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Digital In Arbeit

Ausgleich zwischen Nord - Süd

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Willy Brandt, Ex-Kanzler der Bundesrepublik Deutschland, ist politisch nach wie vor höchst aktiv: nicht nur innerhalb seiner eigenen Partei, der SPD, deren Vorsitzender er ja ist, sondern auch als Vorsitzender einer 1 Tköpfigen Expertenkommission für Entwicklungsfragen. Diese Kommission, die im Dezember 1977 ins Leben gerufen wurde, will bis im Frühherbst einen Bericht mit konkreten Vorschlägen präsentieren, wie das Wohlstandsgefälle zwischen den reichen Industrienationen im Norden und den armen Entwicklungsländern im Süden der Welt verringert werden kann. In diesem Beitrag zieht Willy Brandt eine Art Halbzeitbilanz der bisher von der Kommission geleisteten Arbeit.

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Willy Brandt, Ex-Kanzler der Bundesrepublik Deutschland, ist politisch nach wie vor höchst aktiv: nicht nur innerhalb seiner eigenen Partei, der SPD, deren Vorsitzender er ja ist, sondern auch als Vorsitzender einer 1 Tköpfigen Expertenkommission für Entwicklungsfragen. Diese Kommission, die im Dezember 1977 ins Leben gerufen wurde, will bis im Frühherbst einen Bericht mit konkreten Vorschlägen präsentieren, wie das Wohlstandsgefälle zwischen den reichen Industrienationen im Norden und den armen Entwicklungsländern im Süden der Welt verringert werden kann. In diesem Beitrag zieht Willy Brandt eine Art Halbzeitbilanz der bisher von der Kommission geleisteten Arbeit.

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Die Unabhängige Kommission für internationale Entwicklungsfragen begann ihre Arbeit im Dezember 1977. Sie hat bisher vier Tagungen abgehalten (Eröffnungstagung in Gymnich, sodann Mt. Pele-rin/Schweiz, Bamako/Mali und kürzlich in Tarrytown/USA). Vier weitere Zusammenkünfte sind geplant: in Malaysia, Saudi-Arabien, Brasilien und Wien.

Der Bericht der Kommission wird im Frühherbst 1979 abgeschlossen sein und sodann an den Generalsekretär der Vereinten Nationen über-sandt werden, wie es seinerzeit mit ihm abgesprochen war. Dieser Bericht, über dessen Struktur wir jetzt gerade zu sprechen begonnen haben, soll ausgewogen, transparent und -wie ich sehr hoffe - lesbar sein. Er soll nicht zu umfangreich und für eine aufgeklärte Öffentlichkeit verständlich sein.

Ich sehe das Risiko, das man mit solch einem Bericht eingeht: Wenn man Glück hat, dann kann man einiges bewirken. Wenn man Pech hat, erreicht man nicht mehr, als der schon stattlichen Zahl von Fachliteratur ein weiteres Buch hinzuzufügen. Doch selbst in diesem Fall - von dem ich nicht hoffe, daß er eintreten wird - gilt: Der Menschheit ist schon größerer Schaden entstanden als durch die Veröffentlichung eines weiteren Buches.

Was die Zusammensetzung der Kommission angeht, so habe ich die Kollegen allein ausgesucht und hierbei bewußt mehr Vertreter aus den Entwicklungsländern als aus den Industrienationen um ihre Mitarbeit gebeten. Ich wollte nämlich gar nicht erst die Frage aufkommen lassen, ob hier eine Gruppe von der anderen überstimmt werden könnte. Im übrigen gibt es auf der Welt viel mehr

„Nicht die Fragen, die in den nächsten Jahren anstehen, sind für uns vorrangig, sondern Perspektiven für die achtziger Jahre - mit Blick auf das Jahr 2000.“

Entwicklungs- als Industrieländer. Alles in allem habe ich mich um eine Zusammensetzung bemüht, die sich am Maßstab der Unabhängigkeit messen lassen kann. Mit einem Verhältnis von zehn Vertretern aus Entwicklungsländern zu sieben Vertretern aus Industrieländern ist dem hinreichend Rechnung getragen.

