Absterben gebracht werden. Das ist gerade in Polen außerordentlich schwierig; aber nicht umsonst wird von russischer Seite immer gedrängt, die Polen sollten mehr tun in dieser Richtung. Ich zitiere - um ein besseres Bild von der wirklichen Situation zu geben - einen kurzen Passus äüs teinetti Hirtenbrief der katholischen Bischöfe Polens, det am 29. November des Vorjahres veröffentlicht wurde. Dabei müssen Sie bedenken, daß sich die Bischöfe jedes Wort überlegt haben mußten, denn sie haben ja in ihrem eigenen Land, das unter kommunistischer Führung steht, das zu vertreten gehabt, was sie in diesem Hirtenbrief geschrieben haben. Da heißt es also:

„Die Gläubigen werden hingewiesen auf die Gefahren, die heute unseren Glauben bedrohen. Nur wer in oberflächlicher Weise auf das Leben der Kirche blickt, kann die Illusion haben, daß die Wirksamkeit der Kirche von unserem Staat nicht behindert werde. In Wirklichkeit hat der haßerfüllte, totale Kampf gegen den Glauben an Gott und an die Kirche Christi kein Ende genommen. In immer größerem Ausmaß erfüllen Bildungseinrichtungen sowie soziale und politische Einrichtungen ein Programm der Atheisierung der Nation.”

Aus diesem Passus des soeben zitierten Hirtenbriefes geht nicht hervor, daß die Situation dort besser geworden sei. Auf der anderen Seite füge ich noch einmal hinzu daß die polnischen Katholiken, auch die Arbeiter, so sehr zur Kirche stehen, daß es ungeheuer schwierig ist, die Religion zum Absterben zu bringen.

ORF: Ein weiteres wichtiges Land unserer Nachbarschaft ist die Tschechoslowakei, ein ebenfalls zutiefst religiöses, ein katholisches Land. Auch dort wird die Situation für die Katholiken anders sein, als in Ungarn oder in Polen. Ist sie dort noch schärfer?

Priester vor Gericht.

KARDINAL: Es ist bekannt, daß dort der Druck gegen jede Form der Religion zur Zeit größer ist als in anderen Ländern. Aber merkwürdigerweise sind Zuversicht und Optimismus unter den Gläubigen in diesem Lande eigentlich nicht geringer geworden. Es wurde mir die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft in Kosice (Kasiau) zugespielt: Darin wird dem Pfarrer Stefan Jaworsky aus Muran vorgeworfen, sich dadurch straffällig gemacht zu haben, daß er Jugend, insbesondere Hochschuljugend, gewonnen hat, der er es ermög licht und die er angeleitet hat, den Vatikansender zu hören, der er Literatur vermittelt, Filme vorgeführt hat, Tonbänder mit schädlichen Abhandlungen einer religiösen Philosophie vorgespielt hat mit einer Ausrichtung gegen die Interessen einer sozialistischen Gesellschaft und der materialistischen Philosophie, mit dem Ziel, eine große Aktivgruppe von Ordensleuten und Laien in diese Erziehung einzubeziehen. Daraus können Sie sehen, wie schwierig die Situation ist, wenn der Staatsanwalt dann eingreift, wenn jemand als katholischer Pfarrer oder Priester versucht, sein Amt auszuüben und seine Pflichten als Seelsorger zu erfüllen.

ORF: Der Kommunismus hat immer verschiedene Wege eingeschlagen. Schlägt er vielleicht in der augenblicklichen Situation einen neuen Weg zur Kirche ein? Könnte er das vielleicht gerade über Ungarn und Polen versuchen? Könnten Sie sich eine Verbindung zwischen Kommunismus und Christentum überhaupt vorstellen?

KARDINAL: Dem Kommunismus in diesen Staaten ist sehr viel gelegen an der öffentlichen Weltmeinung. Man versucht alles, um in der Weltmeinung den Eindruck zu erwecken, daß die Dinge harmlos sind; daß man im Grunde genommen Religion ebenso toleriert wie eben alles andere toleriert wird; daß man keine großen Hindernisse in den Weg legt. Wenn man aber mit Personen spricht, die im Lande leben, oder wenn man selber die Möglichkeit hat, mit solchen zu sprechen, die die Situation auf Grund viel und langer Erfahrung kennen, so ist die Situation doch so, daß man in allen grundsätzlichen Fragen keine Änderung feststellen kann. Wohl aber wird sehr vieles unternommen, um nach außen hin einen anderen Eindruck erzeugen. Daher liegt gerade diesen Staaten sehr viel daran, daß man Verbindungen mit dem Vatikan aufnimmt, um in der öffentlichen Meinung den Eindruck zu erzeugen, die beiden sprechen miteinander, es kann also gar keine besonderen Schwierigkeiten geben. In Wirklichkeit aber werden die Verhandlungen dann später abgebrochen und es hat sich nichts geändert.

ORF: Könnten Sie sich vorstellen, daß der Vatikan eine andere Haltung gegenüber dem Kommunismus einnimmt?

KARDINAL: Der Vatikan ist immer bereit, mit den Vertretern dieser Länder zu sprechen, um den dort lebenden Christen einen etwas größeren Freiheitsraum zu verschaffen, damit sie als Katholiken etwas leichter leben können. Das ist die Absicht des Vatikans. Ich kann mir aber nicht vorstellen, daß der Vatikan selber damit der Meinung Ausdruck gibt, es läßt sich ein Weg finden, daß Kommunismus und Christentum eine Symbiose, eine Allianz eingehen.

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