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Bruno Kreisky mußte ins Leere reden

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Hervorstechendes Merkmal des 25. Parteitags der SPÖ war das weitgehende Fehlen einer sachlich-kritischen Auseinandersetzung mit politischen Aussagen, was selbst den sozialistischen Chefredakteur Josef Riedler einen „peinlichen Eindruck“ registrieren ließ. Besonders widerfuhr dies der Rede des Parteivorsitzenden Kreisky, den die meisten Parteitagsdelegierten ohnehin für einen Halbgott und selbst viele Nichtsozialisten für einen unfehlbaren Papst in Fragen der Weltpolitik halten. Was nichts daran ändert, daß auch er Anspruch auf ein kritisches Echo hat.

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Hervorstechendes Merkmal des 25. Parteitags der SPÖ war das weitgehende Fehlen einer sachlich-kritischen Auseinandersetzung mit politischen Aussagen, was selbst den sozialistischen Chefredakteur Josef Riedler einen „peinlichen Eindruck“ registrieren ließ. Besonders widerfuhr dies der Rede des Parteivorsitzenden Kreisky, den die meisten Parteitagsdelegierten ohnehin für einen Halbgott und selbst viele Nichtsozialisten für einen unfehlbaren Papst in Fragen der Weltpolitik halten. Was nichts daran ändert, daß auch er Anspruch auf ein kritisches Echo hat.

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Bundeskanzler Bruno Kreisky begann mit der Feststellung, daß Behauptungen von einer „konservativen Renaissance“ in Europa eine „Legende“ seien. Neben SP-Wahl- niederlagen in Schweden, Großbritannien und der Schweiz habe es Erfolge in Österreich, Dänemark und bei Teilwahlen in der Bundesrepublik Deutschland gegeben.

Das stimmt. Was es beweist, ist nur das eine: daß es überhaupt nicht so etwas wie eine durchgehende internationale Entwicklung gibt. Der Trend ist auch kein Genosse der Linken. Wählerwind weht einmal den einen, einmal den anderen ins Gesicht. Das ist gut für eine Demokratie - und gleichzeitig eine Widerlegung der marxistischen These, daß die Entwicklung unaufhaltsam der sozialistischen Endzeitgesellschaft zustrebe.

Dann sagte Kreisky, daß Inflationsund Arbeitslosenraten in sozialistisch regierten Ländern Europas unter jenen nichtsozialistisch regierter lägen (was stimmt) und daß die wirtschaftlichen Schwierigkeiten und Probleme „eine Folge dieser Wirtschaftsordnung“ (nämlich der kapitalistischen) seien, „die ja die Konservativen so uneingeschränkt bejahen“.

Konkret: „Auch die soziale Marktwirtschaft hat nicht verhindern können und kann offenbar nicht verhindern, daß es 16 Millionen Arbeitslose gibt“ (in den OECD-Ländem - in Westeuropa allein siebeneinhalb Millionen).

Hier läuten Alarmglocken. Sind Wirtschaftsprobleme wirklich nur Ausfluß des kapitalistischen Systems? Gibt es nicht in totalitären Ländern viel größere, wenn auch nach außen oft übertünchte? Wenn Kreisky das ernst meint, hat er sich selbst als extremer Marxist definiert. Stehen dann sozialdemokratische Regierungen mit ihren relativen Erfolgen in der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit etwa nicht auf dem Boden der sozialen Marktwirtschaft? Dann täuschen sie die Wähler, wenn sie (was oft genug geschehen ist) solches beteuern.

Daß Kreisky die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zur „ersten europäischen Aufgabe der Sozialdemokratie“ erklärt, ist selbstverständlich gutzuheißen. Die Politiker aller Parteien sollten dies tun.

Aber ob die von Kreisky neuerlich verteidigte „sogenannte Schuldenwirtschaft“ der richtige Weg dazu sein kann, ist ernsthaft in Frage zu stellen. Ist Wohlstand auf Kosten künftiger Generationen sittlich erlaubt?

Schließlich hat Bruno Kreisky als „zweite große Aufgabe der europäischen Sozialdemokratie“ die Förderung des europäischen Integrationsprozesses proklamiert. Das ist sehr zu begrüßen. Historischer Wahrheitssinn gebietet den Zusatz für jene unserer Mitbürger, die damals noch nicht am politischen Leben Anteil nahmen, daß keine Bewegung so stark wie die sozialdemokratische die Integration Europas in vielen Nach-kriegsjahren abgelehnt, verurteilt und nach Kräften behindert hat. Noch zu Zeiten Bruno Pittermanns als Vorsitzender war für die SPÖ die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft ein „reaktionärer Bürgerblock“.

Der Gesinnungswandel ist zu begrüßen. Man kann daraus eine von zwei Schlußfolgerungen ziehen: Entweder die europäische Sozialdemokratie hat in der Einschätzung der Europa-Integration geirrt - das wäre menschlich und eine Korrektur eh- renswert, hieße aber doch wohl, daß die Sozialisten auch beim Anbieten anderer Patentrezepte fundamental irren können.