In unserem Genfer Stab sind vor allem Nationalökonomen tätig. Da aber die Kommission nicht nur wirtschaftliche Fragen behandelt, habe ich eine Reihe von „eminent persons“ gebeten, uns ihre Erfahrungen nutzbar zu machen. Zum Teil geschieht das dadurch, daß wir sie zu unseren Sitzungen einladen; zum Teil dadurch, daß wir sie um schriftliche Ausarbeitungen bitten.

Die Kommission hatte einen guten Start. Schon auf unserer ersten Sitzung haben wir uns auf ein Mandat (terms of reference) einigen können. Darin wird als allgemeine „Marschrichtung“ die Gemeinsamkeit von Interessen herausgestellt, die in einigen Bereichen durchbuchstabiert und aus der realisierbare Vorschläge hergeleitet werden sollen. Um den neuen Ansatz deutlich zu machen, haben wir - angesichts der wachsenden Interdependenz - das Konzept der „Hilfe“ hinter uns gelassen. Es bleibt uns natürlich bewußt,

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daß für humanitäre Aktivitäten immer noch viel Raum bleiben wird.

Wir waren uns gleichfalls einig, nicht alle der gegenwärtigen Probleme behandeln und insbesondere nicht mit den Pflichten der Regierungen konkurrieren zu wollen. Nicht die Fragen, die in den nächsten Jahren anstehen, sind für uns vorrangig, sondern die Perspektiven für die achtziger J ahre- mit Blick auf das Jahr 2000.

Im Juli vergangenen Jahres war ich wphl einer der letzten politischen Besucher des verstorbenen Papstes Paul VI., der an unserer Arbeit starken persönlichen Anteil genommen hat. Beeindruckt bin ich auch von dem, was der Generalsekretär der UNESCO seit mehreren Jahren unablässig unterstreicht: Man sollte bei den Bemühungen um eine internationale Wirtschaftsordnung auf keinen Fall den kulturellen, geschichtlichen, religiösen und geistigen Hintergrund der verschiedenen Länder und Regionen außer Betracht lassen.

Das bringt mich zu einer grundlegenden Frage, an der wir uns nicht vorbeidrücken können in der Kommission: Was eigentlich ist „Entwicklung“? Ich kann dem hier nicht nachgehen. Aber stellen will ich doch die Frage: Sollen sich alle anderen Länder in Richtung auf unsere westliche Industriegesellschaft bewegen? Ist das wirklich der einzige und richtige Orientierungspunkt in einer Zeit zumal, da unser Wirtschaftswachstum zunehmend kritisch erörtert wird?

Im Unterschied zur Pearson-Kommission bemühen wir uns, her-

auszufinden, ob und inwieweit kommunistisch regierte Staaten in den Nord/Süd-Dialog einbezogen werden könnten, und zwar in nichtpolemischer Weise und mehr unter Hinweis auf ihre langfristigen Interessen. Die Entwicklungsländer scheinen diese Staaten in zunehmendem Maße in die Nord/Süd-Diskussion einzubeziehen. Jedenfalls für die Zukunft wird deren gegenwärtige Haltung, wonach sie sich für das „Erbe des Kolonialismus“ nicht verantwortlich fühlen, immer weniger akzeptiert. Die Entwicklungsländer wollen mit allen Industrieländern sprechen und nicht länger einen Dialog nur mit dem Westen des Nordens führen.

Aus meinen Gesprächen mit mehreren politischen Führern aus osteuropäischen Ländern weiß ich, daß dort eine Diskussion in Gang gekommen ist. Für mich ist das nicht verwunderlich, dehn manche der Probleme werden dort zwangsläufig ähnlich gesehen wie bei uns. Ebensowenig wie die westlichen Länder läßt es sie gleichgültig, wie sich künftig der Handel - besonders im Rohstoffbereich - mit der Dritten Welt gestalten, wie die Struktur des Weltwährungssystems aussehen und wie sich die Energieversorgung entwik-keln wird.

In der Sowjetunion ist die Lage aus einer Vielzahl von Gründen noch etwas anders. Doch auch hier dürften einige jüngere Experten anfangen, sich Gedanken zu machen. Jedenfalls kommen sie in ihrer Analyse zu ähnlichen Ergebnissen wie die Fachleute bei uns.

Mit Hilfe von Fachleuten wollen wir uns auch an eines der großen Themen der achtziger Jahre heranarbeiten, nämlich den Zusammenhang zwischen Rüstung - oder besser: Rüstungsbegrenzung - und Entwicklung. Hierzu hat es vor einigen Monaten eine Sonderversammlung der Vereinten Nationen gegeben. Natürlich konnte das Ergebnis beim ersten Anlauf nur bescheiden sein. Immerhin: Unter schwedischem Vorsitz ist eine Arbeitsgruppe eingesetzt worden, die diesen Fragen nachgehen wird. Ich meine, die Kommission sollte das ihre dazu beitragen, daß dieses Thema in der internationalen Diskussion bleibt.

Nach meiner festen Uberzeugung wird sich die Menschheit eine nochmalige Verdoppelung der ungeheuren Rüstungsausgaben von rund 400 Milliarden Dollar jährlich nicht leisten können. Dabei ist der alarmierende Anstieg dieser Rüstungsausgaben in den Entwicklungsländern besonders beunruhigend.

Wenn es aber ernsthafte Anstrengungen geben wird, im kommenden Jahrzehnt den weiteren Anstieg dieser Rüstungsausgaben zu bremsen, dann wird sich auch die Frage der Umleitung von Ressourcen stellen: einmal innerhalb der nationalen Volkswirtschaften, aber - wie ich hoffe - darüber hinaus, nämlich im Hinblick auf den Nord/Süd-Ausgleich.

Was nun die Kommission angeht: Sie hat bislang vier Tagungen abgehalten und hofft, nach vier weiteren Sitzungen, ihre Arbeit im Sommer abzuschließen. Dennoch zögere ich, eine Art von „Halbzeitbilanz“ zu ziehen. Auch auf Grund des besonderen Arbeitsstils dieses Gremiums ist das gar nicht möglich.

Wenn ein Halbzeitergebnis kaum möglich ist, so möchte ich doch einige vorsichtige und vorläufige Hinweise geben, in welche Richtung unsere Überlegungen gehen könnten. Vor allem, nachdem wir auf der jüngsten Sitzung in den USA damit begonnen haben, die „Gemeinsamkeit von Interessen“ in einigen Bereichen tatsächlich durchzubuchstabieren. Dabei bleiben wir konfrontiert mit den Forderungen der Entwicklungsländer nach einer „Neuen Internationalen Wirtschaftsordnung“.

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„Nach meiner festen Überzeugung wird sich die Menschheit eine nochmalige Verdopplung der ungeheuren Rüstungsausgaben von rund 400 Milliarden Dollar jährlich nicht leisten können.“

Auch bei den Vertretern der Dritten Welt wächst zunehmend die Erkenntnis, daß der Ausbau des Handels für sie am wichtigsten ist, abgesehen von den ärmsten Staaten, die weiterhin auf unmittelbare Unterstützung angewiesen sein werden. Hierbei setzt sich mehr und mehr die Einsicht durch, daß auch diese Länder kein Interesse an einem Wirt-schaftsabschwung in den Industrieländern haben können, weil sie unmittelbar davon betroffen sind.

Andererseits nehmen in den Industrieländern die protektionistischen Tendenzen zu. Ich verkenne keineswegs die Schwierigkeiten, die sich für manche Teile unserer Volkswirtschaft durch die zunehmende Wettbewerbsfähigkeit mancher Entwicklungsländer ergeben. Aber ich meine - und hoffe mich mit allen wirtschaftlich Denkenden einig - daß unsere Märkte offen bleiben müssen und in Zukunft sogar noch weiter geöffnet werden müssen, auch wenn dies noch so schwer ist. Exporte aus unseren Ländern in die Dritte Welt hängen in zunehmendem Maße auch davon ab, was die Industrienationen aus diesen Ländern importieren.

Internationale Organisationen wie OECD, die EG-Kommission und nationale Ministerien machen sich konkrete Gedanken darüber, ob dieser Prozeß verstärkter Zusammenarbeit auch und gerade im Interesse unserer Volkswirtschaften nicht sogar noch beschleunigt werden sollte. Beim Bonner Weltwirtschaftsgipfel wurde ebenfalls daraufhingewiesen. Ich meine, daß gerade die jungen Menschen in unserem Land sehr genau hinhören, in welchem Maße ihre Arbeitsplätze davon betroffen sind.

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