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Die Krone der Frau

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Im Gedanken der Ewigkeit bekennt das Geschöpf seine eigene Relativität, und nur in diesem Bekenntnis bekennt sich auch die Ewigkeit zu ihm. Das in seiner zeitlichen Bedingtheit aufgelöste, vor dem Zeitlos-Unbedingten versinkende Geschöpf — es versinkt eben doch im Zeitlos-Unbedingten und erscheint nun, von ihm aufgefangen, nicht mehr als sein eigener Wert, sondern als Gedanken und Spiegel eben des Ewigen, als sein Gleichnis oder Gefäß. Dies ist der Sinn jeder Läuterung, jeder religiösen Hingebung; es ist der Sinn des Heiligen wie der Sinn des Liebenden; es ist auch der Sinn des Todes.

Hier ist zunächst festzustellen, daß die katholische Dogmatik die gewaltigsten Aussagen gemacht hat, die je über die Frau gemacht worden sind. Neben diesen Aussagen verschwinden alle anderen Versuche der metaphysischen Deutung des Weiblichen als bloßes Nachhallen der Theologie oder als religiös inhalts- und bedeutungslos. Nicht allein, daß die Kirche die Frau —

jede Frau — in der • Lehre vom Sakrament der Ehe mit sich selbst vergleicht, sie hat auch eine Frau zur Königin des Himmels erklärt, sie hat sie die „Mutter des Erlösers“, die „Mutter der göttlichen Gnade“ genannt. Freilich, sie hat mit diesen Aussagen nicht die Inkarnatioft des Weiblichen an sich gemeint — dies muß mit allergrößtem Nachdruck ausgesprochen werden, sondern sie hat nur die Eine gemeint, von der es heißt: sie ist „gebenedeit unter den Weibern“. Allein diese Eine, wenn sie auch unendlich mehr ist als das Symbol des Weiblichen, so ist sie doch auch Symbol des Weiblichen: in ihr allein ist das metaphysische Geheimnis der Frau Gestalt und darum faßbar geworden.

Ist die Immaculata das unentweihte göttliche Ebenbild der Menschheit, so ist die Jungfrau der Verkündigungsszene deren Repräsentantin. In dem demütigen „fiat“, mit dem sie dem Engel antwortet, hängt das Geheimnis der Erlösung von der Kreatur her. Denn zu seiner Erlösung hat der Mensch Gott gegenüber nichts einzusetzen als dx Bereitschaft der unbedingten Hingebung. Das Passiv-Empfangende des Weiblichen, in dem die antike Philosophie das rein Negative sah, erscheint in der christlichen Gnadenordnung als das Positiv-Entscheidende: das marianische Dogma bedeutet, auf eine kurze Formel gebracht, die Lehre von der Mitwirkung der Kreatur bei der Erlösung. Das ,,fiat“ der Jungfrau ist also das Offenbarwerden des Eigentlich-Religiösen. Indem es zugleich — eben als Hingebung — das Offenbarwerden des Eigentlich-Weiblichen ist, wird dieses zum Offenbarwerden des Religiösen im Menschen überhaupt. Maria ist also nicht allein Gegenstand der religiösen Verehrung, sondern sie ist auch selbst das Religiöse, durch das Gott verehrt wird, die Hingebungsgewalt des Kosmos in Gestalt der bräutlichen Frau.

Der Schleier ist das Symbol des Metaphysischen auf Erden. Er ist aber auch das Symbol des Weiblichen — alle großen Formen des Frauenlebens zeigen die Gestalt der Frau verhüllt. Von hier aus wird klar, warum die größten Mysterien des Christentums ihren Einzug in die kreatürliche Welt nicht durch den Mann, sondern durch die Frau hielten: die Verkündigung der Weihnachtsbotschaft an Maria wiederholt sich in der Osterbotschaft an Magdalena; das Pfingstgeheimnis aber zeigt den Mann in der weiblich empfangenden Haltung. Die Kirche selbst drückt diesen Zusammenhang dadurch aus, daß sie die Frau beim Gottesdienst — auch bei der Trauung — auf die Evangelienseite weist.

