6598686-1953_23_07.jpg
Digital In Arbeit

Wenn die Frau Mit,feilt ein ganzes Volk

Werbung
Werbung
Werbung

Die Aufforderung, über die abendländische Frau zu schreiben, kann nur verstanden werden als ein Anruf zur Selbstbesinnung. Denn die Frage, die wir uns vorlegen müssen, lautet: Ist die Erneuerung des christlichen Abendlandes möglich? Damit ist die tiefe Bedrohtheit der gemeinsamen christlichen Kultur unseres Erdteiles freimütig zugegeben. Aber, so werden viele fragen, liegt nicht die Rettung dieser Kultur in erster Linie dem Manne ob, ist sie nicht abhängig von den großen geschichtlichen Entscheidungen, die ausschließlich ihm vertraut sind? Kein Zweifel, die grausamen Kriege, welche unseren Erdteil zerrissen und die heutige Lage weithin verschuldeten, sind das Werk einer einseitigen und übersteigerten Männlichkeit — die Frau erscheint dabei nur als die Leidtragende. Ist es nicht unbillig, von ihr den Wandel einer Lage zu verlangen, für die sie nicht verantwortlich ist? In der Tat, so scheint es. Aber ein tieferer Blick in das Wesen der Dinge zwingt uns doch, dieses Urteil zu überprüfen. Denn die Welt ist polar eingestellt und kann ihr Gleichgewicht nur durch die rechte Verteilung der Kraftfelder bewahren. Ein Schwanken in dieser Verteilung bedeutet stets die Gefahr einer Katastrophe. Die übersteigerte Männlichkeit unserer Tage weist also auf das fehlende Gleichgewicht der weiblichen Kräfte hin. Denn die großen geschichtlichen Ereignisse bezeugen doch im Grunde nur das Sichtbarwerden und Zutagetreten eines inneren und allgemeinen Weltzustandes. Der Mann steht zwar im Vordergrund der Erscheinungen, die Frau stellt ihre verschleierte Tiefe dar. Der Mann vollzieht die Geschicke, die Frau ist ihr verborgener Mutterschoß. Die Mutter schenkt ihren Söhnen ja nicht nur das leibliche Leben und ein natürliches Erbe, sondern sie ist auch die, von der sie seelisch und charakterlich die erste entscheidende Prägung empfangen. Kein späterer Einfluß wird jemals den Einfluß der Mutter ersetzen oder auslöschen können. Sie, die des Kindes erste Schritte lenkt, ihm die ersten Worte, das erste Gebet vorspricht, sie wird auch sein ganzes ferneres Leben tief, wenn auch nicht immer voll bewußt, mitbestimmen. Wir müssen also zu den Müttern hinabsteigen, wenn wir die heutige Weltlage gerecht beurteilen wollen. Zu den Müttern hinabsteigen aber heißt die formende Bedeutung des weiblichen Einflusses auf den Mann überhaupt anerkennen. Die Mutter steht also in einer auf der ganzen Linie symbolhaften Bedeutung, denn es sind die mütterlichen Kräfte der Frau, welche die eigentliche Ergänzung des männlichen Wesens darstellen. Von da her aber wird eine außerordentlich ernste Mitverantwortung der Frau an jeder Weltlage sichtbar, und wir begreifen plötzlich das uralte Wort morgenländischer Weisheit: „Wenn der Mann fällt, so fällt nur der Mann, aber wenn die Frau fällt, so fällt ein ganzes Volk. i

Treten wir nun mit dieser Erkenntnis an das Bild der heutigen europäischen Frau heran. Aber, so wird man fragen, gibt es überhaupt das einheitliche Bild einer solchen? Bedeuten nicht in jedem Lande Nation, Tradition, Bekenntnis und Rasse eine Fülle von Verschiedenheit? Besagt nicht schon allein der Unterschied der vom Krieg Versehrten und von ihm verschonten Länder getrennte Welten? Dies ist zweifellos richtig, aber doch eben nur im Vordergründlichen. Die Signatur unserer Zeit ist so gebieterisch, daß sie im Letzten jeder Nation unser Erdteiles das gleiche Siegel aufgedrückt hat, abweichend nur durch die Stärke der Ausprägung, nichr dem Wesen nach.

Was den heutigen europäischen Menschen in allen Völkern kennzeichnet, ist seine tiefe Entchristlichung. Sie greift weit über die Zahl der bewußt aus der Kirche ausgetretenen Seelen hinaus in die ungeheure Menge der Gleichgültigen hinein, die zwar noch äußerlich die Gotteshäuser füllen, deren Herz aber nicht mehr darinnen schlägt. Wir dürfen uns über diesen Punkt keinen Augenblick täuschen, denn an dem rückhaltlosen Eingeständnis dieser bitteren Wahrheit hängt die Einsicht in den furchtbaren Ernst unserer Lage: der gemeinsame Christusglaube, welcher das Abendland auf Jahrhunderte hinaus verband und selbst über die Spaltung des Glaubens hinaus eine, wenn auch gebrochene Einheit festhielt, er besteht in einem allgemeinen Sinne nicht mehr. Diese Lage hat sich selbstverständlich lange vorbereitet. Die widerchristlichen Mächte erschienen nicht von heute auf morgen, aber der von ihnen geführte geistige Kampf war früher in erster Linie auf die Welt des Mannes gerichtet. Die Frau, von ihrem ganzen Wesen her konservativ und bewahrend eingestellt, blieb den Ordnungen des Glaubens und der Frömmigkeit treu, hielt lange Zeit dem vielfach abgefallenen Mann das Gleichgewicht und gab der werdenden Generation doch immer wieder ein christliches Erbe. Dieses Zeugnis können wir der heutigen Frau in ihrer Gesamtheit nicht, mehr geben, und hier liegt der neue und gefahrbedeutende Zug des gegenwärtigen Bildes. Denn die Entchristlichung der Frau erfolgt ja meistens nicht wie die des Mannes auf gedanklich rationalem Wege, der erst später in den Materialismus und die blinde Anbetung technischer Errungenschaften führt. Bei der Frau ist es der Charakter des heutigen Lebens, dieser zunächst vom Manne geschaffenen, rein diesseitigen Welt, von der sie überwältigt und daher unmerklich, aber unaufhaltsam von den Quellen des Religiösen abgedrängt wird. Dieser Abdrängung durch den Gesamtcharakter des modernen Lebens ist natürlich unendlich viel schwerer zu begegnen als der gedanklichen Verführung. Ein ungeheurer Einbruch nicht mehr christlicher Grundsätze, Maßstäbe und Vorstellungen hat in die Welt der Frau stattgefunden und bricht von dort täglich tiefer in die werdende Generation ein. Mit dem Schwinden christlichen Glaubens ist auch die Auflösung der christlichen Familie, Sitte und Kultur gegeben. Während die vergangenen Jahrhunderte auch dort, wo die Kraft des Glaubens schon gebrochen war, doch wenigstens die vom Christentum bestimmte Ethik noch als Grundlage der menschlichen Gesellschaft festzuhalten suchten, stehen wir heute bereits vor deren praktischen Auflösung, und gerade die Frau als( Frau stellt vielfach die Auflösung dar!

Schon die äußere Erscheinung der heutigen Frau ist in dieser Hinsicht oft aufschlußreich. Wie verräterisch sind gewisse „Aufmachungen“, welche die Seelenhaftigkeit ihrer Schönheit zerstören, wie charakteristisch diese Ueberbetonung des Körperlichen! Dem nackten Materialismus des heutigen Mannes mit seinem nur auf Macht und Vorteil abgestellten Streben entspricht eine Frau, die in ihrer Weise auch den Geist an die Materie verraten hat, die Zartheit und Heiligkeit der Liebe an den flüchtigen Genuß, die opfervolle Treue an den nichtigen Erfolg der Eitelkeit. Sie entspricht diesem Manne nicht nur, sie hat ihn mitgeschaffen. Wir sind zu den Müttern hinabgestiegen, das heißt, wir haben ihre Söhne begriffen. Und nun verstehen wir auch das Wort: „Wenn die Frau fällt, so fällt ein ganzes Volk.“ Wir können dieses Wort ergänzen: Wenn die Frau fällt, so fällt eine Welt. Die verborgenen Tiefen des Geschehens öffnen sich und lassen geheimnisvolle Zusammenhänge und Entsprechungen erkennen. Bietet nicht die Zerrissenheit zahlloser Ehen dasselbe Bild im kleinen dar wie die Zerrissenheit der Völker im großen? Mahnen nicht die in Schutt gesunkenen Städte der Kriegslandschaften an die vielen Heime längst von innen her zerstörter Familien? Und wecken nicht die erschütternden Kinderleichen, die so viele Straßen der Flüchtlinge säumten, das Erschauern vor jenen zahlloten Kinderleben, denen man nicht gestattete, das Licht der Welt zu erblicken? Ja, wahrhaftig, wenn die Frau fällt, so fällt eine Welt!

Und doch ist es gerade die Frau, welche durch ihren eigenen Abfall von den christlichen Idealen am bittersten leidet. Kaum jemals in der Geschichte unseres Erdteils wird eine Frauengeneration so schwer geprüft worden sein wie die heutige. Wer vermag die Tränen zu zählen, die Mutteraugen in den letzten Jahren weinten? Wenn die Frau an dem heutigen Elend mitschuldig ist, so hat sie auch gesühnt — übermenschlich gesühnt! Mit diesem Gedanken verlassen wir die dunkle Linie der Anklage und wenden uns einer lichteren Seite der Dinge zu. Denn diese ist ja vorhanden: Wir sind keineswegs ohne Vertrauen, liegt doch in der Anklage selbst schon der Keim einer bestehenden Hoffnung. Die Frau als mitverantwortlich erkennen heißt ihre Macht bezeugen: mitschuldig zu sein am gestrigen und heutigen Tag heißt auch mit-fähig zu sein, den morgigen zu gestalten. Das negative Wort: „Wenn die Frau fällt, so fällt ein ganzes Volk“, lautet positiv ausgedrückt: Wenn die Frau gesundet, so gesundet ihr ganzes Volk. Der gegenwärtige Augenblick sagt keine abgeschlossene Entwicklung aus, sondern er ruft nach der Scheidung der Geister. Die noch christlichen Frauen unseres Erdteiles haben sich zusammengefunden, die Kultur der gemeinsamen Heimat, dieses geliebten, wenn auch allzu oft in Feindschaft zerrissenen Erdteiles, zu verteidigen. Wenn die uralte Devise des Teufels immer wieder lautet: „Teile und herrsche“, so lautet die christliche Devise: „Vereinige und diene.“ Volle Vereinigung in einem alle Gegensätze überwindenden Liebesgeist wird nur möglich sein durch die Rückkehr zum gemeinsamen Glauben. Die abendländische Kultur erhob sich im Zeichen des Kreuzes, nur im Zeichen ihres Ursprunges wird sie sich erhalten können.

Allerdings — dies ist mit äußerstem Nachdruck zu sagen — es wird sich auf der ganzen Linie um den höchsten Einsatz für den Glauben handeln müssen. Mit einem nur formelhaft geübten Christentum läßt sich der heutige Mensch schwerlich gewinnen. Jeder Frühling bedeutet nicht nur Blüte, sondern auch Sturm und Regen. Tiefe Vorstöße ins letztlich Wesenhafte werden zu wagen und in allen ihren Konsequenzen zu durchleiden sein. Die rettenden Entschlüsse sind fast immer die opfervollen. Wir haben das Vertrauen, daß eine noch christliche oder unter den erschütternden Zeichen der Zeit wieder zum Christlichen zurückkehrende europäische Frauenwelt die unerläßliche Bereitschaft aufbringt.

Noch immer herrscht in den Bezirken der männlichen Welt auf weite Sicht hin der Wahn, das Verhängnis durch dieselben Mittel überwinden zu wollen, durch die es hereinbrach. Wird es der Frau gegeben sein, dieses sogenannte „männliche Zeitalter“ in ein menschliches, das heißt in ein christliches zu wandeln? Gewiß ist nur: Die Frau kann diesem auf den rein irdischen Erfolg bedachten Zeitalter eine reinere, höhere und liebevollere Welt entgegensetzen und so — metaphysisch gesehen — tatsächlich das polare Gegengewicht einer solchen in die Waagschale des Schicksals werfen. Nähere Anweisungen vermag niemand zu geben. Das eigentlich Schöpferische, das zu neuer Liebe Entfachende, kann niemals auskalkuliert und organisiert, es kann nur erbeten und empfangen werden. Gerade an diesem Punkt scheiden sich ja die Geister. Der rettende Glaube verlangt nicht sowohl Manifeste und Programme als hingebendes Gelebtwerden. Es gibt für die Frau kein anderes Mittel, das, was sie für die Welt ersehnt, heraufzuführen, als es selbst zu verkörpern. Ob dies nun im stillsten Kreise der Familie geschieht oder in der Oeffentlich-keit, das ist zuletzt nicht ganz so wesentlich als unsere Zeit meint. Und ebenso ist der äußere Erfolg nicht das Letztentscheidende. Denn die eigentliche Frage, um welche unsere Gedanken ringen, lautet ia gar nicht: „Ist die Erneuerung des christlichen Abendlandes möglich?“, sondern sie lautet: „Wollen wir das christliche Abendland erneuern?“ Wir meinen ein absolutes Wollen, ein Wollen auch dann, wenn uns über das Bekenntnis der eigenen Existenz hinaus kein letztes Gelingen beschieden sein sollte. Auch hier, wie überall, wo es um ein höchstes Ziel geht, gilt das hinreißende Wort des Cyrano de Bergerac: „Man kämpft nicht, ohne Hoffnung auf Erfolg!“ Das Wollen liegt in unserer Hand —• der Erfolg ist Gott vorbehalten.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung