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Reichsdeutsches Eherecht in osterreich

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Als im April 1945 die nationalsozialistische Herrschaft in Österreich beseitigt wurde, entstand in weiten Kreisen der Bevölkerung die Meinung, daß damit auch die unter diesem Regime eingeführten Gesetze automatisch ihre Wirksamkeit verloren hätten. Dies galt vor allem von solchen Gesetzen, die in .besonderem Maß das Gepräge der nationalsozialistischen Weltanschauung tragen, wie dies bei dem 1938 in Österreich eingeführten Gesetz zur Vereinheitlichung des Rechtes der Eheschließung und der Ehescheidung der Fall ist. Dazu kam, daß die auf Grund dieses Gesetzes in Österreich errichteten Standesämter in den ^mbruchs-tagen des Jahres 1945 vielfach tatsächlich außer Funktion traten. So gingen die Brautleute in der Meinung, daß- nun wieder die österreichischen Bestimmungen in Geltung stünden, zum Pfarrer, um von ihm getraut zu werden, und diese nahmen auch vielfach die Konsenserklärung der Brautleute entgegen, ohne daß, wie es durch das noch geltende reichsdeutsche Ehegesetz vorgeschrieben war, vorher eine standesamtliche Trauung stattgefunden hätte. Erst im Juli 1945 wurde offiziell durch eine Verlautbarung daran erinnert, daß das bisherige Eherecht in Österreich weiterhin in Geltung stünde. Außer Kraft wurden lediglich die Rassenbestimmungen gesetzt. Die Eheschließungen haben daher auch ferner vor dem Standesbeamten zu erfolgen.

Das Wesen dieses also auch heute noch in Österreich gültigen deutschen Eherechtes besteht bekanntlich in der sogenannte obligatorischen Zivilehe, das heißt nur die vor dem staatlichen Standesbeamten abge-sdilossene Ehe hat bürgerlich-rechtliche Wirksamkeit. Den Brautleuten bleibf es überlassen, ob sie n a c h der staatlichen auch noch eine kirddidie Eheschließung vornehmen wollen, die jedoch keinerlei rechtliche Wirkungen hat. Die Durchführung des Grundsatzes der obligatorischen Zivilehe ist noch dadurch gesichert, daß die Vornahme einer religiösen Eheschließung vor der standesamtlichen unter Strafsanktion gestellt ist. Die Erfahrung seit 1938 hat gelehrt, daß der überwiegende Teil des österreichischen Volkes den Zwang zur Vornahme der standesamtlichen Trauung stets abgelehnt und die hitlerische Einführung der obligatorischen Zivilehe als dem Empfinden und der Tradition des österreichischen Volkes widersprechend empfunden hat. Jeder Seelsorger weiß aus der Praxis, wie oft selbst der Kirche sonst fernstehende Menschen in der Pfarrkanzlei den Wunsch aussprachen, nur kirchlich getraut zu werden. Die Bischofskonferenz vom 25. März 1947 hat nun, dieser Einstellung der überwiegenden Mehrheit des österreichischen Volkes Rechnung tragend, das Verlangen nach Aufhebung des reichsdeutschenEherechtes und Einführung eines österreichischen Eherechtes mit fakultativer Trauung erhoben, das heißt eines Ehegesetzes, das es der freien Entscheidung der Brautleute überläßt, ob sie eine staatliche oder kirchliche Eheschließung vornehmen wollen, wobei der vor der kirchlichen Obrigkeit geschlossenen Ehe dieselben bürgerlich-rechtlichen Wirkungen zukommen wie der vor der staatlichen Behörde geschlossenen.

Zum besseren Verständnis der folgenden Ausführungen seien die Arten der Zivilehe aufgezählt und kurz definiert. Wir unterscheiden:

1. Die Notzivilehe, und zwar die relative für Personen, die keiner staatlich anerkannten Religionsgemeinschaft angehören und eine kirchliche Ehe daher gar nicht eingehen können, oder die absolute für Personen, denen die Eheschließung von der Kirche aus einem vom Staat nicht anerkannten Grund verweigert wird.

2. Die fakultative oder W a h 1 z i v i 1-e h e, die darin besteht, daß es den Nuptu-rienten freisteht, zwischen der staatlichen und kirchlichen Eheschließung zu wählen.

