Dulden heißt diskriminieren

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Zum Thema "Rechtliche Anerkennung gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften": In einer pluralistischen Gesellschaft ist die Berufung auf zu bewahrende "Werte" kein geeignetes Instrument für die Rechtsordnung.

Vor allem die einschlägigen innenpolitischen Kontroversen der letzten Tage betreffend die rechtliche Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften sowie die in einigen europäischen Ländern in letzter Zeit geänderte Gesetzeslage verleihen auch hier zu Lande einem Thema Aktualität, über das eine sachorientierte Diskussion in der Öffentlichkeit bislang kaum stattgefunden hat: Einer vordergründig "werte"-besorgten, teilweise jedoch auch bösartigen Polemik auf der einen Seite stehen vielfach nicht weniger provokant-lächerliche Parolen und karneval-artige Inszenierungen auf der anderen Seite gegenüber; gemeinsam verdecken beide Seiten erfolgreich das-für eine weltanschaulich pluralistische Gesellschaft entscheidende-Schachproblem.

Die Argumente liegen längst auf dem Tisch-man sollte wohl erwarten können, dass die Gegner einer rechtlichen Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften sich dieser Herausforderung stellen und sich nicht hinter bloßen Vorurteilen bzw. weltanschaulichen Fixierungen verschanzen. Die Begründungspflicht liegt bei denen, die den Rechtsanspruch auf eingetragene gleichgeschlechtliche Partnerschaften beharrlich negieren bzw. verweigern-nicht selten mit Verweis auf gefährdete bzw. zu bewahrende "Werte": Wer wertet da eigentlich, gegen wen und-gegen welche Un-bzw. "Minderwerte"?

Die Marginalisierung dieses gesellschaftspolitischen Problems als Anliegen einer bloßen Minderheit liefe zweifellos auf einen "Relativismus" hinaus, der mit den Prinzipien einer modernen liberalen Rechtsgemeinschaft unvereinbar ist. Deshalb ist wohl die grundsätzliche Besinnung darauf unumgänglich: Was ist in einem säkularen, weltanschaulich neutralen Staat die Kompetenz und vorrangige Aufgabe des Rechts? Wenn diese vornehmlich darin besteht, elementare individuelle Freiheitsansprüche zu sichern, d.h. eine autonome Lebensgestaltung seiner BürgerInnen zu ermöglichen, so impliziert dies, darauf beruhend, gleichermaßen die Forderung, auch homosexuelle Orientierungen und damit verbundene Lebensformen-eben als individuelle Freiheitsansprüche seiner Staatsbürger-zu schützen, d.h. sie vor allem auch gegenüber bzw. vor den weltanschaulich verankerten Wertmaßstäben und Ansprüchen anderer zu bewahren. In einer pluralistischen Gesellschaft sind weltanschaulich verwurzelte Wertvorstellungen dieser Art-auch diesbezüglich-jedenfalls kein geeignetes Fundament für die Rechtsordnung eines modernen politischen Gemeinwesens. Die Berufung auf zu bewahrende "Werte" läuft Gefahr, Rechtsansprüche zu desavouieren und dem bevormundenden Übergriff von Moral-und Werte-verwaltenden Instanzen und deren partikulären Interessen und Maßstäben-sei es gar einem "natürlichen, gesunden Wert-Empfinden"-auszuliefern. Ignoriert denn die Ablehnung der rechtlichen Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften nicht doch das Grundrecht einer Minderheit, die sich eben nicht damit begnügen will, lediglich geduldet zu werden? Bedeutet deren Verweigerung nicht in der Tat eine-mit einer modernen Rechtsordnung unvereinbare-Diskriminierung und Verletzung der Freiheitssphäre individueller Paarbeziehungen, die nicht selten in fragwürdiger Berufung auf die "menschliche Natur" bzw. gegen das "Natur-Widrige" erfolgt?

