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Die enthauptete Familie

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Aus der westdeutschen Bundesrepublik erreicht uns die Nachricht, daß der dortige Bundesrat derzeit die Regierungsvorlage über eine Familienrechtsreform behandle, welche das im Bürgerlichen Gesetzbuch verankerte patriarchalische Recht durch eine „gesunde Eheordnung" ersetzen soll. Die Reform ist von dem Gedanken einer möglichst vollkommenen Verwirklichung der Gleichberechtigung von Mann und Frau im Familtenredit beherrscht. Auch in den Beratungen des Bundesrates selbst tritt diese Tendenz offen zutage. Während nämlich der Regierungsentwurf im Falle von Meinungsverschiedenheiten der Ehegatten immerhin noch dem Ehemann das Entscheidungsrecht unter Berücksichtigung der Auffassung der Frau zugestand, sprach sich der Bundesrat für eine Änderung des bisherigen § 1354 BGB dahin aus, daß künftig die Ehegatten „alle Angelegenheiten, die Ehe und Familie betreffen, in gegenseitigem Einvernehmen zu regeln haben".

Allerdings enthielt auch schon der Re- gierungsentwürf zu § 1354 BGB den Satz:

„Eine Entscheidung, die dem wohlverstandenen Interesse der Ehegatten nicht entspricht, ist für die Ehefrau nicht verbindlich." An dieser Formulierung übten die bayrischen Mitglieder des Bundesrates mit Recht Kritik, weil sie das in den ersten Sätzen des Paragraphen festgelegte Entscheidungsrecht des Mannes wieder aufhebe. Tatsächlich handelt es sich hier um keine besonders gelungene Fassung. Da waren die Redaktoren des alten österreichischen ABGB in der Wahl der Worte Weitaus glücklicher gewesen, als sie in § 92 die Ehegattin verpflichteten, die von dem Manne getroffenen Maßregeln sowohl selbst zu befolgen als befolgen zu machen, „soweit es die häusliche Ordnung erfordert".

Alle diese Streitigkeiten über die endgültigen Formulierungen des Gesetzes sind jedoch nebensächlicher Natur gegenüber der grundsätzlichen Tendenz, die Stellung des Mannes als des natürlichen Hauptes der Familie zu beseitigen. Erfahrungen der letzten Jahrzehnte sollten uns doch zur Genüge gelehrt haben, daß die politischen Schlagworte von „Frei-heit" und „Gleichheit" sich nicht so einfach im Leben realisieren lassen, als man dies noch zur Zeit der Französischen Revolution erträumte. Wir wissen heute, daß wir unter echter Freiheit im Gesellschaftsleben keineswegs Anarchie und Zügellosigkeit verstehen dürfen, sondern daß jede wohlverstandene Freiheit nicht ohne eine gewisse Bindung existieren kann. Ebenso wäre es einfältig, zu glauben, daß sich das Prinzip der Gleichheit restlos im Gemeinschaftsleben verwirklichen ließe. Denn das Leben ist nicht ein nach den Gesetzen der Mechanik gleichmäßig funktionierendes Uhrwerk, sondern ein natürlich wachsender Organismus. So lebt auch die Familie, die ihrer Entstehung nach vor dem Staate ist, unabhängig von diesem in ihrer natürlichen Ordnung nach ihrer eigenen Gesetzlichkeit. In wechselseitiger Bezogenheit bilden die einzelnen Familienmitglieder eine organische Einheit, in der den gleichwertigen Persönlichkeiten von Mann und Frau verschiedene Funktionen zukommen. Diese Tatsache darf kein Gesetzgeber übersehen. Setzt doch auch ihm die Natur der einzelnen Rechtsmaterien gewisse Schranken, welche er bei aller Machtvollkommenheit nicht zu überschreiten vermag. So kann ein Gesetz zwecks völliger Realisierung des Gleichberechtigungsgedankens die Männer niemals dazu verhalten, nun auch ihrerseits Kinder zu gebären, weil dies wider die Natur wäre. Ebenso widernatürlich ist es aber, wenn der Gesetzgeber den Gedanken der Gleichberechtigung der Geschlechter so stark übertreibt, daß er dem Manne die natürliche Stellung eines Hauptes der Familie aberkennt und die Familie durch Mann und Frau wie durch zwei Konsuln leiten läßt, die im Falle ihrer Nichteinigung stets die diktatorische Entscheidung eines Richters an- rufen müssen. Eine solche rein mechanische Lösung entspricht keineswegs dem Gedanken einer echten Gleichberechtigung. Bedeuten doch gleiche Rechte im Verhältnis zwischen Mann und Frau niemals öde Gleichmacherei und Gleichstellung. Es handelt sich vielmehr um die Anerkennung gleichen Wertes unter sinnvoller Berücksichtigung der Geschlechtsverschiedenheit und der zwischen beiden Partnern bestehenden naturgegebenen Unterschiede. Was seinem Wesen und seiner Natur nach verschieden ist, darf auch vom Rechte nicht als Gleiches, sondern muß als Verschiedenes nach seiner Eigenart behandelt werden.

Wer sich aber von solchen naturrechtlichen Gedankengängen nicht überzeugen läßt, möge dodi wenigstens die ungeheure Gefahr erkennen, die darin liegt, daß man nun auch das Familienleben, das bisher als Intimsphäre menschlichen Daseins staatlichen Eingriffen noch verschlossen blieb, gleichfalls der Staatsgewalt überliefern will, lediglich um das Prinzip der Gleichberechtigung der Frau formal durchzuführen. Ist das wirklich noch „Fortschritt" und nicht etwa bloß ein Fortschreiten näher zum Abgrund hin? Glaubt man nach den bitteren Erfahrungen der letzten Jahre wirklich noch daran, daß bürokratische Entscheidungen das Familienleben retten könnten? Sieht man denn nicht, daß der Weg von einem solchen Ent-scheidungsrichter zum Scheidungsrichter nicht nur in sprachlicher Hinsicht ein teuflisch kurzer ist?

Die Notwendigkeit einer Familienrechtsreform wird vielfach auch damit begründet, daß der Gesetzgeber auf den derzeitigen Zustand des Familienlebens entsprechend Bedacht nehmen müsse. Die gute, harmonische Ehe — so wird argumentiert — bedürfe der gesetzlichen Regelung nicht, wohl aber die gefährdete und zerrüttete Ehegemeinschaft; auf diese habe daher der Gesetzgeber sein Hauptaugenmerk zu lenken. Nun ist die Rechtsordnung nach einem berühmten Wort Savignys tatsächlich ein Spiegelbild des Lebens; sie ist aber kein gewöhnlicher Spiegel, der uns das Leben einfach zeigt, wie es ist, sondern ein verklärender Spiegel, welcher den Menschen das Bild des Lebens, wie es sein soll, stets mahnend vpr Augen hält.

„Rech t" bedeutet nicht bloß sprachlich, sondern auch seinem Wesen nach das „Aufgerichtete", „in die gerade Linie Gebrachte". Niemals und nirgends darf daher der Gesetzgeber vom Dekadenten und Entarteten ausgehen, wenn er die

Grundzüge eines Rechlsinstituts aufstellen will. Ist doch beispielsweise auch die Rechtsordnung der Handelsgesellschaften nicht vom Konkursfall aus aufgebaut, und die rechtliche Regelung der Geschäfte des täglichen Lebens beruht auf Treu und Glauben und auf den Übungen eines redlichen Verkehrs und nicht etwa auf Unehrlichkeit und Betrug. Mag auch oft in Zeiten sittlichen Verfalls im ehrliches Handeln beinahe schon zur Regel geworden sein, so fiele es doch niemandem ein, vom Gesetzgeber zu fordern, er möge die Gesetze diesen demoralisierten Verhältnissen anpassen. Im Eherecht aber soll es auf einmal richtig sein, die Rechtsordnung auf Verfall und Dekadenz aufzubauen?

Wenn man schon wirklich darangehen will, der Familie in ihrer großen Not zu helfen, so soll man sich nicht länger mit dem verstaubten Prinzip einer überspitzten Gleichberechtigung aus den Kindheitstagen der Frauenemanzipation abplagen. Die Probleme aus Ibsens Schauspielen sind heute wirklich nicht mehr die aktuellsten. Wenn der Gesetzgeber den derzeitigen Notstand der Familie ernsthaft beheben will, muß er in erster Linie dem Familienvater wieder zu einem Lohn verhelfen, der ihn in die Lage versetzt, daraus seine Familie standesgemäß zu unterhalten. Darin liegt nämlich die eigentliche Wurzel des ganzen Problems, daß der Staat und die Öffentlichkeit sich allzulange um die Not der Familie nicht gekümmert haben, indem man Jahrzehnte lang dem Irrglauben huldigte, daß Kinderkriegen ein reines

Privatvergnügen sei und daß die Lasten der Kindererziehung den Eltern allein aufgebürdet werden können. In Wahrheit stellt jedoch das Kinderaufziehen eine Leistung für die Allgemeinheit dar, weshalb der Kindererhalter ein Recht auf Entschädigung für diese Leistung hat. Nichts aber hat die väterliche Gewalt mehr erschüttert als gerade die Tatsache, daß der Vater nicht mehr imstande war, den standesgemäßen Unterhalt seiner Familie zu verdienen. Man versetze doch den Vater wieder in die Lage, seine Familie zu erhalten, und niemand wird dann ernstlich noch bestreiten, daß derjenige, der für den Unterhalt der Familie aufkommt, auch in allen Angelegenheiten der Familie das entscheidende Wort zu sagen hat!

Es geht heute darum, die menschliche Gesellschaft von Grund aus neu aufzubauen, wobei das Fundament eines solchen Neubaues die Familie ist, welche fest gegründet sein muß in ihrer eigenen Ordnung als Gemeinschaft im Kleinen mit der Autorität des Vaters als ihrer naturgegebenen Spitze. Wer daher die Familie ihres natürlichen Hauptes beraubt, entläßt damit die Familienmitglieder nicht in die Freiheit, sondern stößt sie aus dem schützenden Haus hinaus ins Freie, wo sie wehrlos dem Zugriff des Staates preisgegeben sind. Wir aber würden damit zugleich die letzte Hoffnung verlieren, unser Leben jemals wieder in Freiheit neu gestalten zu können, und müßten erbarmungslos hinabsinken in das traurige Dasein einer kollektiven Unterwelt.

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