7121025-1996_37_06.jpg
Digital In Arbeit

Zähe Diskussionen in ganz Europa

19451960198020002020

Dänemark, Norwegen, Schweden und Island sind in puncto gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften am liberalsten.

19451960198020002020

Dänemark, Norwegen, Schweden und Island sind in puncto gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften am liberalsten.

Werbung
Werbung
Werbung

Die umstrittenen kirchlichen Segnungen Homosexueller lösten eine heftige Diskussion darüber aus, ob gleichgeschlechtliche Partnerschaften auch rechtlich anerkannt werden sollen. „Wir haben es satt, ständig Bürger zweiter Klassen zu sein. Wir wollen normal behandelt und den Heterosexuellen gleichgestellt werden. Bei uns herrscht noch das Mittelalter. Der Zug der internationalen Entwicklung droht wieder einmal an Österreich vorbeizufahren", wirft Christian Michelides, Vorsitzender des Iesben- und Schwulen-forums, dem Gesetzgeber vor. Die Grünen und Liberalen teilen seine Ansicht. Bildet Österreich tatsächlich das Schlußlicht, wie es uns die Homosexuellen glaubhaft machen wollen? Bei einer Analyse der Rechtslage in Europa kommt man zu einer anderen Ansicht.

Zwar forderte das Europäische Parlament am 8. Februar 1994 dazu unverbindlich auf, juristische Diskriminierungen gegen Lesben und Schwule zu beseitigen. Bislang haben dies aber erst vier Länder verwirklicht. Nach Dänemark, Norwegen und Schweden ist es gleichgeschlechtlichen Paaren seit kurzem auch in Island möglich, die Lebensgemeinschaft registrieren zu lassen. Am' 4. Juni 1996 führte das Parlament in Reykjavik die „Eingetragene Partner(innen)schaft" ein. Das nur aus neun Paragraphen bestehende Gesetz verweist im wesentlichen auf die Bestimmungen im Ehegesetz. Allerdings mit vier Ausnahmen, die auch in ähnlicher Form in den drei anderen skandinavischen Ländern bestehen: Gleichgeschlechtliche Paare dürfen keine Kinder adoptieren, sie dürfen sich nicht künstlich befruchten lassen, sie haben kein Becht auf eine kirchliche Trauung (in Island ist die lutherische Kirche Staatskirche), und einer der Partner muß isländischer Staatsbürger mit Wohnsitz im Lande sein.

Als einziges nordeuropäisches Iand hat noch Finnland keine diesbezüglichen Regelungen getroffen. Am 28. Mai 1996 brachten 45 Abgeordnete mehrerer Fraktionen im Reichstag von Helsinki einen Entwurf über die Registrierung von Partnerschaften ein. Darüber wurde am 5. Juni debattiert. Es folgte die Zuweisung an den Justizausschuß. Bis September muß der Justizminister einen Bericht über die möglichen Auswirkungen und Konsequenzen einer Gesetzesänderung vorlegen.

Im übrigen Europa ist interessanterweise Ungarn am fortschrittlichsten. Dort hob der Verfassungsgerichtshof im Vorjahr die Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Lebensgefährten als verfassungswidrig auf. Gleichzeitig stellte er fest, daß die Beschränkung der Ehe auf verschieden-geschlechtliche Paare verfassungskonform sei. Diese Entscheidung führte zu kontroversiellen Diskussionen in der Öffentlichkeit. Am 21. Mai 1996 stimmte das Parlament mit großer Mehrheit (207 gegen 73 Stimmen bei fünf Enthaltungen) einer von der sozialliberalen Regierung eingebrachten Novelle des ungarischen Zivilrechtsgesetzes zu. Die Debatte darüber wurde fast schamhaft in die späten Abendstunden verlegt, weil es dann keine TV-Direktübertragungen mehr aus dem Parlament gab. Und bis auf das liberale Blatt „Magyar hirlap" ignorierten alle übrigen überregionalen Blätter die Abstimmung, während die internationalen Nachrichtenagenturen darüber ausführlich berichteten. Geändert wurde in Ungarn die bisherige Definition der Lebensgemeinschaft „ein Mann und eine Frau" auf „zwei Personen"'. Dies bedeutet, daß homosexuelle Paare gegenüber den unverheirateten heterosexuellen Paaren rechtlich nicht mehr benachteiligt sind. Eine Gleich-Stellung mit der Ehe und eine standesamtliche Eintragung wie in den skandinavischen Staaten ist damit aber nicht verbunden.