Das Unrecht, das in der bisherigen Verweigerung der rechtlichen Anerkennung gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften zutage tritt, besteht demnach primär wohl darin, dass die bestehende Gesetzeslage den von gleichgeschlechtlichen Lebensformen erhobenen Anspruch auf ein bloß vor-bzw. außer-rechtliches "hinnehmendes Gewährenlassen" reduziert. Deshalb weist auch die gutgemeinte Forderung nach diesbezüglicher Toleranz gegenüber diesen Ansprüchen homosexueller Mitbürger selbst in die falsche Richtung-denn wohlgemerkt: Nicht etwa um größere Toleranz gegenüber Andersdenkenden ist es zu tun, sondern um die Beseitigung von rechtlicher Diskriminierung von Anderssein und damit verbundener sexuellen Orientierungen sowie um die Anerkennung daran geknüpfter Rechtsansprüche.

Zu dieser geforderten rechtlichen Anerkennung gehört vorrangig auch der Anspruch von Bürgerinnen, darin, was diese-in je individuellen Paarbeziehungen und Formen des intimen Zusammenlebens-füreinander sind, sich auch öffentlich und in rechtlicher Hinsicht anerkannt zu wissen. (Das geschieht bekanntlich ja auch in der Ehe durch den gemeinsamen Weg zum Standesamt, unter Beiziehung von-die Öffentlichkeit repräsentierenden-Trauzeugen.) Diesem besonderen Anspruch individueller Paarbeziehungen widerspricht indes eine Zurückstufung gleichgeschlechtlicher Paarbeziehungen auf einen bloß vor-rechtlichen Erlaubnis-Status. Ist denn dieser mit einer solchen Lebensform verbundene Anerkennungs-Anspruch mit einer "fürsorglichen" Lebensgemeinschaft unter Geschwistern wirklich vergleichbar-so dass deshalb etwa der gelegentlich geäußerte Einwand überzeugen könnte, die rechtliche Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften liefe stillschweigend auf eine illegitime Privilegierung gegenüber anderen nichtehelichen Gemeinschaften hinaus?

Es liegt deshalb in diesen Fragen wohl eine "Beweislastumkehr" nahe. Mit bloßen Etikettierungen wie "Pseudo-Ehe" und "anarchistische Freiheit" wird man den darin geltend gemachten Selbstbestimmungs-Ansprüchen keinesfalls gerecht. Auch sollte man kein schiefes "entweder-oder" konstruieren: Mit einer "Ehe zweiter Klasse" hat solche Forderung eingetragener gleichgeschlechtlicher Partnerschaften gar nichts zu tun. Vor allem aber stellt sich die Frage: Inwiefern impliziert denn diese Forderung einer rechtlichen Anerkennung etwas, was zu Lasten anderer-d.i. heterosexueller und "eheförmiger"-Paarbeziehungen gehen könnte? Wie wird denn etwa durch eine rechtliche Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften der besondere Wert und Status von "Ehe und Familie" berührt, gar gemindert? Die gelegentlich beschworene Alternative: Entweder "Familie und Kinder" oder rechtliche Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften verrät eine seltsame Logik-auf welche Weise wird denn durch letztere, wie bisweilen behauptet, der Status der Ehe relativiert oder etwa die Familie einer Abwertung ausgesetzt? Vielmehr liegt die Vermutung nahe, dass der hohe Wert der Institution der Ehe durch einen solchen Anspruch auf rechtliche Anerkennung gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften doch gerade bestätigt wird.

Indes, der Anspruch auf deren Gleichstellung mit der Ehe lässt sich aus jener Forderung einer rechtlichen Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften ohnehin nicht so ohne weiteres ableiten (obgleich ehe-analoge Elemente darin einzuräumen sind). Wozu denn auch? Man sollte es deshalb wohl am besten auch vermeiden, von "Homo-Ehe" reden: Ehe ist das Eine-die (nicht auf bloße Duldung herabzusetzende) rechtliche Anerkennung gleichgeschlechtlicher Paarbeziehungen bleibt das unverwechselbar _ nicht zu nivellierende _ Andere. Die voreilige Forderung einer Gleichstellung mit der Ehe nivelliert demnach nicht nur wesentliche Unterschiede, sondern untergräbt unbesonnener-und paradoxerweise selbst die berechtigten Ansprüche auf rechtliche Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften.

