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Die Grenzen der Freiheit

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Das Europäische Forum Alpbach stand heuer unter dem Generalthema: „Die Grenzen der Freiheit“. Im Rahmen des Generalthemas fand dieses Jahr ein bemerkenswertes juristisches Gespräch statt, an dem Justizminister Broda neben anderen Politikern teilnahm. Broda hielt dabei ein Referat, in dem er sich mit den Parteien und den individuellen Freiheitsrechten befaßte. Das Referat von Broda verdient über den Tag hinaus Beachtung, da er über weite Strecken gesellschaftsphilosophische Grundfragen berührte und grundsätzliche Positionen vorstellte.

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Das Europäische Forum Alpbach stand heuer unter dem Generalthema: „Die Grenzen der Freiheit“. Im Rahmen des Generalthemas fand dieses Jahr ein bemerkenswertes juristisches Gespräch statt, an dem Justizminister Broda neben anderen Politikern teilnahm. Broda hielt dabei ein Referat, in dem er sich mit den Parteien und den individuellen Freiheitsrechten befaßte. Das Referat von Broda verdient über den Tag hinaus Beachtung, da er über weite Strecken gesellschaftsphilosophische Grundfragen berührte und grundsätzliche Positionen vorstellte.

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Das Europäische Forum in Alpbach ist ein bekannt liberaler Boden; offensichtlich hat die Landschaft von Alpbach auf das Referat abgefärbt. Legte man es ohne Namensnennung einem gesellschaftspolitisch versierten Analytiker vor, so wunde dieser keineswegs erkennen können, daß es sich hier um grundsätzliche Erklä-. rungen eines Ministers einer sozialistischen Regierung handelt. Broda stellt sich hier in eine sich abzeichnende Tendenz, von den Positionen des Sozialismus und des Wiener Programms der Sozialisten — scheinbar? — abzurücken und andere gesellschaftsphilosophische Grundhaltungen au vertreten: solche, die bisher liberale und christlichdemokratische Politik kennzeichneten und mit der marxistischen Grundlage des Sozialismus unvereinbar sind. So vertritt Broda in seinem Referat einen Demokratiebegriff, den er von Schumpeter übernimmt, zitiert laufend Ralf Dahrendorf, und in seinen mündlichen Ausführungen zum Referat bezog er sich sogar auf das naturrechtliche Subsidiaritätsprinzip. Prof. Matzner, der vom Parteivorsitzenden der SPÖ, Bruno Kreisky, beauftragt wurde, Vorarbeiten für ein neues sozialistisches Parteiprogramm aui koordinieren, hat seine „Notizen zur Gesellschaftsreform“, die er als einen Aufruf zu einem zeitgemäßen Humanismus versteht, den Konservativen in allen Parteien gewidmet.

Die Grundfrage, die es in diesem Zusammenhang zu klären gilt, liegt nun darin, ob es sich lediglich um Worte handelt, mit denen bekanntlich trefflich zu streiten ist, oder ob hier in der Tat ein Wandel eingetreten ist, der sich auch in Taten äußert. „Den Winker nach rechts hinausgeben, aber nach links fahren“, ist dialektische Taktik. Die Frage ist nur, ob sie im gegenständlichen Fall (von langer Hand vorbereitet) verfolgt wird.

Die Kernpunkte des Broda'schen Referates bestanden in einem ausgeprägten Bekenntnis zu den individuellen Freiheitsrechten. Er verwies dabei auf die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, die er als einen umfassenden und sehr modernen Grundrechtskatalog qualifizierte. Eine Definition, was er zu jenen individuellen Freiheiten zählt, für deren Verwirklichung er sich so markant einsetzte, gab Broda nicht. Ausgehend von seinem Bekenntnis zu einem weitestgehenden Schutz der individuellen Freiheit und von der Notwendigkeit eines individuellen Rechtschutzes, qualifizierte er die Menschenrechte als den wesentlichen Bestandteil einer Demokratie. Auch im Demokratiebegriff gab sich Broda außerordentlich liberal; er bekannte sich zu einem Parteienpluralismus und zu einem Wettkampf verschiedener ideologischer Richtungen: „Demokratie setzt voraus, daß mindestens zwei Parteien im Wettkampf um die politische Führung stehen. Wir werden hinzufügen, daß der Wettbewerb unter den Bedingungen der Teilnahme der gesamten erwachsenen Bürger eines Landes, die das allgemeine, gleiche, geheime und direkte Wahlrecht ausüben, stattfindet, daß materielle und formelle Rechtsstaatlichkeit unter striktester Beachtung der richterlichen Unabhängigkeit funktioniert und daß allen Einwohnern des Landes die Ausübung der individuellen Freiheitsrechte gesichert ist.“