In den in gesellschaftlichen Fragen ansonsten liberalen Niederlanden ist man noch nicht soweit. Zwar brachte die Regierung bereits 1993 einen Entwurf ein. Dieser wurde mehrmals geändert und sieht grundsätzlich die Möglichkeit für zwei Personen (unabhängig von ihrem Geschlecht), die nicht heiraten können oder wollen, vor, im Standesamt eine „Partner(in-nen)schaft" eintragen zu lassen. Die Debatte darüber begann im Unterhaus im März 1996.

Bei der anschließenden Abstimmung lehnten die meisten Abgeordneten die Regierungsvorlage aber ab, weil sie nicht konsensfähig war. Neben der Öffnung der traditionellen Ehe wurde von manchen gefordert, daß Homosexuelle auch Kinder adoptieren dürfen. Es wurde eine Regierungskommission gebildet, die bis 1. August 1997 ein entsprechendes Gesetz ausarbeiten soll. Da jedoch 1998 Neuwahlen anstehen, rechnet in den Niederlanden niemand mehr, daß es sofort beschlossen wird.

Die Möglichkeit einer baldigen Verwirklichung der rechtlichen Gleichstellung Homosexueller besteht nur noch in Spanien. Nach den Wahlen kündigte die katalonische Regionalpartei CiU, die mit der führenden konservativen Volkspartei eine Koalition einging, vor kurzem an, daß sie noch in dieser Legislaturperiode auf die Einführung eines solchen Gesetzes drängen werde. Sollte sich die Volkspartei dagegen aussprechen, will die CiU mit der Unterstützung von vier anderen Oppositionsparteien die Mehrheit im Parlament anstreben.

In allen anderen Ländern Europas ist die Diskussion in dieser Frage noch im Gange. In Luxemburg stieß ein Vorstoß der Sozialisten im März 1996 bei den konservativen Parteien auf Ablehnung. In Deutschland wollten viele Homosexuelle standesamtlich heiraten. Sie wurden jedoch abgewiesen, denn die Gerichte, insbesondere der Bundesverfassungsgerichtshof, kamen zur Ansicht, daß eine Ehe für sie nicht zulässig sei. Auch in Österreich erreichten Anträge der Grünen und des Liberalen Forums im Parlament nicht die erforderliche Mehrheit.

Für die Betroffenen ergeben sich aus den unterschiedlichen juristischen Regelungen eine Fülle von Problemen. So etwa im Steuerrecht, im Versicherungsvertragsrecht, bei der Krankenversicherung, im Pensions-, Versorgungs- und Rentenrecht. Besonders kraß sind die Auswirkungen im Krankheits- und Todesfall. Im Spital darf derzeit dem Lebenspartner keine medizinische Auskunft erteilt werden. Auch gibt es für den Partner keinen Pflegeurlaub. Im Todesfall muß beispielsweise für eine gemeinsam finanzierte Eigentumswohnung der höchste Satz der Erbschaftssteuer bezahlt werden.

Es ist noch gar nicht so lange her, daß Homosexuelle bestraft wurden. In Österreich ist der umstrittene Paragraph § 129 StGB („Widernatürliche Unzucht mit Personen des gleichen Geschlechts und mit Tieren") erst 1971 im Zuge einer Strafrechtsreform des damaligen Justizministers Broda gestrichen worden.

In Zypern und im katholischen Irland (dort aber nur für männliche Homosexualität) werden Homosexuelle noch heute gerichtlich verfolgt. In Großbritannien werden homosexuelle Handlungen von Angehörigen der Streitkräfte und der Handelsmarine geahndet.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung