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Drei neue Werke von Gertrud von Le Fort

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Wenn man an das Gebet Hölderlins auf der Dichterin Schreibtisch denkt: .Nur einen Sommer gönnt, Ihr Gewaltigen / Und einen Herbst zu reifem Gesänge mir“, so darf man dankbar sagen, daß dieses Jahr der Vierund-siebzigjährigen noch einmal reife Früchte gezeitigt hat: drei Novellen sind im Erscheinen begriffen (alle drei beim Inselverlag). Als das gemeinsame Thema der in verschiedenen geschichtlichen Bereichen spielenden und darum auch im Stil verschiedenen Werke ließe sich bestimmen die Selbst-befangenheit des Menschen in ihren Formen der Macht, des Hasses, ja der Liebe — und das .Plus ultra“ ihrer Uberwindung, der Durchbruch ins Transzendente und damit in die wahre Selbst-vollen dung.

So entwickelt die kleine Legende „D i e Vöglein von Theres“ im Anschluß an das „Das Reich des Kindes“ (und mit dieser Legende als ein Buch erscheinend) zwei Szenen von der Krönung Ludwigs des Kindes, die auf den nächsten Träger der Krone, den jungen Vogler weisen. Er allein innerhalb der Großen des zerfallenden Reiches, die um ihre Stellung eifern, sieht über dem ohnmächtigen Enkel des großen Karl das Gericht Gottes, und in dieser Perspektive wandelt sich ihm in seinem zunächst auch stammesbedingten Blick notwendig das Bild des Gerichtes zu dem der Gnade — damit kommt ihm die Krone zu, in der Demut, die sich nicht krönen läßt, sondern die in den Staub gefallene in den Händen trägt. In kürzesten Zügen decken sich hier geschichtliches Bild und religiöses Sinnbild.

Wieder um das Ganze gegenüber blindwütigen Einzelstrebungen geht es in der Novelle .Die Tochtes Farinatas“ (71 Seiten): um das Heiligtum der Heimat über dem sie und sich zerstörenden Kampf der florentinischen Geschlechter. Das Florenz zwischen der Schlacht von Empoli und der Ankunft Konradins: das ist schlechthin die ganz und gar verkehrte Welt, haßerfüllt, ebenso ohne mütterliche Atmosphäre wie ohne geistliche Leitung; die .wirkliche Welt“, wo .das herzlose Geschlecht des Mannes regiert“. Aber eben diese Welt hat .das mädchenhafte, mütterliche Herz“ zu überwinden, die Tochter jenes Mannes, der als der einzige seine eigene Welt durchbrochen und der darum im Banne stirbt, sein Grab der Schändung preisgegeben. Der schützenden, versöhnenden Kraft dieses jungen Mädchens fällt es zu, sein Opferwerk der Rettung der Vaterstadt zu vollenden, indem sie einwilligt in ihr Schicksal, und es wandelt in den Auftrag Gottes, den man nur „annehmen“ kann.

Wenn über diesem vor der Zerstörung geretteten Magdeburg (wo auch der .Krieg an sich' herrscht und auch eine Tilly-ähnliche Gestalt eines gnädigen Schwertes waltet) zuletzt ein neuer Ostermorgen zart erklingt, so ist es, als wenn sich aus dem „Gericht des Meeres“ im frühesten Morgenrot die Schiffe aus dem Banne lösten. Der Leser wird schon aus der kurzen Angabe des inneren Themas ganz Gertrud von Le Fort wiedererkannt haben, und wirklich sind hier auch sonst viele Erinnerungen aus dem Gesamtwerk der Dichterin zu neuen gestalterischen Verbindungen verdichtet. Es muß hier der Hinweis auf die Vielfalt der Motive und auf diesen Schöpfungsprozeß genügen; auffallend und sinnreich ist es vor allem, wie in der Heldin Bic bald eine Trophäa, bald Anne de Vitra wiederauftaucht, bald eine verjüngte Frau Bake erscheint und nicht zuletzt Veronika in ihrem schutzlosen Freimut; ebenso geht hier nicht von ungefähr der Stil der „Magdeburgischen Hochzeit“ mit dem schon sehr gekonnten älterer Chronik eine gewisse Verbindung ein.

Wieder verdichten sich auch innere Handlung, Motive und Gestalten zu einigen packenden Bildern — die bald auf der Bühne darstellbar wären, bald ganz innerlicher Vorgang sind. Künstlerisch geht die Novelle auf eine strenge Vergeistigung aus, die mitten in ihrem Reichtum das Gesetz des Altersstils vollzieht, das Goethe einmal „das Zurücktreten aus der Erscheinung“ genannt hat.

Daß es dabei wie Morgentau über einer Spätdichtung liegen kann, gibt die .Plus ultra“ (65 Seiten) genannte beglückend zu erkennen. Mitten im Satz beginnt die Erzählung, und diese Unmittelbarkeit hält der Stil durch, mit Wärme und Schwung der Aussage in der Ichform, mit einer meisterhaften Leichtigkeit in der Entwicklung des doppelten Stranges der Handlung, mit der lichten Freiheit und Weite im Atmosphärischen und Gegenständlichen, der Frische eines neuen geschichtlichen Bereiches, wie sparsam er auch nur Feld und Randung eines Geschehens aus allen Zeiten ist Diese Unmittelbarkeit schließt nicht aus eine feine, überlegte Verarbeitung der Motive, wohlerwogenes Bauen und ausgewogenes Maß.

Ihr Geheimnis geht aus von dem Kern der Dichtung: dem weiblichen Herzen in seiner Liebe, der ganz irdischen Liebe zum Manne, zugleich von dem Licht darin: der Liebe als dem Strahl aus einer anderen Welt, die unsere zu verklären. Sich in ihr zu läutern: sie als Geschenk von Gott wie als Gabe an Gott zu fassen — das wird das so einfache wie tiefe Thema, das den Konflikt von irdischer und himmlischer Liebe eben nicht als Konflikt, sondern transzendierend als Hindurch führt, als das Plus ultra. (Mit welcher realistischen Kenntnis der weiblichen Psyche zeigt übrigens die zu dem symbolischen Rubinkelch ansteigende Szene.)

Noch einmal und so gänzlich anders als im ersten Buch spielt sich ab die Handlung zweier Seelen, die bestimmt sind, einander auf dem Wege zu Gott zu helfen, und höchst merkwürdig verwandelt sich hier, auf jenes Äußerste gestellt, das keine Sicherheit verlangen darf, einer Veronika Liebe und Opfer. In jungen Verzauberten verkörpert sich in diesem zeitlosen Thema der .großen Liebe“ jenes .strahlende“ Bekenntnis der Großmutter von einst (im .Römischen Brunnen“), das Bekenntnis zu der Liebe, die jede vom Schicksal dargereichte Form erfüllend überhaupt nur glücklich werden kann — es ist dem Leser, als ob die greise Dichterin mit diesem Hymnus auf die .Majestät des Herzens“ ein Vermächtnis aussage: .... denn wisse, Kind, es gibt in alle Ewigkeit nur eine Liebe, die stammt vom Himmel, auch wenn diese Welt sie irdisch nennt — Gott nimmt sie an, als wäre sie ihm selber dargeboten.“

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