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Alois Mock: Der Sozialismus mub sich im Kern andern

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Es bedurfte eines ständigen Revisionsprozesses, um den orthodoxen Sozialismus mit einer freien parlamentarischen Demokratie vereinbar zu machen, meint der neue Klubchef der ÖVP Alois Mock. Stand mit Stephan Koren neben Josef Taus ein zweiter Wirtschaftsexperte an der Spitze der ÖVP, so bringt der Bildungs-, Gesellschafts-, Arbeitnehmer- und Außenpolitiker Mock voraussichtlich eine Akzentverlagerung in der Politik der großen Oppositionspartei. Die FURCHE befragte Dr. Mock zu den Bereichen Ideologie, Integration und Innenpolitik, insbesondere parlamentarische Praxis.

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Es bedurfte eines ständigen Revisionsprozesses, um den orthodoxen Sozialismus mit einer freien parlamentarischen Demokratie vereinbar zu machen, meint der neue Klubchef der ÖVP Alois Mock. Stand mit Stephan Koren neben Josef Taus ein zweiter Wirtschaftsexperte an der Spitze der ÖVP, so bringt der Bildungs-, Gesellschafts-, Arbeitnehmer- und Außenpolitiker Mock voraussichtlich eine Akzentverlagerung in der Politik der großen Oppositionspartei. Die FURCHE befragte Dr. Mock zu den Bereichen Ideologie, Integration und Innenpolitik, insbesondere parlamentarische Praxis.

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FURCHE: Herr Dr. Mock, Sie gelten wie Parteiobmann Dr. Taus als Verfechter der Katholischen Soziallehre. Kann man das so formulieren?

MOCK: Ja, ich glaube persönlich, daß Katholische Soziallehre und auch protestantische Sozialethik maßgebliche Orientierungsquellen weltanschaulicher Natur für das politische Programm der ÖVP sind.

FURCHE: Sehen Sie konkrete Ansatzpunkte, die Katholische Soziallehre in die Politik umzusetzen?

MOCK: Selbstverständlich. Erstens hat sie sich niedergeschlagen im Salz-burger Programm von 1972. Zum Beispiel bekommt der Gedanke der Partnerschaft seinen zentralen Ansatz von der Katholischen Soziallehre. Die Partnerschaft zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer war eine Zentralidee, die um die Jahrhundertwende diskutiert worden ist - von unseren grundsatzpolitischen Vorläufern. Sie wurde dort als „Sozialromantik“ abgetan, hat aber in Österreich etwa in Form der Sozialpartnerschaft eine Ausformung erhalten. Es ist interessant, daß Prof. Leser, einer der anerkanntesten sozialistischen Programmatiker, einmal in einem Aufsatz in der „Presse“ festgestellt hat, daß die Idee der Sozialpartnerschaft ihre ideologische Herkunft von der Katholischen Soziallehre hat und seinerzeit als Utopie bezeichnet worden ist. Das ist ein Ansatzpunkt.

Die ganze Frage der Eigentumspolitik, einer breiten Streuung von Indivi-dualeigentum ist ein anderer Ansatzpunkt. Ein dritter Ansatzpunkt ist der Bereich der Familienpolitik, die Feststellung, daß es natürliche Rechte und Pflichten der Eltern gibt, etwa das Erziehungsrecht, das nicht ein vom Gemeinwesen den Eltern übertragenes Recht, sondern ein natürliches Elternrecht ist, das vom Gemeinwesen sicher zu unterstützen ist - durch Einrichtungen wie Elternberatungen oder Kindergärten oder die Schule -,,aber das ursprüngliche Recht hegt bei den Eltern.

Man könnte einen weiteren Ansatzpunkt bringen, die Frage der Liberalität. Sie ist meiner Auffassung nach ein echter Bestandteil christlich-demokratischer Programmatik, denn wenn die menschliche Person einen so hohen Stellenwert hat wie nach dem christlichen Menschenbild, dann muß auch die Toleranz, der Respekt vor der individuellen Meinung, einen sehr hohen Stellenwert haben. Das heißt, christlich-demokratische Politik muß hohe Liberalität aufweisen. Wir standen im Kampf mit dem Liberalismus nur dort, wo Liberalismus die totale Relativierung aller Wertvorstellung bedeutet, hat im ökonomischen eine reine Laissez-faire-Politik ohne soziale Verantwortung. Wir waren in Auseinandersetzung mit dem Liberalismus dort, wo er einen antiquierten Antikle-rikalismus bedeutet hat, zu dem sich heute ohnehin - zumindest offiziell -kaum noch jemand bekennt. Aber im Sinn eines hohen Stellenwertes der Grund- und Freiheitsrechte des einzelnen, im Sinn eines hohen Stellenwertes der Toleranz und des Respektes vor den anderen ist Liberalität auch Bestandteü christlich-sozialer oder christlich-demokratischer Programmatik.

