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Der Weg über die Grenze

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Die Koexistenz-Strategie und Koexistenz-Propaganda Chruschtschows haben in letzter Zeit auch vor der Katholischen Kirche nicht halt gemacht. Die allseits bekannte Friedensoffensive der Kommunisten hat freilich schon in der Zeit, als Stalin noch lebte, versucht, eine besondere Front zu errichten, die man etwa die Friedensbewegung katholischer Priester nannte. In allen Ländern mit überwiegend oder zum Teil katholischer Bevölkerung und kommunistischer Regierung wollte man von Anfang an zwischen „fortschrittlichen“, betont regimetreuen, und „dem Alten nachhängenden“, politisch heimatlos gewordenen Priestern einen klaren Trennungsstrich ziehen. Es gelang nie ganz, es konnte nie gelingen. Die gewünschte Polarisierung der Kräfte hat ihre Grenze dort, wo für den einzelnen aus sehr achtbaren oder auch nur aus Op-portunitätsgründen die doppelte Buchführung beginnt. Die jüngsten Li-beralisierungstendenzen haben die Grenzen noch mehr verwischt, das heißt aber nur, noch mehr in das Gewissen jedes einzelnen hineinverlegt. Dort, an diesem für Behörden und Propagandisten nur mittelbar zugänglichen ÖTt, spielt sich die Auseinandersetzung mit der Frage nach der Koexistenz tagtäglich ab, dort fallen die letzten Entscheidungen.

Es gab in diesem manchmal gar nicht so spektakulären, aber stets konsequent und aus guten Gründen geführten Kampf einige Orientierungspunkte, Leuchtzeichen, nach denen lange Phasen des Dämmerlichtes, des Halbdunkels folgten. Ein solches Leuchtzeichen war 1949 der Name Mindszenty. Man versuchte, damals und seither, ihn als den Bannerträger der „alten Zeit“, die man, einfachheitshalber und weil die Diffamierung seiner Person so leichter schien, die Feudalzeit nannte, hinzustellen. Man übersah, daß jede Debatte darüber ihre Wirkung verfehlen mußte, solange sich der wegen einer bestimmten Haltung kritisierte oder umstrittene Bischof zugleich auch als Mensch In äußerster Bedrängnis befand und solange neben und hinter ihm viele andere, Junge und Alte, „Fortschrittliche“ und „Konservative“ (was nicht alles bedeuteten und überdeckten diese Worte!), angeklagt und aufs äußerste bedrängt wurden. Der Mensch, dem Unrecht geschieht: auf diese einfachste Formel wurde bereits zur Zeit seines skandalösen Prozesses und seiner Verurteilung der Name Mindszenty gebracht. Bin Miensch, dem noch immer Unrecht geschieht: so lebt der 71jäh-rige - Oberhirte in der Erinnerung vieler Katholiken heute. Ein Mensch — unter vielen anderen. Sein Fall ist keine Ausnahme, kein „peinlicher Zwischenfall“, wenn man ihn recht besieht. Er ist untrennbar von vielen anderen, verjährten und noch nicht verjährten Fällen. Man kann sicher sein, daß es keine „vatikanische Diplomatie“ gibt, die diesen Hintergrund des Falles Mindszenty vergißt.

Aber die Eröffnung der neuen Phast in der Koexistenz-Strategie Chruschtschows ist eine Tatsache, die nicht übersehen werden kann. Der Papst hat sie jedenfalls nicht übersehen, nicht übersehen wollen, und er hat die Eröffnungszüge des Schachspielers von Moskau prüfend und wertend zur Kenntnis genommen. Alles, was in den letzten Wochen und Tagen von kirchlicher Seite dazu gesagt oder angekündigt wurde, dient dem einzigen Zweck, die Lage zu prüfen, zu beobachten. Ej ist völlig abwegig, hierbei die Anbahnung eines „Geschäftes“ zu vermuten, dessen Handelsobjekt etwa der Kardinal Mindszenty wäre. Selbst die Kommunisten müssen heute schon wissen, daß sie mit einem Bischof, den sie „haben“ oder „auslassen“, kein Tauschgeschäft machen können. Der Bischef steht und fällt für die Menschenrechte sHer, auch wenn manche davon nichts wissen wollen.

Es ist auffallend, wie wenig der Christ von heute geneigt ist, bei seinen Anschauungen im Institutionellen steckenzubleiben. Das Bischofsamt ist heute mehr ah) je von der Person, die es trägt, untrennbar. Die Welt ist menschlicher, persönlicher geworden, was besagen will, daß es heute immer mehr Menschen bewußt wird, daß es in bestimmten Grenzsituationen auf die Entscheidung des einzelnen ankommt. Das war freilich immer schon so, aber viele wollten es nicht wahrnehmen. Wer das Gegenteil behauptet, wer etwa sagt, daß es für die Kirche gleichgültig sei, ob der Staatsbürger politisch frei oder unfrei sei, hält die Gegenwart für die Zeit des „cuius regio, eius religio“. Diese Zeit ist aber, zumindest für die Kirche, längst vorbei. Freiheit, Gewissensfreiheit, das freie Wort, Liebe zur Wahrheit und Liebe zum Menschen, das sind nicht nur Überschriften und Redewendungen, die man während der ersten Konzilsperiode und seither ungezählten Papst- und Kardinalsreden entnehmen konnte, sondern wichtige Stichworte, die das veränderte öffentliche Dasein der KirChe anzeigen.