Das Motiv des Weiblichen hallt durch die ganze Schöpfung. Es schwebt wie ein zartes, fernes Präludium über dem geöffneten Schoß der bräutlichen Erde. Es schwebt über dem rührenden Muttertier der Wildnis, das in seiner Mütterlichkeit fast die Grenzen seiner Tierheit sprengt. Es schwebt über der liebenden Braut und Gattin, es schwebt ganz groß über jeder menschlichen Mutter — jede wird vom Kind überstrahlt. Es ist aber auch noch erkennbar in der sich sinnlich verschwendenden Geliebten. Es schwebt über dem geringsten, dem flüchtigsten Verschenken, über der kleinsten, der kindlichsten Güte, ja es schwebt noch über deren bloßer Ahnung. Es steigt aus der natürlichen Sphäre auf zur geistigen und übernatürlichen: wo immer die Frau zutiefst sie selbst ist, da ist sie nicht sie selbst, sondern hingegeben — wo immer sie aber hingegeben ist, da ist sie auch Braut und Mutter. Die der Anbetung, der Barmherzigkeit, der Mission aufgeopferte

Crdensfrau führt den Titel mater, sie führt ihn als virgo mater. Auch die Sibylle, die mit „schäumendem Mund“ den neuen Aeon verkündigt, ist „Mutter des Zukünftigen“ - alle Weissagung ist nur eine Form der Mutterschaft.

Vom Motiv des Schleiers her eignet der Frau vor allem das Unscheinbare: alles, was unter die Bezirke der Liebe, der Güte, des Erbarmens, des Pflegens und Behütens gehört, also das eigentlich Verborgene und zumeist Verratene auf Erden. Darum sind auch diejenigen Zeiten, welche die Frau aus dem öffentlichen Leben zurückdrängen, ihrer metaphysischen Bedeutung nicht abträglich; ja es ist wahrscheinlich, daß gerade sie — wiewohl meist, ohne es zu wissen — das ungeheure Gewicht des Weiblichen in die Waagschale der Welt werfen.

Ueberau wo Hingebung ist, da ist auch ein Strahl vom Geheimnis der ewigen Frau; wo aber die Frau sich selbst will, da erlischt das metaphysische Geheimnis: indem sie ihr eigenes Bild erhebt, vernichtet sie das ewige Bild.

Der Abfall der Frau ist nicht eigentlich Abfall der Kreatur zur Erde, sondern er ist eher noch Abfall von der Erde, insofern als diese ja auch das Frauliche demütiger Bereitschaft bedeutet. Der Abfall der Paradiesesszene hängt nicht an der Versuchung durch die süße Frucht; er hängt auch nicht an der Versuchung zur Erkenntnis, sondern er hängt an dem „Ihr werdet sein wie Gott“, an dem Gegensatz zu dem „fiat“ der Jungfrau. Der eigentliche Sündenfall begibt sich demnach in der religiösen Sphäre, deshalb bedeutet er im tiefsten den Abfall der Frau; er bedeutet ihn, nicht weil Eva den Apfel zuerst nahm, sondern weil sie ihn als Frau nahm. Die Schöpfung ist in ihrer weiblichen Substanz gefallen, denn sie fiel im Religiösen; darum schreibt die Bibel mit Recht Eva und nicht Adam die größere Schuld zu.

Dabei ist es ganz falsch, zu sagen, daß Eva als die Schwächere fiel. Die Verführungsgeschichte der Bibel zeigt ganz deutlich, daß sie die Stärkere, die dem Manne Ueberlegene war. Der Mann steht, kosmisch betrachtet, im Vordergrund der Kraft, die Frau lagert in ihrer Tiefe.

In dieser Richtung liegt das metaphysische Geheimnis der Frau nach der negativen Seite hin. Weil sie nach ihrem ganzen Sinn und Sein nicht nur zur Hingebung bestimmt, sondern geradezu die Hingebungsgewalt des Kosmos selbst ist, darum bedeutet ihre Versagung etwas Dämonisches und wird auch so empfunden. Zwar is sie nie das Böse an sich — der gefallene Engel steht ihr im Abfall voran, der Teufel ist männlich —, aber sie teilt mit ihm die Verführungsgewalt. Verführung ist Eigenwille, Gegenteil von Hingabe. Wie der abgefallene Engel schrecklicher ist als der abgefallene Mensch, so ist auch die abgefallene Frau schrecklicher als der abgefallene Mann.

