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Wissens-, nicht Gewissensfragen

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Das Strafgesetz ist eine zu ernste Angelegenheit, als dafj es zum Gegenstand oder gar zum Opfer faktischer Machinationen herabgewürdigt werden kann, schrieb Winfried Eder in Nummer 44 der „FURCHE". Justizminister a. D. Dr. Christina Broda nimmt in diesem Interview zum weiteren Schicksal der Strafrechtsgesetzgebung Stellung. Broda Ist Vertreter der SPÖ im Justizausschuh des Nationalrates, der derzeit den Strafgesetzentwurf behandelt.

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Das Strafgesetz ist eine zu ernste Angelegenheit, als dafj es zum Gegenstand oder gar zum Opfer faktischer Machinationen herabgewürdigt werden kann, schrieb Winfried Eder in Nummer 44 der „FURCHE". Justizminister a. D. Dr. Christina Broda nimmt in diesem Interview zum weiteren Schicksal der Strafrechtsgesetzgebung Stellung. Broda Ist Vertreter der SPÖ im Justizausschuh des Nationalrates, der derzeit den Strafgesetzentwurf behandelt.

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FURCHE: Herr Dr. Broda, was erachten Sie als den vernehmlichsten Sinn und Zweck eines Strafgesetzes?

DR. BRODA: In Übereinstimmung mit der Grundlinie der österreichischen Strafrechtsreformkommission sehe ich die Aufgabe eines neuen Strafgesetzes in einem zeitgemäßen Rechtsgüterschutz, der den Auffassungen der Gesellschaft entspricht, sowie in der Schaffung optimaler Voraussetzungen für die Wiedereingliederung der Gesetzesbrecher in die Gesellschaft. Die Kommission und die Entwürfe 196466 standen auf dem Boden der weltanschaulichen Neutralität des Strafgesetzes, das bedeutet, daß die Bestimmungen des StG so gefaßt sein müssen, daß sie von einer großen Mehrheit, unabhängig vom weltanschaulichen Standpunkt, akzeptiert werden können.

FURCHE: Halten Sie einzelne Abgeordnete der ÖVP für absolute Verfechter des Standpunktes der österreichischen Bischofskonferenz, und führen Sie die Änderungen der jetzigen Regierungsvorlage Ihrem Entwurf gegenüber auf deren Einfluß zurück?

DR. BRODA: Keine Partei, auch nicht die ÖVP, kann sich auf Erklärungen von kirchlicher Seite berufen. Bis heute ist mir eine offizielle Stellungnahme der Bischofskonferenz zum Entwurf nicht bekannt. Ich bin darüber sehr froh, weil das Gespräch im Justizausschuß des Nationalrats nach jeder Seite hin offen geführt werden kann — oder, wie ich es als Sprecher der SPÖ formuliert habe, ohne Präjudiz und ohne Prestigeerwägung. Es trifft jedoch zu, daß ich während meiner Amtszeit ein Fachgespräch über den StG-Entwurf mit Vertretern der Bischofskonferenz begonnen habe, well ich der Ansicht war, daß auch die Auffassung einer so großen gesellschaftlichen Kraft, wie es die katholische Kirche in Österreich ist, im Zuge der Ausarbeitung des Strafgesetzentwurfes einzuholen war. Ich habe auch der evangelischen Kirche den Entwurf übermittelt.

FURCHE: Wieso kritisierte dann ihre Partei die Verhandlungen Ihres Amtsnachfolgers mit dem Beauftragten der Bischofskonferenz so heftig und warum bestehen heute schwerwiegende inhaltliche Differenzen?

DR. BRODA: Unsere Kritik hat sich nicht gegen die Fortführung des Gespräches nach dem April 1966 gerichtet, sondern gegen das Ergebnis, das nach dem Gespräch mit Bischof Dr. Läszlö bekanntgegeben wurde. Ich bin nach wie vor überzeugt, daß bei den zur Diskussion stehenden Fragen in Wirklichkeit keine weltanschaulichen Fragen oder Fragen des Glaubens maßgeblich sind, sondern daß es sich dabei ausschließlich um Fragen kriminalpolitischer Zweckmäßigkeit oder, anders ausgedrückt, um Wissensund nicht um Gewissensfragen handelt. Persönlich bin ich darüber froh, daß in jüngerer Zeit von maßgeblichen katholischen Sprechern wie Prälat Dr. Ungar und Prof. D. Böckle ein gleicher Standpunkt eingenommen wurde.

FURCHE: Glauben Sie, daß eine Volksabstimmung über die strittigen Fragen am ehesten den wirklichen Standpunkt der Staatsbürger zu den Hauptproblemen ergeben würde?

DR. BRODA: Ich halte diese Fragen nicht für eine Entscheidung durch direkte Demokratie geeignet. Gerade weil es sich, wie ich sagte, um Wissens- und nicht um Gewissensfragen handelt, ist die Erörterung und Entscheidung im Wege der durch unsere Verfassung vorgesehenen Organe der repräsentativen Demokratie geboten. Außerdem gäbe es kaum eine praktische Möglichkeit der Volksabstimmung nach unserer Verfassung, da einer solchen nur ein im Parlament beschlossenes Gesetz unterzogen werden kann.

FURCHE: Warum werden die Beratungen noch nicht im Unterausschuß fortgesetzt? Man könnte den Eindruck einer Verschleppungstaktik erhalten!

DR. BRODA: Im derzeitigen Stadium halte ich eine Entscheidung über die Einsetzung eines Unterausschusses noch nicht für spruchreif, da eine Reihe von Fragen noch im Justizausschuß diskutiert werden sollen. Ich habe für diese Grundsatzdiskussion im Justizausschuß fünf Fragenkomplexe vorgeschlagen: Einteilung der strafbaren Handlungen, Einteilung der Strafen, Freiheitsstrafe (kurzfristige Freiheitsstrafe, Strafumwandlung), Rechtsfolgen (Tilgung und beschränkte Auskunft), Strafgesetz und Privatsphäre des einzelnen.

FURCHE: Hätte Österreich im Falle des Weiterbestehens der großen Koalition bereits ein neues Strafgesetz?

DR. BRODA: Das kann ich Ihnen beim besten Willen nicht beantworten.

FURCHE: Herr Abgeordneter, recht herzlichen Dank für das Gespräch.

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