Bei der Definition der Aufgabe der Parteien im Hinblick auf die Grundrechte sagte Broda wörtlich:

„Parteien, die es verabsäumen, ihren Beitrag zur gesellschaftlichen Bewußtseinsbildung über die Unabdingbarkeit und Unentbehrlichkeit gesicherter individueller Freiheitsrechte für das Zusammenleben der Menschen in der pluraUstischen Gesellschaft zu leisten, verfehlen ihre geschichtliche Aufgabe.“

Er fügte dem hinzu, daß die politischen Parteien erst dann, wenn sie dieser ihrer wahrhaften Aufgabe gerecht werden, über ein bloßes Organisationsschema hinaus wachsen. Erst in der Tat werden sie mehr als Verkäufer tagespolitischer Konsumartikel.

Zentral in den Ausführungen Brodas war das Bekenntnis zu den individuellen Freiheitsrechten, wobei er sich hier durchaus liberale Positionen zu eigen machte: unantastbare Freiheitsrechte als Garantie für vom Staat unantastbare Freiräume. Im sozialistischen Parteiprogramm lauten die Dinge deutlich anders:

„Demokratie gewährt Freiheit in der Gemeinschaft und verlangt verantwortliche Mitarbeit jedes einzelnen Staatsbürgers anstelle verantwortungsloser Freiheit von den Pflichten der Gemeinschaft. Sie sichert die persönliche Freiheit in der Gemeinwirtschaft einer sozialistischen Gesellschaftsordnung.“

Ein solches Grundrechtsverständnis entspricht dem sozialistischen Menschenbild, das die Gemeinschaft, das Kollektiv, vor den einzelnen stellt und individuelle Freiheitsrechte im Sinne von angeborenen, vorgesellschaftlichen, unveräußerlichen Rechten des Menschen nicht kennt. Analysiert man die Praxis des sozialistischen Grundrechtsver-ständndsses, wie es in den Gesetzen des Tages zum Ausdruck kommt, so kann von einem Beachten von Frei-räumeni des einzelnen keineswegs die Rede Sein. Der würgende Griff des Staates auf die Existenz wird immer stärker. Die Techniken, derer sich der Staat dabei bedient, werden immer feiner. Beispiele hiefür sind sehr leicht zu finden: Erst unlängst hat Heribert Steinbauer in schöner Klarheit aufgezeigt, wie sich die Rundfunkreform auf die Meinungsfreiheit der Journalisten auswirkt: die Sozialwissenschaftliche Arbeitsgemeinschaft (SWA) hat in der Bilanz über die Hochschulreform Gleiches in bezug auf die Einschränkung der Lehrfreiheit durch die Hochschuländerung analysiert. Tn einer demnächst erscheinenden Studie von Millendorfer und Gaspari wird der Würgegriff auf den einzelnen im Bereich der Erziehung und der Familienpolitik durch ein Bünde! von sozialen, wirtschaftlichen und planerischen Maßnahmen und Steuerungen so plastisch, daß jeder halbwegs gesellschaftspolitisch ansprechbare Mensch schockiert ist. Beispiele gäbe es noch viele.

Im Kern des Referats von Broda standen die mahnenden Worte an alle politischen Parteien, sich für die stete Respektierung der Grundrechte einzusetzen. In der Diskussion wurde die Frage gestellt, wie er die hinlänglich bekannten Angriffe auf die Meinungsfreiheit der Journalisten im Rahmen der Wiener Konferenz der SPÖ nach dem Reichsbrückeneinsturz in diesem Zusammenhang beurteilen würde. Hier siegte der Politiker über den Philosophen: Die Frage wurde ausweichend beantwortet, keinesfalls jedoch im Sinne der allgemeinen Ausführungen, in denen Broda sich so rückhaltlos für eine Respektierung der individuellen Grundrechte, also auch jener der Journalisten, einsetzte ... Mit Worten läßt sich trefflich streiten!