Wenn das Vorzeichen der Frau das „Mir geschehe“ ist, d. h. das Empfangenwollen, religiös ausgedrückt das „Gesegnetseinwollen“, so ist das Unglück immer dort, wo die Frau nicht mehr empfangen, nicht mehr gesegnet sein will. Das gilt nicht nur im biologischen Sinne: der aufsteigenden Linie der Hingebungshierarchie entspricht die absteigende Linie der Versagungen: zwischen der tragisch-heroischen Versagung der Amazone und der apokalyptischen Versagung der Frau klafft eine Welt.

Wie der Schleier, so ist auch das Fallen des Schleiers von tiefer Symbolik. Wir sagten: alle großen Formen des Frauenlebens zeigen die Frau verhüllt; die Braut, die Witwe, die Nonne sind Trägerinnen des gleichen Symbols. Die äußere Gebärde ist niemals wesenlos; sondern wie sie aus der Sache heraustritt, so vertritt sie auch die Sache. Von hier aus gesehen werden gewisse Moden zu ungeheuren Verrätern, ja sie werden zur Bloßstellung der Frau im eigentlichen Sinne des Wortes. Die Enthüllung der Frau bedeutet stets den Sturz ihres Mysteriums. Ohne Zweifel stellt die nicht einmal in der sinnlichen Sphäre Hingegebene, nur noch dem armseligsten aller Kulte, dem des eigenen Körpers gewidmete Frau — und das inmitten einer unerhörten Notlage ihrer Mitgeschöpfe — eine Entartung dar, die auch die letzte Verbindung mit ihrer metaphysischen Bestimmung zerrissen hat. Hier blickt uns schon nicht mehr das harmlos-kindliche Antlitz der weiblichen Eitelkeit an; sondern hier erhebt sich banal und gespenstisch jenes Anlitz, das den vollen Gegensatz zum göttlichen Ebenbild bedeutet: die antlitzlose Maske des Weiblichen. Sie, nicht das von Hunger und Haß entstellte Gesicht des bolschewistischen Proletariers, ist der wahre Ausdruck der modernen Gottlosigkeit.

Wie die Lauretanische Litanei, ihre großen Anrufungen Mariens plötzlich abbrechend, dem Agnus Dei gleichsam zu Füßen stürzt, so kniet das „Ewigweibliche“, wenn es „hinanzogvor dem Ewiggöttlichen nieder: das letzte Geheimnis der Immaculata ist der Schöpfer, das letzte Geheimnis der Miterlöserin ist der Erlöser; die Glorie des Heiligen Geistes, der unerschaffenen Liebe selbst, ist die Krone, aber auch der letzte, der ewige Schleier über dem Haupte der virgo mater.

Der Mann vertritt die jeweilige geschichtliche Situation, die Frau vertritt die Generation. Der Mann bedeutet den Ewigkeitswert des Augenblicks, die Frau die Unendlichkeit des Ablaufs der Geschlechter. Der Mann ist der Fels, auf dem die Zeit ruht; die Frau ist der Strom, der sie weiterträgt. Der Fels ist geformt, der Strom ist fließend —: die Persönlichkeit gehölt in erster Linie dem Manne, der Frau gehört das Allgemeine. Das Persönliche ist das Einmalige und darum das Vergängliche — es zehrt sein Kapital auf, das Allgemeine spart es auf.

Mit dem Dogma von der ewigen Jungfräulichkeit der Gottesmutter drückt die Kirche nicht nur die unverletzliche Reinheit Mariens aus, sondern sie stellt auch für alle Zeiten die selbständige Bedeutung der Virginität fest,.sie stellt neben die mütterliche Würde die jungfräuliche Würde. Der vom Dogma herausgearbeitete Gedanke der Jungfräulichkeit geht in die christliche Aera der großen abendländischen Kunst ein, erleuchtet aber zugleich die vor- und nachchristlichen Epochen: wo immer die Kunst als wirklich ganz große Kunst die Jungfrau darstellte, da verkündete sie nicht einen zeitlich gebundenen Zustand, wie mädchenhafte Erwartung oder zerstörte Hoffnung, sondern sie verkündete ein Mysterium.