FURCHE: Also bekennen Sie sich auch mehr oder weniger zum Schlagwort „Freiheit statt Sozialismus“? |

MOCK: Es ist hier sicher eine Problemstellung gegeben, denn je dichter eine Programmatik sozialistisch ist -im Sinne des orthodoxen Sozialismus -, desto mehr kommt es auch zur Diskussion um die individuelle Freiheit. Aber es gibt eine Fülle von Schattierungen vom Sozialismus etwa des europäischen Ostens bis zum demokratischen Sozialismus des Westens. Es wurde ein Revisionsprozeß gegenüber dem orthodoxen Sozialismus vollzogen, um überhaupt als sozialistische Partei im Gefüge einer freien parlamentarischen Demokratie mitarbeiten zu können. Das war die Spaltung zwischen dem orthodoxen Sozialismus, der sich dann Kommunismus genannt hat, weiterhin fest auf dem Boden des Kommunistischen Manifestes basiert, und der Gründung der sozialistischen Parteien. Der orthodoxe Sozialismus mußte einer ständigen Revision unterzogen werden, um mit einem System von Grund- und Freiheitsrechten, dem Mehrparteiensystem, dem System der Machtalternative zwischen Regierungspartei und Opposition, vereinbart zu werden.

FURCHE: Aber eine gewisse Revision ist auch im katholischen Lager immer wieder nötig. Oder läuft es hier ganz in orthodoxen Bahnen?

MOCK: Ich glaube, daß es bei der Katholischen Soziallehre darum geht, daß man sich im Kern zu den gleichen Grundsätzen bekennen kann wie um die Jahrhundertwende. Zwar besteht die Frage: Was bedeutet das in einer fortentwickelten Industriegesellschaft? In einer postindustriellen Gesellschaft? Doch der Grundsatz an und für sich müßte nicht revidiert werden, wogegen beim Sozialismus notwendig war, daß im Kern echt andere Auffassungen Platz griffen gegenüber denen von Marx und Engels.

Es gibt demokratische Sozialisten, die sich sehr wohl noch zum Marxismus bekennen und bemüht sind, die christlich-demokratische Struktur vereinbar zu machen mit ihrer marxistischen Grundsatzposition. Es gibt Sozialisten, die Karl Marx schon längst zum alten Eisen geworfen haben. Und es gibt vor allem natürlich die Taktik, die darin besteht, daß man versucht zu verbergen.

Der Bundeskanzler sagt gerne „Wir Sozialdemokraten“, als ob er ein schlechtes Gewissen hätte, wenn er sagte „Wir Sozialisten“. Das überzeugte Mitglied einer sozialistischen Partei ist Sozialist und hat auch Anrecht auf Respekt vor seiner politischen Uberzeugung. Aber man hat den Eindruck, er tut sich hier schwer und will das dann psychologisch abschwächen, indem er das Wort „Demokrat“ dazuhängt, als ob daran jemand zweifeln könnte.

FURCHE: Was halten Sie von jenen Eurokommunisten, die vom Marxismus nun Abstand nehmen - zumindest verbal?

MOCK: Ja, aber nur verbal. Es gibt kein Beispiel, wo Kommunisten die Macht erobert hätten, ohne dann eine Diktatur einzurichten. Und solange die Eurokommunisten sich nicht eindeutig distanziert haben, nicht nur von der Diktatur des Proletariats und nicht nur vom Klassenkampf, sondern auch vom proletarischen Internationalismus, vom demokratischen Zentralismus, von den Verbrechen der Vergangenheit, und das nicht nur verbal, sondern in der politischen Praxis, können sie nicht Anrecht erheben auf Glaubwürdigkeit.

