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An den Raud geslirieber

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WER — WEM — WAS! Gleich zwei seriöse Wiener Blätter überraschten die österreichische Öffentlichkeit rum vergangenen Wochenende mit einer wahren Tatarennachricht. „Gewisse Kreise sollen allen Ernstes erwägen, den Zentralen der NATO und des Warschauer Paktes ein freies Durchmarschrecht im Kriegsfall für das gesamte österreichische Territorium an- zubiefen. „Man würde damit ein für allemal eine Gefährdung des Landes selbst und seiner Bevölkerung vermeiden. Vor allem brauchte man so nicht den schon 1914 gerügten Fehler zu wiederholen, eine so schöne, fesche Arnitee aufzubauen und sie dann ausgerechnet in den Krieg zu schicken. Die Weltgeschichte wäre dann durch Etnheimi’chle und zahlende Touristen nach Art eines Schlachtendioramas mit echten Statisten zu betrachten. Wenn einer irgendwo solchen Träumen nachhängt, mag das seine PrJvatsache sein und bleiben. Für unseife Vertei digungspolifik sind aber nicht „gewisse Kreise zuständig, sondern einige sehr klar festqelegte Instanzen im Staat. Man mühte von ihnen, sollten sich solche Gerüchtedarsfel- lungen wiederholen, schon eine Stellungnahme verlanqen.

VOR LEOPOLDI. Der Glückwunsch des niederösferreichischen Landeshauptmannes zum bevorstehenden Namenstag Präsident Leopold Figls gehörte zur Familienatmosphlre des Landesparteitages, den die niederösterreichische Volkspartei in guter Tradition wieder nach Krems einberufen hatte. Er wurde mit einer Gratulation zum baldigen 70. Geburtstag Julius Raabs sinnvoll verbunden. Was hier zum Ausdruck kam, war mehr als Höflichkeit: hier manifestierte sich eine Trodifionsiinie, die dieses Kernland Österreichs zu einem der stabilsten Faktoren der Bundespolitik gemacht hat. Sie ist mit diesen beiden Namen so verbunden, daß man sich einen Bruch kaum vorstellen kann. Der Gast des Parfeifages war der Bundeskanzler. Auch er wußte, daß man auf niederösterreichischem Boden sehr offen — ohne gehässige Polemik, aber auch ohne falsche Beschönigung — vor sehr aufnahme- bereiten Ohren gerade von jenen Problemen und Sorgen sprechen konnte, die nicht nur Sache eines Bundeslandes sind. Angesichts der überbündischen Eintracht der dreitausend Delegierten konnte der Bundesobmann der Volksparfei soqar von seiner Hoffnung sprechen, dafj diese Geschlossenheit nun auch in der Gesamtpariei wiederheraestellf sei. Es ist zu hoffen, dafj er hier nicht Hoffnung mit Wirklichkeit allzu umfassend gleichqesefzt hat. Denn es gibt auch andere Bundesländer.

DER OPTIMISMUS WAR VERFRÜHT.

Allzu freundlich und warm lachte die Herbsfsonne für ein paar Stunden zwischen Rom und Wien. Der November hat sein Recht zurückgefordert. Das Tischgespräch der christlichen Demokraten Gorbach und Fanfani hat — so wichtig es als atmosphärischer Beifrag auch gewesen sein mag — in der Sache selbst keine Annäherung gebracht. Dafj die merilorische Seite der Südtirolfrage auf so kurzem Wege nicht geklärt werden konnte, überrascht niemand. Was man erhoffte, war wenigstens ein Einverständnis über das schon ominös gewordene „friedliche Mittel’ der weiteren internationalen Auseinandersetzung. Aber auch dieser Akkord kam nicht zustande. Österreich muß nun wohl oder übel seine Delegation unter der Führung des Außenministers wieder zur UNO schicken. Segni 1st schon einige Tage vor ihm in New York eingetroffen. Er hat reiche Munition milgebracht: Dokumentensammlungen, die die zumindest intellektuelle Mitschuld Wiens an den Terroranschlägen des Sommers beweisen wollen. Er hofft, dafj der eine oder andere der UNO- Delegierten Zeit zu dieser Lektüre finden wird, wenn schon nicht zum Spezialstudium des eigentlichen Völkerrechtstextes. Wir werden keinen leichten Stand haben. Was von ganz Österreich aber verlangt werden kann und mufj, ist, gerade jetzt eine gewisse Disziplin und Einigkeit, zumindest, so lange die Delegation im internationalen Kreuzfeuer steht. Ober das, was in den vergangenen Monaten unterlassen oder falsch gemacht wurde, kann man dann immer noch sehr gründlich sprechen.

DER SOUVERXN WIRD ENTSCHEIDEN. Mag der finnische Staatspräsident Kekkorven vielleicht auch im innersten Herzwinkel daran gedacht haben, dafj sein überraschender Beschluß, die Bevölkerung zur Wahl eines neuen Parlaments aufzurufen,

seine eigene Stellung dramatisch festigt: Richtig war sein Schritt für alle Fälle. Das Gespräch des finnischen Außenministers in Moskau brachte ein mcM ganz eindeutiges Ergebnis. Einmal betont die Sowjetunion. an den inneren Verhältnissen des kleinen, demokratischen Nachbarlandes nicht interessiert zu sein. Im gleichen Atemzug aber bezweifelt sie die Verläßlichkeit einer Neutralitätspolitik, die durch eine Regierung mit zu schmaler Basis getragen wird. (Was man in Moskau unter „Verbreiterung einer Regierung versteht, weiß man.) Wie immer man dies interpretieren mag — die finnische Regierung hat daraus den Auftrag abgelesen, sich ihr Mandat durch den einzigen Souverän der Demokratie, das Wählervolk, erneuern zu lassen. Sie hat damit den Staatsbürger an der Verantwortung unmittelbar beteiligt. Jeder einzelne Finne wird nun die Gewissens- und Feuerprobe für die Neutralitätspolitik seines freien Landes abzulegen haben: Eine sehr ernste Aufgabe, für die man auch anderwo jederzeit gerüstet sein sollte.

IST ES SO WEITI Das Treffen Kennedy-Adenauer in Washington am 20. und 21. November 1961 unterscheidet sich fundamental von den vielen Begegnungen, die der greise Bonner Kanzler im letzten Jahrzehnt mit den führenden Staatsmännern der USA hatte. Wir gestehen offen, nicht zu wissen, wie weit Dr. Adenauer in Washington gehen wird. Ein Sprung nach vorne, um seine neuen Regierungskollegen von der FDP zu überholen, wäre an sich ebenso denkbar wie eine neue Versteifung. Der Weg zurück ist aber nicht mehr möglich. Die beiden führenden Weltmächte haben sich in den letzten Monaten in vielen Gesprächen mehr hinter als vor den Kulissen abgetastet hinsichtlich ihrer Forderungen und hinsichtlich ihrer Angebote bezüglich Berlin, DDR und Friedensvertrag mit Deutschland. Vielleicht ist die vielberedete „Extratour des deutschen Botschafters Kroll In seinen „Angeboten an Chruschtschow unter anderen auch ein erstmaliger westdeutscher Versuchsballon. Nun, wahrscheinlich wird die Weltöffentlichkeit, nicht 0 bald Konkretes erfahren über die Verhandlungen zwischen Kennedy und Adenauer in Washington: dann nämlich erst, wenn es wirklich ernst geworden ist mit dem Verhandeln. An diesen oder an jenen Zeichen wird man erkennen können, ob der Westen sich einiqt und ob er zu konkreten Verhandlungen entschlossen ist. Zuerst aber müssen sich Kennedy und Adenauer über vieles, vieles einigen, bevor eine Aktion möglich ist. Vielleicht beschleunigt Mendes Schatten den Fuß des Bonner Kanzlers.

STICHWORT ALBANIEN: Während der bitterbösen Auseinandersetzung zwischen Stalin und Tito spielte sich Albaniens kommunistische Partei und Regierung (der Partei gehört dabei der Primat) zur allzeit getreuen Schützenhilfe Moskaus am Balkan, an der Adria auf. Der Kreml verstand seinerseits diese Schützenhilfe wörtlich und baute Albanien zu einem Brückenkopf an der Adria aus, wobei seine U-Boote sowohl Jugoslawien als das NATO-Italien ernst anvisierten. In dieser Woche soll nun, so meinen polnische Beobachter, über den Ausschluß Albaniens aus dem Warschauer Pakt verhandelt werden. Angeblich haben die Albaner dem Kreml unter anderem zwei U-Boote gestohlen. Dem Volk der Skipefaren ist dies zuzutrauen. Dennoch ist, trotz aller Kontroverse und aller Öffentlichkeit des Streits, ein Verhalten des Schritts, eine Bremsung der Moskauer Offensive durchaus möglich. Der nach- stalinistische Kreml kann sich an Stalins Erfahrungen mit Tito, an Pekings Pafronanz für Tirana, an den schlechten Eindruck bei den kommunistischen Parteien Asiens und Südamerikas, die auf Seite Albaniens stehen, erinnern. Nicht zuletzt könnte hier eine Rücksicht auf westeuropäische kommunistische Parteien mitspielen, die sich, zumal in Italien, aber auch in Frankreich innerlich, ohne viel Worte Moskau entfremdet haben. Togliatfis Mißbilligung der Umbenennung Sfalinqrads ist ein Symptom für diesen Prozeß. Es gibt eben heute für niemanden mehr ein Orakel im Kreml; es sei denn für Ulbrichf. Wenn also Chruschtschow nicht aus Prestigerücksichfen den Fall Albanien noch stärker aufspielf, ist mit einem anderen Unternehmen zu rechnen: mit der Inneren Zersetzung des kommunistischen Regimes in Albanien; nicht durch Rom, nicht durch Athen, wohl aber durch Moskau.

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