Ebenso bleibt zu fragen: Läuft nicht, genauer besehen, gerade die-klammheimlich nachkommenschafts-orientierte-Reklamierung der Sonderstellung der Ehe allzu oft auf eine ökonomistische-zuletzt sexualistisch begründete-Funktionalisierung und Relativierung derselben hinaus? Worauf beruht also genauer besehen der viel beschworene "besondere Schutz der Ehe (und Familie)"? Welcher Ehe denn?-sind darin (freiwillig oder unfreiwillig) kinderlose Ehen miteingeschlossen-oder haben diese in Wahrheit selbst lediglich den Status "legitimierter Partnerschaften"? Liegt die Vermutung nicht nahe, dass-aus welchen Gründen auch immer-kinderlose Ehen insgeheim zu einer Art "Ehe zweiter Klasse" herabgesetzt werden, wenn solch nachkommenschafts-orientiertes Kalkül stillschweigend für Sinn-und Wert-der Ehe maßgebend wird?

Hellhörig wird man in solcher Hinsicht jedenfalls auch, wenn gegen die rechtliche Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften ernsthaft als Einwand angeführt wird, dass diese doch für "Gesellschaft und Staat keinen positiven Beitrag darstellen" bzw. "leisten". Verrät nicht gerade eine solche Argumentation noch einmal die heimlich zugrunde liegenden Maßstäbe-einer "Leistungsgesellschaft"? So wenig menschliche Sexualität auf ihre Fortpflanzungsfunktion reduziert werden darf, so wenig ist der primäre Sinn und Wert der Ehe durch die Orientierung an Nachkommenschaft definiert ("denn sonst würde, wenn das Kinderzeugen aufhört, die Ehe sich zugleich von selbst auflösen", so der auch in diesen Fragen recht nüchterne Kant)-so sehr "Kindersegen" von vielen Ehepaaren, Gott sei Dank, als Geschenk erfahren wird und so sehr zweifellos auch der Bereitschaft zur Elternschaft für die Gesellschaft eine besondere Bedeutung zukommt.

Ob die rechtliche Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften indes auch das Recht der Adoption impliziert, führt auf weitere-gewiss heikle und schwierige-Fragen, die bezüglich solcher rechtlichen Ansprüche gerade auch von Seiten gleichgeschlechtlicher Partnerschaften viel Sensibilität und Augenmaß erfordern. Geht es dabei doch offensichtlich um notwendige Rücksichten, welche die Dimension der rechtlichen Anerkennung gleichgeschlechtlicher Paarbeziehungen weit überschreiten. Wer sich-zu Recht-auf Selbstbestimmung bezüglich gleichgeschlechtlicher Partnerschaften beruft, muss für damit verbundene Folgen für die "Selbstbestimmung" anderer (d.i. "Dritter") freilich besonders sensibel bleiben-zumal dies in elementarer Weise eben das Selbstverständnis und Wohl der adoptierten Kinder berührt; und ausschließlich das Wohl der betroffenen Kinder, nicht irgendwelche-gewissermaßen erwerbs-orientierte-"Kinderwünsche", sind für eine in Aussicht genommene Adoption doch wohl entscheidend!

Es macht nachdenklich und muss irritieren, dass hierzulande homosexuelle Mitbürger aufgrund der bestehenden Gesetzeslage nach wie vor jener erwähnten elementaren Ungerechtigkeit ausgesetzt sind-, dass unser politisches Gemeinwesen eben immer noch nicht "frei" ist von rechtlicher Diskriminierung betreffend die sexuelle Orientierung und damit verbundener Lebensformen seiner Bürger. Jedenfalls ist dieses Thema auch in unserem Land für viele Menschen zu bedeutsam-d.h. nicht zuletzt auch: in einem existenziellen Sinne zu ernst-, als dass Verleumdung und Pathologisierung im Namen "zu bewahrender Werte" einerseits, ein um nichts weniger erbärmlicher Schnickschnack sowie ein-dem Anliegen wenig dienlicher-exhibitionistischer Aktionismus andererseits hiebei das letzte Wort bleiben dürften: Causa finita?

Der Autor ist Professor für Christliche Philosophie an der Kath.-Theol. Fakultät der Universität Wien.

TIPP zur Beurteilung der einzelnen Argumente: Toleranz im Konflikt. Geschichte, Gehalt und Gegenwart eines umstrittenen Begriffs. Von Rainer Forst. Suhrkamp, Frankfurt 2003, S. 736 ff.

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