Interessant war im, übrigen, daß Broda bei der Behandlung des Themas ,Parteien und individuelle Freiheitsrechte“ die Parteien nur durchaus positiv sah. Die fundamentale Frage, die ein Weiterdenken in den Kategorien des liberalen Grundrechtsverständnisses bedeutet, wurde nicht gestellt: wieweit beeinträchtigen staatsähnliche Großkolektive, wie (wer wagt dies in Österreich auszusprechen?) der Gewerkschaftsbund, aber auch die politischen Parteien selbst, die individuellen Freiheitsrechte des Menschen? Ist hier der klassische Grumdrechtsscbutz nicht einfach wirkungslos: Gesin-mingsterror bei der Wohnungsvergabe, bei der Postenvergabe, im Betrieb, im Sozialbereich. Dieser Frage wich Broda aus.

Nun zum Bekenntnis des sozialistischen Ministers zur pluralistischen Demokratie: Broda distanzierte sich letzten Endes von den Sätzen des Parteiprogramms ebenso, wie von den Meinungen von Bruno Kreisky, wie sie in den Briefen und Gesprächen mit Willy Brandt und Olof Palme zum Ausdruck kommen. So vor dem Villacher Parteitag 1972 zum Wiener Programm: „Die Sozialisten wollen eine Gesellschaftsordnung, also eine Ordnung der Lebensverhältnisse und der Beziehungen der Menschen zueinander, deren Ziel die freie Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit ist. Sie wollen die Klassen beseitigen und den Ertrag der gesellschaftlichen Arbeit gerecht verteilen... Sozialismus ist uneingeschränkte politische, wirtschaftliche und soziale Demokratie; Sozialismus ist vollendete Demokratie.“

In den bereits zitierten Gesprächen und Briefen mit Brandt und Palme wiederholt Kreisky seine Vorstellungen:

„Max Adler spricht in seiner Staatsverfassung des Marxismus'* von der Notwendigkeit der begrifflichen Verbindung von Demokratie und Sozialismus'. Er trennt die politische und soziale Demokratie und hat mit dieser Trennung — so wenig man sich deshalb mit seinen sonstigen Schlußfolgerungen identifizieren muß — mehr Recht denn je. Denn Sozialismus ist — wie das “Wiener Programm von 1958 festlegt — die uneingeschränkte politische, wirtschaftliche und soziale Demokratie'. Es handelt sich bei der Verwirklichung der sozialen Demokratie um einen ununterbrochenen dialektischen Prozeß. Und ich sage das bewußt. Die kommende Gesellschaft ist — und hier scheue ich mich nicht, ein Wort von Marx zu gebrauchen — dos Ergebnis ,einer ganzen Reihe geschichtlicher Prozesse, durch welche die Menschen, wie die Umstände gänzlich umgewandelt werden'.“

Etwas später meint Keisky:

„Es gibt daneben Diktaturen mit mehreren Parteien. So haben einige kommunistische Staaten nominell verschiedene Parteien, und auf anderen Kontinenten gibt es Länder mit nur einer zugelassenen Partei; innerhalb dieser Partei aber entfalten sich Richtungen und soziale Gruppierungen, und aus ihrem Widerstreit kann wohl eine demokratische Entwicklung resultieren. Denn das scheint mir das Essentielle an der Demokratie zu sein, wenn es Richtungen, soziale Gruppierungen gibt, zwischen denen die Auseinandersetzung um Staat und Gesellschaft stattfindet.“

Diese Zitate sprechen für sich. Sie sind mit dem liberalen Demokratlebegriff nicht vereinbar. Auch hier stehen sich also offizielle Positionen und die Ausführungen des liberalen Broda „gegenüber“. Auch hier kann nur eine Analyse der Taten zeigen, wie weit das Bekenntnis zum Pluralismus nur ein Lippenbekenntnis ist, wie weit die Worte des Vorsitzenden Kreisky und die Stellen in seinen programmatische Aussagen und dn denen der gesamten Partei zu qualifizieren sind.

Jedenfalls hat Minister Broda mit seinem Alpbacher Referat den Bai aufgenomen>, und einen Beitrag zur längst fälligen gesellschaftspolitischen Diskussion in Österreich, die unter dem Schlagwort Ideologiediskussion läuft, geleistet. In Zukunft wird es wohl wesentlich sein, alle Gesetze und Verordnungen, die von der sozialistischen Regierung kommen, darauf zu überprüfen ob sie jenem liberalen Gedankengut entsprechen, zu dem sich Broda im liberalen Alpbach bekannt hat. Und was wird dazu eine sozialistische Partei sagen?

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