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Mensch als Material

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Nach Paris, Brüssel, Wien, Bonn und Zagreb fand nun zwischen 12. und 15.JuliderXVI. Internationale Familienkongreß in Brighton, an der Südküste Englands gelegen, statt. In welch schwierigem Umfeld sich diese Veranstaltung abgespielt hat, machte schon der erste Kongreßtag deutlich: Bei der Eröffnung durch Prinzessin Diana gelang es fünf lesb????schen Frauen mit Plakaten „Lesbische Mütter sind auch Mütter" auf das Podium vorzudringen. Am Abend Im Fernsehen blieb vom Kongreßgeschehen nur mehr ein kurzer Ausschnitt aus der Rede der Prinzessin und vor allem der Lesbe'nauftritt. Abgerundet wurde das ganze durch ein Interview mit den „Demonstranten". Auch die Zeitungsbericht- erstattung beschränkte sich auf die Dar. stellung dieses Vorfalls. Von den ausgezeichneten Vorträgen kein Wort.

In England scheint es noch schwieriger zu sein, für ein christlich geprägtes Leitbild der Familie zu W{\rben, als hierzulande. Zwar unterscheiden sich die Daten, die das Zusammenleben in Großbritannien beschreiben, nicht entscheidend von den österreichischen. Aber das gesellschaftliche Klima ist - trotz Konservativität in vielen Äußerlichkeiten - weitaus weniger von tradierten Wertvorstellungen geprägt. Viele Kongreßvorträge haben es deutlich gemacht: Die Frage, „ wonach soll man heute sein Leb????n ausrichten?", wird neu beantwortet.

Da wurde auf die enorme Liberalität in Sachen Abtreibung ·hingewiesen: Lange Zeit hindurch habe man in.englischen Kliniken bis zum siebenten Monat abtreiben können. Da seien lebensfähige Kinder zur Welt gebracht und stranguliert worden, nur weil man sich auf deren Tod festgelegt hatte.

Da wurde von der großen Liberalität in Fragen der Homosexualität berichtet: Lesben- und Schwulenorganisationen sei es vor allem im Raum London gelungen, ihre

Lebensform als gleichwertig und förderungswürdig auch bei den Behörden (etwa im S'chulwesen) anerkannt zu bekommen.

Wie weit auch die Kirchen da hineingezogen werden, zeigen die Aussagen von John Spong, dem Bischof von Newark (USA), bei einer Pressekonferenz von Schwulenorganisa tionen in London: „Jeder weiß, daß es in der Episkopal- Kirche in den USA und in der Church of England viele homosexuelle Priester und sogar Bischöfe

gibt", stellte der Bischof fest. Er verstehe daher nicht, daß man ihm einen Vorwurf daraus mache, daß er einen deklarierten Homosexuellen zum Priester geweiht habe. Und:Wie schwer muß essein, von lebenslang erfüllender Ehe zu sprechen in einem Land, in dem man dem 81jährigen Glynn Wolfe, immerhin einem baptistischen Geistlichen, folgenden Weltrekord nachsagt: Nach einer Unzahl von Scheidungen hat er kürzlich eine 19jährige geheiratet, seine 27. Ehefrau.

Das allein zeigt schon, wie umstritten die Frage nach dem „Wie leben" in Großbritannien heute ist. Und man hat es den Vorträgen im Konferenzzentrum von Brighton angemerkt, in welcher fundamentalen Auseinandersetzung die englischen Christen stehen. Besonders ausführlich sind in Brighton Fragen von Medizin und Ethik zur Sprache gekommen. Denn England nimmt auch in Fragen einer „neuen medizinischen Ethik" eine Vorreiter- Rolle ein.

Schon in den sechziger Jahren wurde nämlich der hippokratische Eid, der eine scharfe Grenze zwischen dem Heilen und dem Töten zieht, als verbindliche Wegweisung für den Arzt abgeschafft. Die Abschaffung dieses Eides stelle einen

Wendepunkt dar, meinte Nigel M. Cameron, Herausgeber der Zeitschrift „Ethics and Medicine" in seinem Vortrag: Todbringende Behandlung ist kein Tabu mehr:

Schon vor Jahren hat der Vater des ersten „Retortenbabys", Robert Edwards, Embryos Versuchen mit tödlichem Ausgang unterworfen. Eine pluralistische Gesellschaft, die davon ausgeht, daß es keine endgültig bindenden Werte gibt, landet eben auch in der Frage des Lebens beim Nutzenkalkül. An die Stelle der „Heiligkeit des Lebens" tritt dann der „Respekt vor dem Leben".

Diese Wertschätzung ist aber nicht mehr unbedingt, sondern wird von den jeweils Agierenden festbelegt. Daß dabei die Interessen der Schwachen zu kurz kommen, ist - s1ehe Abtreibung - vorprogrammiert.

Und so kam es, daß es in England einen neuen fatalen Durchbruch gab: Vor wenigen Wochen wurde ein Gesetz verabschiedet, das gestattet, ungeborene Kinder bis zu ihrem 14. Lebenstag (also zwei Wochen nachder „Empfängnis" im Reagenzglas) für Experimente heranzuziehen: Der M????nsch als Material der Wissenschaft. Die grenzenlose Befreiung des . Menschen endet in dessen Abschaffung.

Es war ein Verdienst des Kongresses in Brighton, dies so klar herausgearbeitet und zu einer Umorientierung ????ufgerufen zu haben. Sie wird, wie einige Vorträge gezeigt haben, nicht in spektakulären Aktionen, sondern zunächst weitgehend unbemerkt im Alltagsleben der Kongreßbesucher anfangen müssen: Selbst wiederzuentdecken, wie schön es sein kann, Ehepartner, Vater, Mutter zu sein, wie erfüllend es ist, sich für andere Zeit zu nehmen, zuzuhören, still zu werden, Hilfe zu bringen, auf Gott zu hören ... und zu hoffen, daß in diesen einfachen Schritten das beginnt, wovon Papst Johannes Paul II. schon seit Jahren redet: die Neuevangelisierung Europas.

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