3. Die obligatorische Zwangszivi 1 e h e, die bedeutet, daß der Staat nur der vor der staatlichen Behörde geschlossenen Ehe bürgerliche Rechtswirkungen zuerkennt Die historische Betrachtung zeigt, daß bis zur Zeit Josefs II. das Eheschließungsrecht in Österreich ebenso wie in den meisten Staaten rein kirchlich geregelt war. Durch das Ehepatent vom 16. Jänner 1783 hat Joseph IL, von der gallikanisch-regalistischen Theorie ausgehend, zwischen Ehevertrag und Ehesakrament unterschieden und der Staatsgewalt die gesamte Gesetzgebung und Gerichtsbarkeit über den Ehevertrag übertragen, während es der Kirche überlassen blieb, diesen Vertrag durch priesterliche Segnung zum Sakrament zu erheben. Dieses josephinische Ehepatent wurde mit seinen wesentlichen Bestimmungen in das zweite Hauptstück des ABGB vom 1. Juni 1811 aufgenommen, das das Eherecht jedoch nicht für alle Staatsangehörigen einheitlich gestaltete, sondern den religiösen Anschauungen der einzelnen Konfessionen Rechnung trug. So waren die eherechtlichen Bestimmungen des ABGB in wesentlichen Punkten für Katholiken, nichtkatholische Christen und Juden verschieden, wobei die für Katholiken geltenden Bestimmungen in der Hauptsache mit dem kanonischen Eherecht übereinstimmten. Die Eheschließung hatte gemäß 75 ABGB vor dem ordentlichen Seelsorger eines der beiden Brautleute zu erfolgen. Eine Rückkehr zu der vor dem josephinisdien Ehepatent bestandenen Rechtslage trat vorübergehend durch da Konkordat vom 18. August 1855 ein, das an Stelle der eherechtlichen Bestimmungen des ABGB für Katholiken wieder das kanonische Recht in Geltung setzte und die kirchliche Jurisdiktion wieder herstellte. Die rein bürgerlichen Wirkungen der Ehe blieben der Jurisdiktion des weltlichen Richter überlassen. Dieser Rechtszustand wurde jedoch durch das Gesetz vom 25. Mai 1868 wieder beseitigt und die absolute Notzivilehe eingeführt. Es wurde also die Eheschließung vor der weltlichen Behörde in dem Fall für zulässig erklärt, als der Seelsorger die Vornahme des Aufgebotes oder die Entgegennahme des Ehekonsenses aus einem vom Staat nicht anerkannten Grund verweigerte. In diesem Fall war zur Vornahme de Aufgebotes und zur Entgegennahme de Konsense die politische Bezirksbehörde, in Städten mit eigenem Statut der Magistrat zuständig, wobei die Brautleute die Weigerung des zuständigen Seelsorgers durch ein schriftliches Zeugnis nachzuweisen hatten. Durch das Gesetz vom 9. April 1870 wurde odann für Personen, die einer gesetzlich nicht anerkannten Kirche oder Religionsgemeinschaft angehörten, sowie für Konfessionslose die relative Zivilehe eingeführt. Schließlich bestand für Ehen zwischen Angehörigen staatlich nicht anerkannter Religionsgemeinschaften oder Juden mit Angehörigen einer anerkannten christlichen Kirche oder Juden die Wahl zwischen der kirchlichen oder staatlichen Eheschließung (fakultative Zivilehe). Eine besondere Stellung auf eherechtlichem Gebiet nahm innerhalb Österreichs das Burgenland ein, wo das ungarische Ehegesetz vom Jahre 1894 galt, das auf dem Grundsatz der obligatorischen Zivilehe aufgebaut war. Die letzte Änderung des österreichischen Eheschließungsrechtes vor 1938 trat durch das Konkordat vom 5. Juni 1933 ein, mit dem Österreich auf die ausschließliche Geltung der staatlichen Ehegesetze verzichtete und den nach dem kanonischen Recht geschlossenen Ehen die bürgerlichen Rechtswirkungen zuerkannte. Die vor dem katholischen Priester geschlossenen Ehen Unterlagen nach dem Konkordat, beziehungsweise dem Durchführungsgesetz vom 4. Mai 1934 hiezu, dem kanonischen Recht und der kirchlichen Gerichtsbarkeit, und zwar auch dann, wenn es sich um Mischehen (disparitas cultus und mixta religio) handelte.

Aus dem Gesagten ergibt sich, daß das österreichische Eherecht zu allen Zeiten konfessionell gestaltet war und der Grundsatz der kirchlichen Eheschließung galt, während die Eheschließung vor der weltlichen Behörde, vom Sondergebiet des Burgenlandes abgesehen, die Ausnahme darstellte. Die .Einführung der obligatorischen Zivilehe durch das nationalsozialistische Gesetz von 6. Juli 1938 bedeutete somit einen Bruch mit der 8 s t e r r e i c h i s c h e n Rechtstradition.

