6577049-1950_49_02.jpg
Digital In Arbeit

Das Recht der 98 Prozent

Werbung
Werbung
Werbung

Die am 21. und 22. November in Wien abgehaltene Herbstkonferenz der österreichischen Bischöfe hat beschlossen, eine oberhirtliche Weisung vom 18. Juli 1938 mit sofortiger Wirksamkeit außer Kraft zu setzen. Diese Weisung war damals erlassen worden, als durch die nationalsozialistischen Machthaber dem österreichischen Volk das sogenannte groß-deutsche Eherecht aufgezwungen wurde und in Verbindung damit auch das reichs-deutsche Personenstandsgesetz, dessen 67 bestimmte, daß „wer die religiösen Feierlichkeiten einer Eheschließung vornimmt, bevor die Ehe vor einem Standesbeamten geschlossen ist... mit Geldstrafe oder Gefängnis“ zu bestrafen sei. Angesichts der durch die nationalsozialistische Gewaltherrschaft praktisch außer Kraft gesetzten österreichischen verfassungs rechtlichen Bestimmungen über die Religionsfreiheit sah sich damals das Episkopat genötigt, zum Schutz des der Verfolgung ausgesetzten Klerus in der obge-nannten oberhirtlichen Weise zu verfügen, daß . „um sich selber vor strafrechtlichen Iach-teilen zu bewahren... die Pfarrer und Seelsorger berechtigt und verpflichtet (seien), die kirchliche Trauung erst vorzunehmen, wenn der Vollzug der Ziviltrauung in einwandfreier Weise feststeht“.

Es war aus der ganzen Sachlage selbstverständlich, daß .diese Weisungen nur für den Notstand und die Notzeit der Kirche während der nationalsozialistischen Herrschaft gelten sollten. Aber selbst während dieser Zeit hat die Kirche in Österreich immer wieder, sei es auch nur in der Form der sogenannten Gewissensehe, allen jenen, die aus rassischen oder politischen Gründen an dem Eingehen einer staatlich gültigen Ehe gehindert waren, die Wohltat einer sakramentalen Eheschließung ermöglicht. In den Gerichtsakten der nationalsozialistischen Ära finden sich zahlreiche Beispiele, daß katholische Priester ungeachtet strafrechtlicher Nachteile ihres Amtes als Trauungspriester gewaltet haben.

Wenn nach Wiedererrichtung des österreichischen Staates seitens der Bischöfe mit einer formellen Aufhebung dieser Weisung zugewartet wurde und man sich begnügte, im Einzelfalle die Trauungserlaubnis von kirchlicher Seite zu erteilen, so war doch niemals beabsichtigt, die Weisung vom 18. Juli 1938 dauernd aufrecht zu erhalten, was schon deshalb ausgeschlossen war, weil sie, außer im Falle eines Notstandes, mit den Grundsätzen des kanonischen Rechtes nicht vereinbar ist. Die jetzt erfolgte formelle Aufhebung kann daher nur für jene überraschend kommen, die übersehen, daß über das Ehesakrament die Kirche eine unabdingbare Judikation ausübt.

Die jüngsten Ereignisse der Verurteilung zweier oberösterreichischer Geistlicher zu bedingten Arreststrafen und die in der Öffentlichkeit viel beachtete Stellungnahme, die der Oberste Gerichtshof hiebei bezogen hat, deren Analyse der Rat des Verwaltungsgerichtshofes Priv.-Doz. DDr. Höslinger in der letzten Nummer der „Furche“ in tiefgründiger Weise vorgenommen hat, zeigten, daß die österreichischen Justizbehörden gewillt sind, die aus der nationalsozialistischen Ära stammenden Strafsanktionen des 67 PStG anzuwenden, trotzdem schwerste verfassungsrechtliche Bedenken von österreichischen Juristen, auch von solchen, die niemand etwa als „klerikal“ bezeichnen wird, erhoben wurden. Wenn aber die österreichische Bundesverfassung wieder gilt, dann gelten auch die verfassungsrechtlichen Grundsätze der Religionsfreiheit. Ein Versuch, diese Religionsfreiheit mit Hilfe der aus nationalsozialistischer Zeit übernommenen Gesetze einzuschränken, widerspricht dem Geist der ösl_reichi-schen Verfassung und der Gesinnung des österreichischen Volkes. Bundesminister

Dr. Tschadek hat am 17. November im Justizausschuß sich mit der Frage der Reform des Ehegesetzes auseinandergesetzt und dabei zugegeben, daß fast 98 Prozent der österreichischen Katholiken nicht nur am Standesamt ihren Ehewillen erklären, sondern sich auch kirchlich trauen lassen Er meint, dagegen sei nichts einzuwenden. Er hat aber doch Bedenken, die ihn anscheinend veranlassen, auf die Frage der staatlichen Anerkennung der kirchlichen Trauung keine diese 98 Prozent Katholiken befriedigende Antwort zu geben.

Niemand, und schon gar nicht die Kirche, spricht dem Staat das Recht ab, die bürgerlich-rechtlichen Wirkungen eines Eheabschlusses zu kontrollieren.

