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Der tote Punkt muß überwunden werden

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Wenn Österreichs Bundeskanzler irgendwo im Fernen Osten einen Sultanstitel verliehen bekommt, sind die Gazetten voll davon. Für seine Vorschläge zur Neuorientierung der Entwicklungspolitik bleibt kaum ein Platz. Dabei ist dieses Thema mittelfristig wohl das wichtigste der internationalen Politik. Deshalb stellt die FURCHE die Problematik zur Debatte. Wer dem Grundgedanken des Plans zustimmt, müßte endlich durch Taten beweisen, daß es ihm Ernst damit ist. Wer Einwände erhebt, den trifft die Verpflichtung zum Vorlegen konstruktiver Alternativen. Für bloße Ablehnung ist die Stunde zu ernst und auch zu spät. Mit Bruno Kreisky sprach Hubert Feichtlbauer. (Vgl. auch „Stichwort", S. 2)

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Wenn Österreichs Bundeskanzler irgendwo im Fernen Osten einen Sultanstitel verliehen bekommt, sind die Gazetten voll davon. Für seine Vorschläge zur Neuorientierung der Entwicklungspolitik bleibt kaum ein Platz. Dabei ist dieses Thema mittelfristig wohl das wichtigste der internationalen Politik. Deshalb stellt die FURCHE die Problematik zur Debatte. Wer dem Grundgedanken des Plans zustimmt, müßte endlich durch Taten beweisen, daß es ihm Ernst damit ist. Wer Einwände erhebt, den trifft die Verpflichtung zum Vorlegen konstruktiver Alternativen. Für bloße Ablehnung ist die Stunde zu ernst und auch zu spät. Mit Bruno Kreisky sprach Hubert Feichtlbauer. (Vgl. auch „Stichwort", S. 2)

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FURCHE: Was hat Sie bewogen, bei der 3. Generalversammlung der UNIDO in Neu-Delhi am 31. Jänner wieder auf Ihr Lieblingsprojekt eines „Marshall-Plans für die Dritte Welt" zurückzukommen?

BUNDESKANZLER KREISKY: Die Entwicklungshilfepolitik ist festgefahren, der Nord-Süd-Dialog bisher unergiebig geblieben. Die weitreichenden Forderungen der Entwicklungsländer wurden von den Industriestaaten in Neu-Delhi abgelehnt. Es gibt daher eine Verpflichtung der Industriestaaten, den toten Punkt zu überwinden. Das, was sich Fidel Castro vorstellt, nämlich einen riesigen Fonds, über dessen Milliarden die Entwicklungsländer frei verfügen können, ist unter den gegebenen Umständen eine Illusion. Eine wahllose Industrialisierung in den Entwicklungsländern hat auch nicht immer die erwarteten Ergebnisse gebracht. Wenn man etwas Sinnvolles und Wirksames tun will, müßte es eine Aktion sein, an der viele Länder beteiligt sind und durch die die Infrastruktur von Entwicklungsländern ausgebaut wird: also vor allem Eisenbahnlinien, Bewässerungsanlagen, Telekommunikationsanlagen, Energiereserven usw. Das kostet sehr viel Geld und ist durch bilaterale Hilfe nicht zu bewerkstelligen. Es müssen also Kredite gegeben werden, mit deren Rückzahlung die Geberländer nicht rechnen.

FURCHE: Beziehen Sie sich also auf den Kreditmodus, wenn Sie von einem „neuen Marshall-Plan" sprechen?

KREISKY: Ja, natürlich. Die Rückzahlung der Kredite müßte in einheimischer Währung in einen Fonds des betreffenden Staates erfolgen, aus dem neue Kredite für den weiteren Ausbau der Infrastruktur gewährt würden. Der Fonds müßte in der Verwaltung des Empfängerlandes stehen, aber die Mittel müßten vertraglich zweckgebunden sein.

FURCHE: Der übliche Haupteinwand gegen einen solchen Plan lautet, daß die amerikanische Nachkriegshilfe Ländern zuteil wurde, deren Industrien zwar zerstört waren, wo aber genügend „menschliches Kapital", also Fachwissen, technisches Können und Organisationstalent vorhanden waren. Dies sei aber in den Elendsländern der Dritten Welt nicht der Fall.

KREISKY: Natürlich muß man die unterschiedlichen Voraussetzungen berücksichtigen und den neuen Plan auf die besonderen Beziehungen zwischen den industrialisierten Staaten und den Entwicklungsländern abstellen. Auch die „human reser-ves" müßten neben dem normalen Kapitaltransfer von den westlichen Ländern kommen.

FURCHE: Haben Sie als Geldgeber nicht eigentlich ölexportierende Länder im Auge?

KREISKY: Nicht nur. ölexportierende Länder sollen als Partner eines solchen Unternehmens teilnehmen. Ich stelle mir ein pilot project (Versuchsprojekt) etwa so vor, daß zum Beispiel zwei bis drei europäische Länder mit entsprechend großzügiger Gesinnung zusammen mit zwei arabischen Staaten im Verhältnis 50 : 50 ein Modellprojekt in einem oder zwei Entwicklungsländern durchführen.

FURCHE: Sie sprechen offenbar von Österreich und weiteren europäischen Staaten. Haben Sie schon einen Partner gefunden?

KREISKY: Früher einmal wäre Schweden ein solcher Partner gewesen. Ob das jetzt noch der Fall ist, weiß ich nicht. Ich möchte noch kein bestimmtes Land nennen.

FURCHE: Aber haben Sie schon mit anderen Regierungen geredet?

KREISKY: Geredet schon. Es sieht nicht hoffnungslos aus. Am besten kommen wir wohl weiter, wenn wir zuerst ein konkretes Projekt in einem Entwicklungsland beschreiben können und uns dann die Partner suchen.

FURCHE: Haben Sie schon mit möglichen arabischen Partnern gesprochen?

KREISKY: Ich habe bei meinem' jüngsten Besuch in Saudi-Arabien das Thema angeschnitten. Dieses Land ist ja in allen wichtigen Fonds solcher Art vertreten. Man will die Zusammenarbeit mit Österreich nach Präsentation eines solchen Projektes gerne prüfen. Aber auch mit dem Präsidenten Venezuelas habe ich bei dessen jüngstem offiziellen Besuch in Wien darüber gesprochen.

FURCHE: Und welches Entwicklungsland kommt in Frage - eines in Afrika?

KREISKY: Ich würde sagen, in Afrika.

FURCHE: Sollte Österreich nicht überhaupt seine internationale Entwicklung spolitik auf weniger Länder konzentrieren, statt in Dutzende Staaten relativ kleine Beträge zu schicken?

KREISKY: Das ist die eine Gruppe, die eine solche Konzentration auf einige Länder vorhat. Eine andere Gruppe empfiehlt eine Konzentration auf bestimmte Projekte, sagen wir Musterfarmen, und diesen Projekttyp könnte man dann in vielen Ländern ermöglichen. Für kleinere Länder ist eine solche Methode wohl der zweckmäßigste Weg.

FURCHE: Bei Ihrem Plan schwebt Ihnen also offenbar überhaupt nicht das vor, was in diesem Zusammenhang auch ins Gespräch gebracht worden ist, nämlich eine Förderung jener Entwicklungsländer, die wie Brasilien, Argentinien, Chile und andere lateinamerikanische Staaten, aber auch wie Taiwan oder Südkorea heute bereits an der Schwelle zu modernen Industriegesellschaften stehen? Prof. Seidl vom Wirtschaftsforschungsinstitut hat jüngst vorgeschlagen, diese sogenannten Schwellenländer allenfalls in die OECD aufzunehmen.

KREISKY: Das meine ich nicht. Es geht um die wirklich armen Länder der Erde, und ich denke an Afrika, weil dieser Kontinent ja in einem gewissen Nahverhältnis zu Europa steht.

FURCHE: Warum zögern eigentlich die übrigen Industrieländer seit Jahren, sich mit diesem Ihrem Vorschlag zu identifizieren?

KREISKY: Die Politik der demokratischen Länder wird im wesentlichen nicht von Politikern, sondern von policy making officials (leitenden Beamten) gemacht. Diese sind in der Regel sehr sachkundig, aber neue Vorschläge kommen von ihnen nicht. Das ist die Tragödie der Demokratie, daß ihre Politik sachkundige Beamte, aber nicht Politiker machen. Daher ist auch die Außenpolitik demokratischer Länder oft so phantasielos.

FURCJrlE: Hat die internationale Kommission unter Altbundeskanzler

Willy Brandt Ihre Vorstellungen in den Bericht aufgenommen, den sie für die Neugestaltung der Entwicklungspolitik ausgearbeitet hat? Haben Sie mit Brandt beim SI-Treffen in Wien darüber gesprochen?

KREISKY: Für ein solches Gespräch war keine Zeit, weil Brandt ja alle Hände voll zu tun hatte. Aber wenn diese Überlegungen in den Bericht enthalten wären, könnte das eine Verwirklichung sehr beschleunigen.

FURCHE: Kan)i man sagen, daß ein Versuchsprojekt bis Ende des Jahres fettig sein wir?

KREISKY: Ich kann das nicht genau sagen. Aber wenn es bis Jahresende nicht geschieht, dann hat es wohl keinen Sinn mehr, denn wir reden jetzt schon lange genug herum.

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