FURCHE: Wie sehen Sie nun als Vizepräsident der Union Christlich-Demokratischer Arbeitnehmer die Rolle eines österreichischen Christdemokraten im Hinblick auf Europa?

MOCK: Ich glaube, es gibt für Europa nur einen positiven Weg, das ist, die europäische Einigung voranzutreiben. Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft ist in hohem Ausmaß eine Gesellschaft zum gegenseitigen wirtschaftlichen Vorteil geworden und weniger eine Gemeinschaft, in der eine politische Idee der Einheit Europas wirkt. Vor allem die Christdemokraten haben Ende der vierziger und während der fünfziger Jahre diese Idee der europäischen Einigung massiv entwickelt - ob es nun Schuman, De Gasperi oder Adenauer war. Dann hat ein Wandel Platz gegriffen in den innenpolitischen Verhältnissen der europäischen Staaten, die sehr oft Sozialisten zur Mehrheitspartei gemacht haben. Interessant, daß damit - grob gesprochen - ein Absacken der politischen Dynamik der europäischen Idee zusammenfällt. Ich glaube, daß es eine Aufgabe der Christdemokraten wäre, für eine Renaissance der politischen Idee Europas Sorge zu tragen, durch jene Zusammenschlüsse, die von den Christdemokraten erfolgt sind, also innerhalb der EWG die EVP, die Europäische Volkspartei, auf gesamteuropäischer Ebene die UEDC und dann im speziellen die Union Christlich-Demokratischer Arbeitnehmer, die ihre Bedeutung vom gesamteuropäischen Strukturwandel erhält.

Als Österreicher kann man natürlich bei diesem ganzen Prozeß nur so weit mitgehen, wie das mit unserem Status als neutrales Land vereinbar ist, aber auch für uns ist eine solche Entwicklung einer politischen Integration der anderen europäischen Staaten von größtem Interesse, weil sie eine natürliche Gleichgewichtssituation zwischen Ost und West in Europa wahrt. An einer solchen Situation kann ein neutraler Staat nur Interesse haben.

FURCHE: Zurück zur Innenpolitik. Das Jahr 1978 ist einmal von der ÖVP als „Jahr der Alternativen“ angekündigt worden. Wird das Auswirkungen auf die parlamentarische Praxis haben?

MOCK: Sicherlich. Neben der ersten Aufgabe der Opposition, die Kontrolle der Regierung sicherzustellen, wird auch die Vorstellung unserer Alternativen größeren Raum einnehmen. Das hat sich ja schon im Spätherbst gezeigt, als das Arbeitsmarktkonzept von Dr. Taus immer wieder im Parlament zur Sprache gebracht wurde, wobei leider die Bundesregierung bisher abgelehnt hat, das Gespräch darüber zu eröffnen. Obwohl es sich schwerpunktmäßig gerade auch mit der Frage der Arbeitsplätze für den jungen Menschen, für die berufstätige Frau, für den älteren Arbeitnehmer beschäftigt, drei besonders gefährdete Gebiete. Wir haben das kommunalpolitische Konzept vorgestellt, als nächstes wird wahrscheinlich ein ernährungswirtschaftliches Konzept kommen, das einen hohen Grad an Selbstversorgung für unsere Land sicherstellen soll. In dem Tempo, in dem diese Konzepte erstellt werden, werden sie auch in die politische Diskussion eingebaut werden.

FURCHE: Man sagt der ÖVP nach, daß ihre Spitzenfunktionen nach einem starren Bündeproporz vergeben werden, und spricht sofort von einer Parteikrise, wenn dies, wie bei Ihrer Wahl, deutlich nicht der Fall ist. Wie sehen Sie diese Situation?

MOCK: Irgendwann ist die Nachrede aufgekommen, hier werde nach bündischen Gesichtspunkten eingeteilt, obwohl dem die Praxis der letzten zehn Jahre bei jeder Gelegenheit widerspricht. Ich will gar nicht in die weitere Vergangenheit zurückgehen. Der Bundesparteiobmann verweist zu Recht darauf, kein Mensch habe über die bündische Problematik diskutiert, als der frühere Generalsekretär des Wirtschaftsbundes und Generalsekretär der Partei Dr. Busek nach Wien als Landesparteiobmann berufen wurde -an die Stelle des Kollegen Dr. Bauer, der selbst wieder aus dem ÖAAB kam. Niemand hat von bündischen Schwierigkeiten gesprochen, als der Kollege Lanner, der bekanntlich Bauern-bunddirektor war, an die Stelle von Dr. Busek kam. Das sind nur zwei Beispiele, hier könnte man viele anführen.