Aber nicht nur in Österreich mit seiner überwiegend katholischen Bevölkerung galt die fakulkative, beziehungsweise sogar die obligatorische kirchliche Eheschließungsform, sondern auch in den Nachbarländern. So kennt die Tschechoslowakei seit Inkrafttreten des Ehegesetzes vom 22. Mai 1919 die fakultative konfessionelle Trauung. Ebenso wurde in 11 a 1 i e n durch das Gesetz vom 27. Mai 1929 ein Eherecht mit fakultativer Ziviltrauung geschaffen. In J u g o -s 1 a v i e n gab es auf dem Gebiet des Eherechts sechs verschiedene Rechtsordnungen. Soweit das Gebiet zur ehemaligen österreichisch-ungarischen Monarchie gehört hatte, galt fast unverändert das Eherecht des ABGB. Lediglich in der Woiwodina, im Banat, in der Batschka und Baranya stand das ungarische Ehegesetz vom Jahre 1894 mit obligatorischer Zivilehe in Geltung. Im übrigen Staatsgebiet galt entweder konfessionelles Eherecht, und zwar sowohl in formeller als auch in materieller Hinsicht, beziehungsweise ein auf kirchlicher Grundlage geregeltes staatliches Eherecht. In Griechenland besteht auf Grund der Gesetze vom 15. Oktober 1861 und vom 31. Dezember 1923 die obligatorische kirchliche Eheschließungsform. Die Ehegerichtsbarkeit obliegt den staatlichen Gerichten, welche aber die Ehen nach den kirchlichen Gesetzesnormen zu beurteilen haben. In Bulgarien wurde 1883 die Exarchats-ordnung Staatsgesetz, die nur die obligatorische kirchliche Trauung kennt. Rechtshistorisch interessant sind auch die verschiedenen Ehegesetze Polens. So galt in der Provinz W i 1 n a und in den östlichen Provinzen da vorrevolutionäre russische Eherecht mit kirchlicher Eheschließungsform, im ehemaligen österreichischen Gebiet das ABGB, im ungarischen Gebiet von S p i z und O r a w a das ungarische Eherecht und seit 1922 ebenfalls das ABGB. In Kongreßpolen bestand die konfessionelle Eheschließungsform, nur der ehemals zu Preußen gehörige Teil hatte die obligatorische Zivilehe, wie sie im deutschen BGB verankert war. Durch das Konkordat vom Jahre 1925 wurde auch in diesem Gebiet die konfessionelle Trauung erlaubt.

Wenn wir noch einen Blick auf das weitere Ausland werfen, o finden wir, daß gerade in den Ländern, die als vorbildlich demokratisch regiert gelten, den Brautleuten die Wahl zwischen der staatlichen und kirchlichen Eheschließung-f o r m offenteht, auf dem Kontinent in Dänemark, Schweden und Norwegen. In England ist die kirchlich Eheschließungsform für Angehörige der anglikanische Kirche durch den Marriage Act vom Jahre 1823 geregelt, für die Zivilehe gilt das Gesetz vom 7. August 1936. Eine ähnliche Regelung besteht inSchott-1 a n d und Irland. In den Vereinigten Staaten ist das Eherecht bundesstaatlich geregelt, und zwar o, daß die Eheschließenden grundsätzlich zwischen der kirchlichen und staatlichen Eheschließungsform wählen können. Die Bundesstaaten Maryland und W e s t v i r -g i n i a kennen nur die konfessionelle Eheschließung.

Es ergibt sich bereits aus der bisherigen Darstellung, daß die Verfassungen der einzelnen Staaten der Kirche hinsichtlich der Gestaltung der Eheschließung gewisse Recht einräumen. Dies wohl aus der Erkenntni herau, daß die Ehe als eine dem Menschen heilige Institution anzusehen ist, die ihn im Gewissen zutiefst verpflichtet und die daher nicht wie- irgendein anderer bürgerlicher Vertrag geregelt werden kann.

E sei lediglich des Interesses halber noch hinzugefügt, daß die auf Grund des reidh-deutschen Ehegesetzes in Österreich errichteten Standesämter auch ein gewaltige Ptnivnm in dem ohnedies angespannten Haushalt der Länder und Gemeinden darstellen. So war im Haushaltsplan der Gemeinde Wien für das Jahr 1941 ein Betrag von 2,144.000 Reichsmark veranschlagt, der aber sicher überschritten wurde und in der Folgezeit auch noch gestiegen ist. Durch die Einführung der fakultativen kirchlichen Eheschließung könnte diese Ausgabe auf einen geringen Bruchteil herabgesetzt werden.

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