Oder es gilt unausgesprochen der Grundsatz, man sei für die Integration Europas, wenn man selber das Heft in der Hand hat, und dagegen, wenn und solange andere Parteien dominieren. Das wäre grauslich undemokratisch.

Schließlich erwähnte der Bundeskanzler, daß Westeuropa seinen Energiebedarf zu rund 60 Prozent aus Importen decke, Osteuropa aber zehn Prozent seiner Gesamtaufbringung an Primärenergie exportiere. Kreiskys Schlußfolgerung: Der Westen sollte dem Osten beim Ausbau seiner Energievorräte helfen und sich als Gegenleistung dafür Strom liefern lassen. Dadurch „können Bindungen entstehen, die dem Entspannungsprozeß auch eine neue dauerhafte wirtschaftliche Dimension geben.“

Auch das kann man nicht einfach so hinsagen. Daß Bruno Kreisky ein bedingungsloser politischer Gegner des Kommunismus ist, sollte von niemandem mehr bezweifelt werden. Daran kann auch die neuerliche Ungeschicklichkeit von Außenminister Willibald Pahr in Prag (wollen wir sein seltsames Verhalten gegenüber CSSR-Dissidenten einmal gnädigerweise so nennen) nichts ändern.

Aber ob eine Verstärkung unserer Energie-Abhängigkeit vom kommunistischen Osten wirtschafts- und entspannungspolitisch wirklich von Vorteil ist, ist doch sehr zu bezweifeln. Die von Kreisky in diesem Zusammenhang geforderte „Gewähr der vollen Disposition über die Kraftwerke“ mag sich in Friedenszeiten als Vertragspapier gut lesen - im Ernstfall könnte eines Tages ganz Westeuropa von seinem Lebensnerv Energie abgeschnitten werden.

Ähnlich einfältig wirkte die Bemerkung des Bundeskanzlers, die Anregung des sowjetischen Staatsund KP-Chefs Leonid Breschnew auf Abzug von 20.000 Soldaten aus der DDR sollte „aufgegriffen und mit einer Idee verbunden werden, die eine Art Plan auf Zurückziehung aller sowjetischen Truppen“ aus europäischen Ländern ergeben könnte („natürlich auf Gegenseitigkeit und in ausgewogener Form“): Genau das ist es, worum in den Wiener Truppenabbaugesprächen seit 1973 gerungen wird. Die Formel dafür ist selbst theoretisch schon besser artikuliert worden. Wie kompliziert das Problem in der Praxis ist, kann man in einem dreiseitigen Beitrag Carl Friedrich von Weizsäckers in der letzten „Zeit“ nachlesen.

Schließlich gilt es, daran zu erinnern, daß SALT II aus drei Teilen besteht und der dritte eine Prinzipienerklärung für SALT III ist, womit die Empfehlung, „daß an die Unterzeichnung von SALT II die Bedingung gebunden werden sollte, unverzüglich mit Verhandlungen über SALT III zu beginnen“, ins Leere zielt, wenn man von dem Wörtchen „unverzüglich“ absieht; aber das kann man noch nicht gut als Weltwucht verkaufen.

Was Bruno Kreisky über das Verhältnis zu den Kirchen („immer wieder um ein konstruktives Verhältnis bemühen“), zum neuen Papst („vermutlich ein großer, aber zugleich ein konservativer“) und zum Sozialreformkurs der lateinamerikanischen Bischöfe zu sagen hatte, ist prinzipiell kaum anfechtbar - außer, daß Kurt Vorhofer recht hatte, als er in der „Kleinen Zeitung“ dazu vermerkte: „Bei der Pressekonferenz stellte sich dann heraus, daß der SPÖ-Vor- sitzende über die zweifellos sehr umfassenden Papst-Aussagen wenig informiert war.“

Bleibt der neuerliche Kreisky-Appell, den Nord-Süd-Dialog zwischen Industrie- und Entwicklungsländern mit einem „grand design“, also einer tragenden Grundidee, auszustatten.

Damit erinnerte der Kanzler an seine alte Idee, nach dem Muster des Marshallplans von 1947 auf breiter Grundlage den Aufbau einer Industriestruktur in der Dritten und Vierten Welt voranzutreiben.

Übersehen darf man dabei freilich nicht, daß 1947 zwar ein vom Krieg verwüstetes, aber des Aufbaus und Betriebs einer modernen Industrie kundiges Europa vorhanden war, was etwa für Afrika in keiner Weise zutrifft. Längst hat man international erkannt, daß der Ausbau von Landwirtschaft und Kleinbetrieben in vielen Entwicklungsländern viel wichtiger und sinnvoller als eine überstürzte Industrialisierung ist Aber auch dafür trifft der Kreisky- Satz zu: „Eine wirklich große, politisch tragfähige Lösung wird nur durch eine gemeinsame Aktion der Industriestaaten herbeigeführt werden können.“ Hier ist dem Kanzler mit Nachdruck beizupflichten.

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