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Reform vor dem Ziel?

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Der Optimismus, den Justizminister Klecatsky vertritt, scheint durchaus gerechtfertigt zu sein: Die Strafrechtsreform steht vor ihrem erfolgreichen Abschluß. Ein solcher Abschluß kann nach der Auffassung des Ministers nur in der Verabschiedung eines Strafgesetzentwurfes mit einer großen parlamentarischen Mehrheit bestehen; und eine solche Mehrheit setzt die Zustimmung der Sozialisten voraus.

Daß das geltende Strafrecht, das seit 1852 in Geltung ist, in seinem Kern jedoch aus dem Jahre 1803 stammt, den gesellschaftlichen Realitäten und Notwendigkeiten nicht mehr entspricht, darüber besteht bei allen mit der Materie Vertrauten Übereinstimmung. Aber auch für den Inhalt eines neu zu schaffenden Strafrechtes wurde schon ein sehr weitgehender gemeinsamer Nenner gefunden. In den ersten Entwurf, der auf den Ergebnissen der Strafrechtskommission beruhte, arbeitete noch Minister Broda die verschiedenen Stellungnahmen ein. Mit der österreichischen Bischofskonferenz wollte Broda noch wegen einiger strittiger Punkte verhandeln. Diesen Weg setzte nun Brodas Nachfolger vor einigen Wochen anläßlich eines Besuches beim Beauftragten der Bischofskonferenz, Bischof Läszlö fort.

Nach diesem Gespräch zwischen dem Bischof und dem Minister gibt es nur noch wenige, relativ unbedeutende Fragen, die zwischen dem Ministerium und der Bischofskonferenz offen sind. Durch Kontaktgespräche zwischen dem Kanzleidirektor der Bisehofskonferenz, Kanonikus Kostelecky, und Sektionschef Serini sollen sie geklärt werden. Die Änderungen, die Klecatsky am letzten Entwurf Brodas vorgenommen hat, schufen jedoch einen Gegensatz zum sozialistischen, vor allem von Broda und Tschadek vertretenen Standpunkt. Dieser Gegensatz konzentriert sich auf ein einziges Problem, auf die Strafbarkeit der Homosexualität unter Erwachsenen, die sogenannte „einfache Homosexualität“. Die Sozialisten sind in Ubereinstimmung mit den (oft mit nur knapper Mehrheit gefaßten) Beschlüssen der Strafrechtskommission nach wie vor der Meinung, daß Strafdrohungen zum Schutz Jugendlicher, gegen gewerbsmäßige Unzucht, gegen öffentliche Unzucht und gegen Werbung für Unzucht ausreichen. Diesem Standpunkt kommt Klecatsky insofern entgegen, als die letzte Fassung des Entwurfes die einfache Homosexualität nicht mehr als Verbrechen, sondern nur noch als Vergehen qualifiziert. Doch auch das erscheint den Sozialisten als zu großer Rückschritt gegenüber den Beschlüssen der Strafrechtskommission.

Die Sozialisten scheinen dem neuen Strafgesetz nach wie vor eine besondere grundsätzliche Bedeutung beizumessen. Das war schon so, als Broda als Minister die Schaffung eines neuen Strafgesetzes in den Mittelpunkt seiner gesamten Tätigkeit stellte. Auf der linken Seite des politischen Spektrums bekommt man viel häufiger als auf der rechten prinzipielle Argumente zu hören. Diese Tendenz der Sozialisten, die Reform des Strafgesetzes als Maßstab für einen Fortschritt der Gesellschaft zu sehen, dürfte im Endspurt der Reform eher noch zu- als abnehmen. So wird von sozialistischer Seite der Plan ventiliert, im Herbst eine Enquete zu veranstalten, bei der die noch strittigen Fragen — also vor allem die Strafbarkeit der einfachen Homosexualität — im Mittelpunkt stehen sollen. Nach diesen und ähnlichen oppositionellen Initiativen und nach weiteren Gesprächen zwischen Klecatsky einerseits, Broda und Tschadek anderseits, wird sich abzeichnen, welche endgültige Fassung Anfang 1968 dem Parlament vorgelegt werden soll und welche Haltung die Sozialisten einnehmen werden. Entscheidende Änderungen im Entwurf wird man vom Justizminister nicht mehr erwarten können. Die Opposition muß sich jedoch im klaren darüber sein, daß Klecatsky jede Teilreform ablehnt; entweder kommt es, mit den Stimmen der Sozialisten, zu einer Totalreform, oder die Reform, an der Generationen von Juristen gearbeitet haben, wird wieder verschoben. Ob es aber in absehbarer Zukunft einen ähnlich günstigen Zeitpunkt wie den gegenwärtigen für die Verabschiedung eines neuen Strafgesetzes geben wird, muß bezweifelt werden.

Es wäre wohl kaum zu rechtfertigen, würde die Strafrechtsreform an einem doch eher zweitrangigen Problem hängenbleiben, während man Probleme, deren Regelung ohne Zweifel komplizierter ist, schon außer Streit stellen kann — das gilt etwa auch für die Abtreibung, bei der die letzte Klärung durch ein vom Sozialministerium auszuarbeitendes Kommissionsgesetz herbeigeführt werden soll. Es müßten sich doch auf allen Seiten Überlegungen durchsetzen, die das große Reformwerk nicht knapp vor dem Ziel untergehen lassen wollen. So muß man sich vor Augen halten, daß es bezüglich der Strafbarkeit der einfachen Homosexualität einen „katholischen Standpunkt“ schlechthin nicht gibt: Erst vor kurzem hat der deutsche Moraltheologe Böcfcle einen Strafrechtsentwurf befürwortet, der Homosexualität nur bei Verführung Jugendlicher, bei Gefährdung der öffentlichen Sittlichkeit oder bei gewinnsüchtiger Ausbeutung als strafbaren Tatbestand vorsieht. Auch wurde immer wieder betont, die Kirche sei sich, bei voller Wahrung gewisser sittlicher Prinzipien, durchaus der Tatsache bewußt, daß die gegenwärtige Gesellschaft eine pluralistische ist. Die sozialistische Opposition jedoch sollte bedenken, welchen Eindruck es hervorrufen muß, wenn sie die Strafrechtsreform an einer einzigen Frage, die allgemein nicht als primär empfunden wird und über die es auch in der Strafrechtswissenschaft keineswegs eine einheitliche Lehrmeinung gibt, scheitern läßt

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