Das veränderte öffentliche Dasein der Kirche: mit ihm rechnen nicht zuletzt auch die Kommunisten. Der bekannte Schweizer Radiokommentator P. Mario von G a 11 i berichtet in seiner soeben im Walter-Verlag, Ölten, erschienenen Bilderchronik „Das Konzil“ darüber, wie stark die Kommunisten die Vorgänge an dem Konzil beobachteten. Ein prominenter Kommunist versicherte ihm, seine Partei folge mit größter Spannung dem Gang der Verhandlungen, denn es offenbare sich darin eine Lebenskraft und ein Erneuerungswille ...

Man sagt dazu, viele Kommunisten entwickeln dabei so etwas wie einen Neidkomplex. Denn wie sei ihre innerweltliche „Religion“ dagegen erstarrt, verknöchert, ihr irdisches Paradies, der versprochene Kommunismus, ohne rechtes Ziel und Maß, das, wie Professor Karl Rahner einmal bemerkt, „die religiöse Energie“ im Menschen zwangsläufig wieder freisetzen würde! Auch dieser Aspekt wäre hier zu bedenken.

Nun sind es gerade die Kommunisten, die noch immer sehr viel über

Mindszenty und die Vielen die Notwendigkeit einer „ideologischen Offensive“ sprechen, wobei sie als gesichert hinstellen, daß der Kampf mit dem Sieg der sozialistischen Ideen enden wird. Sehr deutlich steht es in allen Parteiresolutionen, daß es für den Kommunismus keine ideologische Koexistenz gibt. Koexistenz ist für sie eine Frage der Politik. Auch die freundliche Anerkennung und Würdigung der Ansichten des Papstes über den Frieden ist Politik, es ist kein Dammbruch und keine historische Wende. Es ist die Fortsetzung einer alten Politik mit anderen Mitteln.

Für die Kirche liegen die Dinge anders. Hier handelt es sich vor allem um das Recht. Um einen Katalog von Menschenrechten, die man mit wenig Mühe zusammenstellen und aufzählen kann. Zu ihnen gehört das Recht der freien Religionsausübung, das Recht,. Predigten zu halten und sich anzuhören, Religionsunterricht zu erteilen und am Unterricht teilzunehmen, religiöse Bücher zu verlegen und sie zu verbreiten und vieles andere mehr. Eine taxative Aufzählung erübrigt sich wohl. Es soll hier genügen, darauf hinzuweisen, daß es zum Beispiel in Ungarn nicht nur einen „Fall Mindszenty“ gibt. Es gibt in diesem Lande noch vier oder fünf Bischöfe, die ihr Amt nicht oder nur „fallweise“, wenn man sie gerade braucht, ausüben können. Die Richter, die seinerzeit den Kardinal im berühmten Schauprozeß verurteilten, wurden vor einigen Monaten ihrer Ämter enthoben, sie kamen vielleicht auf die Anklagebank. Die erwähnten Bischöfe wurden niemals nach den Gesetzen ihres Landes verurteilt, sie benahmen sich nur „unklug“, waren störrisch, starrsinnig, sie haben gesprochen, wenn man von ihnen erwartet hat, daß sie schweigen, und sie haben geschwiegen, wenn man von ihnen erwartet hat, daß sie sprechen. Sie erwiesen sich als in höchstem Maße unbequeme, ungemütliche Zeitgenossen. „Schafft den Narren fort!“ So oder ähnlich lautete die Parole. Man hat sie im Auto in das Dorf, wo sich die Füchse gute Nacht sagen, geschafft. Man holt sie, wenn man ge-

Photo: Votava rade einen Bischof braucht. Zur Zeit der Firmungen.

Das ist keine friedliche Koexistenz.

Koexistenz ist Politik, sagen die Kommunisten. Eine Koexistenz von Ideen und Ideologien gibt es letztlich nicht. Aber ihr Totalitätsanspruch ist durchlöchert, allerdings zunächst mehr auf der unverbindlicheren Seite. Sie machten ihren Frieden mit dem Twist, mit bestimmten Filmstars, ja sogar mit der modernen Musik. Auch in der Literatur gibt es bemerkenswerte Ansätze zum „Pluralismus“ und auch in der Kunst, trotz der jüngsten Kriegserklärung Chruschtschows an die Abstrakten. Jetzt bemüht man sich sogar um Kontakte mit dem Vatikan. Dort hat man offenbar nichts dagegen. Mit christlicher Zuversicht, tapferen Herzens stellt man sich auch dieser' Begegnung. Aber der Preis, den man in Rom letztlich stellen wird, ist klar: Er umfaßt alles, was zum unveräußerlichen Recht der Christen auch in kommunistisch regierten Ländern gehören muß: das Recht auf die Lehre Christi, das Recht auf die Freiheit des Gewissens.

Ein jeder Christ, so auch Kardinal Mindszenty, hat das Recht auf freie Entscheidung. Diese seine Freiheit wird von niemandem angetastet. Wenn der Kardinal von Wien beabsichtigt, einer Einladung von ungarischen Bischöfen folgend, in nächster Zeit nach Ungarn zu reisen, und wenn er auch versuchen wird, dort mit Kardinal Mindszenty, der seit dem 4. November 1956 im Gebäude der amerikanischen Gesandtschaft zu Budapest im selbstgewählten Exil wohnt, in Verbindung zu treten, dann ist all das, wie Kardinal König selbst betont, nur natürlich. Er betrachte es gerade als Erzbischof von Wien als seine Aufgabe, mit den Bischöfen der Nachbarländer besonderen Kontakt zu halten. Er werde, fügt Kardinal König in seiner jüngst veröffentlichten Erklärung hinzu, gewiß auch Gelegenheit haben, die besonderen Verhältnisse, unter denen die ungarischen Katholiken leben, kennenzulernen.

Ist das eine „Sensation“? Nein, aber eine gute Nachricht!

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