FURCHE: Wo sind Ihre persönlichen Schwerpunkte in der Politik?

MOCK: Das hängt natürlich auch von der Klubarbeit ab, ich kann das nicht nur nach meinem persönlichen Interesse aussuchen, ich habe gewisse Verpflichtungen gegenüber dem Parteiobmann wie gegenüber dem Klub, wo hier Schwerpunkte gesetzt werden, mich auch besonders zu engagieren. Daß mich Bildungspolitik, Wissenschaftspolitik, Gesellschaftspolitik, Politik im Bereich der Industriegesellschaft, im Arbeitnehmerbereich, auch Außenpolitik besonders interessieren, ist klar. Aber ich muß primär darauf Rücksicht nehmen: Was ist der Arbeitsauftrag des Klubs für den Klubchef? Was ist die vom Bundesparteiobmann und von der Gesamtpartei formulierte Politik? Mein Beitrag zu diesem Vorgang kommt sicher von meiner Auffassung her, daß Kontrolle der Regierung die erste Aufgabe der Opposition ist. Man wird sich daher mit der ganzen Verschwendungspolitik der Bundesregierung beschäftigen. Die Bevölkerung erwartet, daß die Opposition überall dort hinzeigt, wo die Steuergelder beim Fenster hinaus oder, wie bei der Durchführung der Schulbuchaktion in den Papierkorb hineingeworfen werden. Die Frage der Bürokratisierung, die unser ganzes Leben so belastet, ist ein weiteres Problem. Und die Frage der Machtakkumulation. Ob es jetzt der ORF ist, der zu einem in vieler Hinsicht abhängigen Instrument der Bundesregierung geworden ist, ob die Autonomie der wissenschaftlichen Institutionen, vor allem der Universitäten, eingeschränkt wird durch das UOG, und^ie abhängig gemacht werden vom zuständigen Minister! Das sind zwei Beispiele. Ein Gemeinwesen ist eben um so demokratischer organisiert, je dezentralisierter das System arbeitet, je ausgewogener Macht und Kontrolle sind.

FURCHE: Wie sehen Sie in diesem Zusammenhang die Rolle des Parlamentes? Ist es nicht so, daß im Parlament, zumindest im Plenum, nicht mehr die wichtigen Entscheidungen fallen, sondern eher in Ausschüssen, wenn nicht gar unter den Sozialpartnern oder in der Löwelstraße?

MOCK: Es ist sicher richtig, daß, was das Parlament anbelangt, die wertvolle Arbeit im Sinne der sachpolitischen Diskussion und sachpölitische Entscheidungen in den einzelnen Ausschüssen oder im Unterausschuß geleistet werden. Daher ist es auch bedauernswert, daß über diese Arbeit die Öffentlichkeit nicht informiert wird, daß es keine Sendungen im Fernsehen gibt, wie es in einem Ausschuß zugeht. Der politisch mündige Bürger glaubt, wenn er die Übertragung aus dem Plenum sieht, das sei schlechthin die Parlamentsarbeit, während im Plenum normalerweise nur die Abschlußdiskussion erfolgt. Er fragt sich auch: Bitte, was ist denn sonst los im Parlament, wenn nur an zwei Tagen eine Übertragung stattfindet - die übrigens auch laufend eingeschränkt wird -, was passiert denn sonst im Parlament? Uber die geringste Regierungsfunktion wird mehr informiert, mehr Steuergeld verwendet, um zu informieren, als über das Gesamtfunktionieren des Parlaments. Hier ist ein echtes Defizit in unserer Demokratie.

FURCHE: Ist hier nicht eine Aufgabe für Sie als Klubobmann?

MOCK: Zweifellos! Man soll da keine spektakulären Ankündigungen machen, weil da eine längerfristige Arbeit notwendig sein wird und sehr viel Zähigkeit. Aber das ist unbedingt notwendig!

Mit Dr. Alois Mock sprach Heiner Boberski.

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