Die Frau kann das Weibliche nur einsetzen als Trägerin des weiblichen Symbols — das Symbol der Frau ist der Schleier, das Zeichen der Vermählten. Die kulturelle Rolle der in der ewigen Ordnung stehenden Frau ist die der sponsa des männlichen Geistes.

Die Wahrheit, die unsere Zeit auf der ganzen Linie zu allermeist angeht, ist daher die, daß man ohne die ewigen Bindungen nicht nur die Ewigkeit, sondern auch die Zeitlichkeit verliert.

Zum Vorrecht der mütterlichen Frau gehört jene stille, so überaus wichtige Funktion des Warten- und Schweigenkönnens, jene Fähigkeit, auch einmal ein Unrecht, eine Schwachheit zu

übersehen, zu schonen, zu bedecken — sie ist als Tat der Barmherzigkeit nicht weniger Wohltat als das Bedecken der leiblichen Blöße.

Wie die geistige Mütterlichkeit eine Naturanlage ist, so ist auch ihre Entfaltung eine durchaus natürliche. Wenn wir zuvor sagten: die leibliche Mutterschaft ist nur der erste Aufbruch der Mutterkräfte, nur ihre allgemeinste, ihre rührendste Erscheinung, so heißt dies noch nicht, daß jede Frau nur durch das eigene Kind zur allgemeinen Mütterlichkeit durchzustoßen vermag. Es ist ein Rest aus der Zeit des Individualismus, zu glauben, daß alle alles erleben müssen. Wie in unendlich vielen Fällen die nur im geistigen Sinne mütterliche Frau, z. B. in der Familie die Verwandte, die Taufpatin, im öffentlichen Leben die Fürsorgerin, für die Frau einstehen muß, die zwar ein leibliches Kind hat, aber ohne ihm im wahren Sinne Mutter zu sein, so steht auch die leibliche Mutter stellvertretend für die Frau, die nur geistige Mütterlichkeit besitzt! Es gibt kein Recht der Frau auf ein Kind, sondern es gibt nur das Recht des Kindes auf eine Mutter I

Der Charakter der „Hoffnung“ bedeutet: das Kind, auf das die Mutter hofft, wird nicht eigentlich von ihr gebildet, sondern aus ihr. Wie die Frau es in der Stunde der Empfängnis nicht nahm, sondern aufnahm, so konnte sie auch das Aufgenommene nicht bewußt nach ihrem Wunsch und Willen formen; sie konnte nur tragen, was ihr anvertraut wurde. Die tragende Frau stellt dem Kinde ihre Kräfte zur Verfügung, aber indem sie über diese Kräfte verfügen ließ. Was von der körperlichen Entwicklung des Kindes galt, das gilt auch von seiner geistigen Entwicklung: die Haltung der christlichen Mutter bleibt die der Hoffenden; auch in der Erziehung kann sie das Kind nicht nach ihren eigenen Wünschen formen, sie kann wieder nur das ihr Anvertraute pflegen und hüten. Das Anvertraute im religiösen Sinne ist das göttliche Ebenbild im werdenden Menschen — das Kind, das die Mutter im natürlichen Sinne von seinem Vater empfing, es ist im religiösen Sinne das Kind des Schöpfers: Er wirkt; sie wirkt nur ehrfürchtig mit. Offenbarte sich in der leiblichen Mutter der Charakter der Natur als Vorstufe der Gnade, so wird dieser Charakter, von der christlichen Mutter her betrachtet, erkennbar als Mitwirkung der Kreatur am göttlichen Wirken.

Es ist Advent bis zur Ankunft des Herrn am Jüngsten Tage! Aber wie immer geht der Erfüllung durch Christus voran die Verkündigung an Maria, der Erscheinung geht voran das Verborgene, der Erlösung die Demut der Bereitschaft, dem Aufbruch aus der Höhe das Ja der Kreatur.

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