Das war ja auch vor 1938 in Österreich so der Fall. Gegen die Behauptung, Schwierigkeiten könnten sich ergeben, aus der Tasache, daß das kirchliche Recht andere Ehehindernisse kennt als das staatliche und daher die kirchliche Eheschließung nicht mit staatlichen Wirkungen ausgestattet werden könne, vermag man mit Leichtigkeit aus der Geschichte des Eherechts in Österreich bis zum Jahre 1938 den Gegenbeweis anzutreten. Auch das ABGB weist Diskrepanzen mit dem kirchlichen Recht auf. Auch während dieser Zeit gab es Fälle, wo eine Trauung wohl nach kirchlichem, nicht aber nach staatlichem Recht zulässig war. Es wird wohl niemand behaupten können, daß hieraus Schwierigkeiten entstanden wären, die den Staat erschüttert hätten. Es handelte sich durchaus um Einzelfälle. Und wer überdies die strengen Weisungen der römischen Behörden unvoreingenommen studiert (wozu das jüngst erschienene Buch von Universitätsprofessor Karl Hol-böck über die „Zivilehe“ einen umfangreichen Nachweis bringt), wird ersehen, wie sehr die Kirche darauf bedacht ist, daß die kirchliche Eheschließung nicht mit einschränkenden Bestimmungen des staatlichen Rechts unnötig in Widerspruch steht

Es ist nicht zu ergründen, warum bei uns nicht möglich ist, was in den führenden Demokratien der Vereinigten Staaten und Englands sowie in vielen anderen Staaten möglich ist, daß standesamtliche und staatlich anerkannte kirchliche Trau , ung nebeneinander ohne Schwierigkeit bestehen. Man möge nur einmal erkunden, ob sich in Amerika die Gewerkschaften dafür einsetzen würden, die Zwangszivilehe einzuführen, oder in England die Labour Party mit der Parole in den Wahlkampf ziehen würde, Geistliche unter Strafsanktion zu stellen, die konfessionelle Trauungen vornehmen. Die Zeit des bour-geoisen Liberalismus des 19. Jahrhunderts, der, basierend auf dem damals fast überall eingeschränkten und nicht allgemeinen Wahlrecht, in einzelnen Staaten die Zwangszivilehe durchsetzen konnte, ist vorüber Man sollte bloß versuchen, das heute in Österreich angewandte Eherecht aus der nationalsozialistischen Ära auf demokratischem Wege zur Abstimmung zu bringen! Auch die Partei des Herrn Justizministers würde sich dieses Experiment ohne Zögern versagen.

Was not tut, ist die Lösung einer Krise, die nicht verbessert wird, wenn sich die Haltung versteift. Das aber will doch wohl niemand. Man darf dies wohl auch daraus ersehen, daß der Justizminister in einer im Burgenland gehaltenen Rede so eindeutig sich zu dem Standpunkt bekannt hat, daß nicht nur der Staat, sondern auch die Kirche Rechte und Pflichten in ihren Sphären haben. Und was besonders hervorzuheben ist, bleibt die freimütige Erklärung des Justizministers: „Ich bin selbst Katholik und habe niemals in meiner politischen Laufbahn versucht, der katholischen Kirche Schwierigkeiten zu bereiten.“ Es ist das erstemal in unserer Republik, daß ein sozialistischer Minister ein solches Bekenntnis abgelegt hat.

Nicht minder bedeutsam aber sind die ebenso eindeutigen Worte, die Erzbischof-Koadjutor Dr. J a c h y m auf der Herbstkundgebung der Katholischen Aktion am 25. November in Wien gesprochen hat, worin er neuerlich das Recht und die Pflicht der Kirche umriß, den Katholiken die sakramentale Eheschließung zu sichern, zugleich aber die Bereitschaft der Kirche zum Aus druck brachte, durch neue Beratungen die bestehenden Schwierigkeiten zu überwinden. Daher auch seine berechtigte Frage, warum Kirche und Staat nicht zu gemeinsamen Beratungen zusammentreten. Gerade wir Österreicher wissen aus dem Ablauf der Staatsvertragsverhandlungen zu genau, was ein vertragsloser Zustand bedeutet, und wir haben nicht mit Kritik an den Verhandlungspartnern gespart, die unwillig sind, eine gemeinsame Lösung zu finden. Wir werden diese Kritik nicht auch auf uns selbst anwenden müssen.

Die Kirche hat ihre Bereitschaft erklärt. Wir wollen sehen, was der Partner Staat uns zu sagen haben wird.

Die Spendung eines Sakraments unter staatliche Kontrolle zu stellen oder gar mit Strafsanktionen zu bedrohen, ist und bleibt ein schwerer Verstoß gegen die Religionsfreiheit.

Bundesminister Dr. Tschadek hat nichts über die Aufhebung des 67 PStG gesprochen. Es ist zu hoffen, daß er damit zum Ausdruck bringen wollte, daß diese Frage einer einvernehmlichen Lösung zugeführt werden soll. Das mag wohl auch den österreichischen Bischöfen vorgeschwebt haben. Wenn sie daher in ihrer jüngsten Erklärung auch die Verantwortung, die sich durch die Aufhebung der Weisung vom 18. Juli 1938 hinsichtlich des 67 PStG ergibt, auf sich genommen haben, so haben sie damit auch eindeutig bekundet, daß die allfälligen Geld- und Arreststrafen, solange der verfassungswidrige 67 PStG Anwendung findet, auch sie treffen sollen.

Es wird abzuwarten sein, ob der Staat nun auch bereit sein wird, Gott, was Gottes ist, zu geben, um den Willen von 98 Prozent österreichischer Katholiken auf Freiheit des Empfanges des Ehesakraments sicherzustellen. Wir sind überzeugt, der österreichische Staat steht und fällt mit der Sicherung der demokratischen Freiheitsrechte, deren erstes dieReligions-freiheit ist. Da sich unsere Regierungsparteien auch in den schwersten Krisen zu diesen Freiheitsrechten bekannt haben, sehen wir in dieser tapferen Haltung auch die sichere Gewähr, daß die Antwort auf unsere Frage eine allseits befriedigende sein wird.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung