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Brief an Carl Muth

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In diesen Tagen ieiert die Münchener Zeiischriit „Hochland“ das 50jährige Jubiläum ihres Bestandes. Ihr Gründer und erster Herausgeber Carl Muth, der 1944 starb, gehörte zu den markantesten Gestalten des deutschen Geisteslebens seiner Zeit. Zu seinem 70. Geburtstag im Jahre 1933 schrieb ihm die bekannte Dichterin nachstehenden Briet:

Wenn auch ich mich in diesen Tagen anschicke, Ihren siebzigsten Geburlstag, hochverehrter Herr Professor, festlich zu begehen, so ist es mir ein innerliches Bedürfnis, über meine ganz persönlichen Beziehungen zu dem großen Werk Ihres Lebens Rechenschaft abzulegen. Dabei iinde ich, daß diese Beziehungen viel weiter zurückreichen, als Sie selbst vielleicht wissen, und dah rhir gerade diesen frühen — Sie werden darüber erstaunt sein — die bedeutungsvollsten sind.

Meine Erinnerung gleitet, während ich Ihnen diesen Geburtstagsbrief schreibe, zurück bis zu einem mir selbst nicht mehr ganz genau bestimmbaren Augenblick der Nachkriegszeit — also jener Zeit, da uns die Schauer eines .untergehenden Abendlandes' streiften und wir zu ahnen begannen, dah dem Zusammenbruch der deutschen Macht ein Zusammenbruch der geistigen und religiösen Güter unseres Volkes, nein: der ganzen Welt zu folgen drohte, öder ihm — in einer tieferen Schau — bereits voraufgegangen war. Mit grofjer Deutlichkeit entsinne ich mich noch aller äufjeren Umstände des Augenblicks: ich sehe mich selbst in einem der überfüllten D-Züge jener Tage sitzen — nicht im Abteil, sondern auf meinem Käfterchen im Gang, auf den Knien eine Zeitschrift, die ich mir am Bahnhof für die vielsfündige Eisenbahnfahrt gekauft hatte, unbekannt mit ihrem Wesen und Inhalt, angezogen nur durch den Titel, der aus einer chaotischen Gegenwart hinauszuweisen schien.

Die Reise auf dem Käfterchen in Gesellschaff der unbekannten Zeitschrift wurde mir zu einem wunderbar beglückenden Erlebnis. Denn ich befand mich da mit dieser Zeitschrift wirklich in einer Welt, die weder an den .Untergang des Abendlandes' noch an den unseres Volkes glaubte, sondern an deren Auferstehung und Erneuerung — ich befand mich in einer christlichen Welt. Ich befand mich — das war mir natürlich sehr bald klar geworden — im geistigen Raum einer katholischen Zeitschrift, aber gleichzeitig doch in meiner eigensten Heimat, und zwar nicht nur deshalb, weil darinnen auch nicht-katholisches Geistesgut in weiter Schau erblickt und gewürdigt wurde, sondern vielmehr weil die ganze Haltung dieser Zeitschrift meine teuersten Besitztümer, das Erbe meines frommen, protestantischen Elternhauses, gleichsam mit einzuschließen schien. Ja gerade dieser Eindruck des Einschließenden — ich entsinne mich dessen genau — war das eigentliche Wesen dieser unvergeßlichen Begegnung! Ich erlebte damals zum ersten Mal mit vollem Bewußtsein, daß es trotz aller schmerzlichen Spannungen und Spaltungen innerhalb des Christentums den gemeinsamen Besitz einer christlichen Kultur gibt, ich erlebte die geistige Haltung einer katholischen Zeischriff als universale, christliche Geisfes-und Liebeshaltung, ich erlebte die umfangende, die mütterliche Gebärde des Katholischen — ich erlebte also damals das Wesen des wahrhaft Katholischen überhaupt.

Und nun, sehr verehrter Herr Professor, verstehen Sie ohne Zweifel, weshalb es mich drängte, Ihnen hier in meinem Geburtstagsbrief gerade von meiner frühesten Begegnung mit Ihrem Werk zu erzählen: in dieser Begegnung zeichnet sich deutlich der weit vorausfallende Schatten des Erlebnisses der Kirche selbst ab — in der Sphäre des Kulturellen. Denn das Entscheidende in der Begegnung der Kirche ist doch für den von außen Kommenden auch wiederum jenes große Innewerden einer einschließenden, mütterlich umfangenden Gebärde. Der Konvertii — Sie wissen, daß ich seither ein solcher wurde — ist ja nicht, wie mißverstehende Deutung zuweilen meint, ein Mensch, welcher die schmerzliche konfessionelle Trennung ausdrücklich betont, sondern im Gegenteil einer, der sie überwunden hat: sein eigentliches Erlebnis ist nicht das eines' anderen Glaubens, zu dem er .übertritt', sondern sein Erlebnis ist das der Einheit des Glaubens, die ihn überflutet. Es ist das Erlebnis des Kindes, welches inne wird, daß sein eigenstes relgiöses Besitztum — das zentral-christliche Glaubensgut des Protestantismus —, wie es aus dem Schöße der Mutterkirche stammt, auch im Schöße der Mufterkirche erhalfen und geborgen bleibt. Es geht also bei ihm — zugespitzt gesagt — um die aufleuchtende Erkenntnis, daß die Giaubensspaltung in letzter religiöser Schau weniger eine Spaltung des Glaubens ist als eine Spaltung der Liebe, und daß die theologische Ueberwindung jener niemals gelingen kann, wenn ihr nicht die Ueberwindung dieser bereits voraufgegangen ist.

Und hier, hochverehrter Herr Professor, kehren nun diese Zeilen zu ihrem eigentlichen Anliegen zurück: die Feier Ihres Geburtstages, die Feier ihres Werkes, die wir begehen, fällt mit einer Weltstunde zusammen, in welcher die bangen Ahnungen jener Nachkriegsstunde, von der ich ausging, bereits teilweise erfüll) sind. Es bedeutet die Einsicht in den tiefen Ernst der Gesamtlage, wenn sich innerhalb unseres eigenen Volkes wie innerhalb der ganzen christlichen Welt weit inniger als früher die Sehnsucht nach der Ueberwindung aller Gespaltenheit erhebt, nicht etwa deshalb, weil eine geschlossene Macht leichter zu siegen vermag — das wäre ganz unreligiös gedacht —, sondern weil die Ueberwindung der Spaltungen bereits der Sieg ist: die Erscheinung der einigen Liebe Christi, die wir jetzt in der Trennung nur unvollkommen und darum nicht triumphierend genug darzustellen vermögen; kein Vorwurf trifft ja das Christentum tiefer als der einer Zerklüftung seiner eigenen Reihen!

Wenn aber hier nun die ganz besondere religiöse Sehnsucht und Sendung unserer Tage einsetzt, dann, verehrter Herr Professor, haben Sie dieser Sendung gedient, lange bevor sie in der heutigen Eindringlichkeit vor uns stand: Sie haben die Erfüllung der religiösen Aufgabe vorbereitet, indem Sie uns immer wieder die Gemeinsamkeit der christlichen Kultur zeigten, die ja doch nur möglich ist als Ausstrahlung auch eines weithin gemeinsamen religiösen Besitzes. Nehmen Sie Dank dafür, daß Ihr Werk so groß, so weif, so im wahren wörtlichen Sinne .katholisch' war, daß es auch die von außen Herantretenden zu erreichen, zu' umfangen und mit zu vertreten vermochte — nehmen Sie dafür Dank einer von außen Gekommenen: er ist nicht mein Dank allein! Ich erbat für mein Erlebnis nur deshalb Ihre Aufmerksamkeif, weil sich darin ein weithin allgemeines darstellt, gleichviel, ob nun seine Auswirkung sichtbar wird oder unsichtbar bleibt — es gibt auf dieser Straße viele Stufen der Erfüllung; auch die unscheinbarste ist ein unendliches Versprechen! Der Konvertit stellt die lebendige Vereinigung der getrennten Liebe dar, er ist gleichsam die Brücke, die zwei Ufer berührt und verbindet. Lassen Sie mich von dieser Stellung Gebrauch machen und vor Ihnen die Vertreterin meiner nichfkafholischen Brüder und Schwestern sein — sie dürfen heufe nicht in unseren Reihen fehlen! Denn gerade durch ihre Anwesenheit und Teilnahme erscheint für uns der Strahl der Verheißung jener einigen Liebe, die uns vielleicht erst in der Ewigkeit vollkommen verbinden wird, die aber schon hier in der Zeit das unverrückbare Ziel bleibt und zugleich die einzige untrügliche Hof/nung für die Versöhnung einer trostlos zerrissenen Welt! —

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