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Romane

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Und der Wald stand stiM. Roman. Von Hugh Walpole. Steinberg-Verlag, Zürich. 266 Seiten.

Der L . Abschnitt des Buches hat den Titel „Das letzte Kapitel", der 17» und letzte besteht nur aus zwei Zeilen, die offenbar den Zweck haben, die Ueberschrift „Das erste Kapitel" zu ermöglichen. Dazwischen wird uns ein Roman darüber erzählt, wie dem Studenten Olva Dune, der seinen Mitschüler im Streit umgebracht hat, das Walten Gottes glaubhaft wird. Die anderen Gestalten der Erzählung kümmern sich wenig um das Ueberirdische, oder gehören einer als komisch geschilderten, oberflächlich redseligen Sekte an. Es wird uns also wieder einmal in handfertiger Weise vorgeführt, daß ausgerechnet Totschläger und ähnliche Kumpane zu einem erschütternden Gotteserlebnis kommen. Graham Greene und die Folgen. Gegen Ende gibt es natürlich die für jeden englischen College-Roman typische Schilderung eines „entscheidenden" Rugbymatches. Unser Held und Uebeltäter ist in romanüblicher Weise der Star seiner Mannschaft. Mitten im Kampf hat er eine Menge Erscheinungen. „Und zum zweitenmal hört er die Stimme Gottes: Mein Sohn … Mein Sohn " Kein Wunder, daß die andern bald 10:0 führen. Aber dem Autor ist es doch nur darum zu tun, mittels der Vorsehung die Spannung in dem Sportkapitel zu erhöhen. Auf einmal ist Dune wieder „da", er spielt wie ein Rasender und das Spiel wird von ihm für die Seinen 15:10 gewonnen; ich hab’s noch in keinem einschlägigen Roman anders erlebt. Hoch Dune! Hipp, hipp Olva Dune! „Er aber, der Gefeierte, fühlt sich allein mit den weißen Wolken, die über ihm schweben. Nichts ist ihm bewußt als die Hand, die unendlich zart seine Schulter berührte." Weniger zart ist zu alldem zu sagen: Es ist zwar immer nur von Gott schlechthin die Rede, und doch sollte auch der nichtgläubige Kulturmensch solchen theologischen Vorspann für einen Kriminalreißer als literarisch getarnte Gotteslästerung empfinden.

Dresden 1953. Roman. Von Wolfgang Pani. Bechtle Verlag, Eßlingen. 323 Seiten. Preis 6.80 DM.

Marius Horn ist ein junger Dichter, der Verse und ein Tagebuch über das jetzige Dresden schfeibt und am Rande dieser Stadt als Gärtnergehilfe lebt. Er ist parteipolitisch nicht interessiert, und zwar darum, weil er trotz seiner 34 Jahre noch immer ein aufgeschlossener Mensch ist. Das ist eigentlich unausgesprochen der Tenor des Buches: Wer sich seine innere Lebendigkeit erhalten hat, kann sich nicht als totes Rädchen einbauen lassen In eine leblose, bloß funktionierende Maschinerie, so einer könnte auch immer nur Mitarbeiter sein und niemals _ Handlanger. Und da Dresden den einzigen Ort der Handlung bildet, so beweisen die Ereignisse glatt die Richtigkeit der Behauptung. Kein Zweifel, daß „Marius Horn" der Autor und das schließlich aus Dresden nach

Berlin gerettete „Tagebuch" der vorliegende Roman sein soll. Er schildert die kunterbunte Einförmigkeit einer gleichgeschalteten Gesellschaft, sowohl in der persönlichen Entrechtung wie in der persönlichen Unzufriedenheit. Die Handlung läuft lesbar und glaubhaft ab, trotz gelegentlicher Längen und des allzu pointierten Schlusses, der leider den schwächsten Teil des Bucbes ausmacht Der theatralisch vorgeführte Einsturz des babylonischen Parteiturmes in finsterer Nacht, während eines wahrhaft apokalyptischen Gewitters, wobei außerdem die menschlich bereits verschütteten Hauptgestalten lebendig begraben werden — all das wäre als dräuende Möglichkeit eindrucksvoller gewesen. Aber das ganze Werk ist durchaus diskutabel, und es wirkt erschütternd, obwohl es bloß Begebenheiten erzählt, von denen wir jeden Tag hören. Edwin Hartl

Gesang der Quelle. Von Alma Holgersen. Paul-Zsolnay-Verlag, Wien 1953. 272 Seiten, Preis 69 S.

Ein einfaches, fast einfältiges Bauernmädchen, das mit einer alten Frau zusammen in der Einöde lebt, will durch die Kraft ihrer leidenschaftlichen Gebete ein zweites Wunder von Lourdes erzwingen. Eingebaut in das großartige Schauspiel eines Jahresablaufes im Hochgebirge wird die Geschichte dieses Mädchens erzählt, ihr Hoffen, ihr Aufbegehren und schließlich ihre Erkenntnis, daß man Wunder nicht fordern darf. Das Vorbild der Bernadette Soubirous wird zum wirklichen Beispiel, und ohne daß es das Bauernmädchen Cäcilie weiß, beschützt sie dieser Glaube in Armut, Bitterkeit und Versuchung. Erst als aber zum Glauben die Demut herangereift ist, wird ihr Wunsch erfüllt und der alten Martha wird geholfen.

Nicht jedem wird es möglich sein, sidt in Se naive Gedankenwelt dieses Mädchens einzuleben — eine solche Kindlichkeit erscheint uns schon selbst eine Gnade. Es liegt aber auch viel Menschliches in der Schilderung der Leute in dem Gebirgsdorf. Am stärksten ist die Wirkung dort, wo auf theoretische Erörterungen verzichtet wird und nur die Natur in und nm diesen Mädchen spricht.

Der Knabe im Brunnen. Von Stefan Andres. Verlag R. Piper & Co„ München 1953. 353 Seiten. Preis 13.80 DM.

Nach den ersten Seiten dieses Buches vergißt man, daß man erwachsen ist. Ein Dichter geht zurück in seine Kindheit und erzählt. Aber nicht mit der Ueberlegenheit des reifen Mannes über den Abstand vieler Jahre hinweg, sondern aus der unmittelbaren Erfülltheit des Augenblicks, wie sie nur Kinder kennen. Obgleich diese Erinnerungen ohne Hinweis auf spätere Entwicklungen aneinandergereiht sind, spiegeln sie doch das Bild einer reifen und liebenswerten Persönlichkeit.

Der kleine Bub aus dem Dhrontal bei Trier baut sich aus Erlebtem und Erträumtem eine eigene Phantasiewelt, in der wunderbarerweise, selbst aus kindlichem Mißverständnissen eine tiefe und natürliche Ordnung wächst Scheinbar nebenbei und immer aus der Perspektive des Kindes gibt Andres eine Schilde'rung der Zeit um den ersten Weltkrieg, wie sie von den Bauern im Dorf, von denen, die den Frieden ersehnen, aber auch vom deutschen Spießer erlebt wird. — Die Sprache dieser Erzählung ist von starker, sinnbildlicher Kraft, die hier aus ihren eigensten Quellen schöpft: aus der Phantasie der Kinder und der Weisheit der Dichter.

Dr. Charlotte Blauensteiner

Nikolskoje. Von Otto Heinrich Kühner. Verlag Stiasny, Graz-Wien. 290 Seiten.

Eines der tausend Dörfer, die verstreut liegen in den endlosen Wald- und Sumpf gebieten Weißrußlands, Nikolskoje, wird im Frühsommer 1943 Standort jener Reiterschwadronen, die das deutsche Oberkommando aus gefangenen Kosaken, Tataren und anderen, dem Sowjetregime wirklich oder nur scheinbar feindlich gesinnten Angehörigen der Roten Armee gebildet hatte und hauptsächlich zur Bekämpfung der Pattisanentätigkeit im Etappenraum verwendete. Die in Nikolskoje stationierte Abteilung dieser bunten, manchmal kindlich-vergnügten, aber dann wieder unheimlichen Gesellschaft wird von einem blutjungen Deutschen befehligt, dessen Identität mit dem Autor des vorliegenden, in Tagebuchform geschriebenen Romans kaum zweifelhaft ist. Die Schilderung der mannig- . fachen Erfahrungen, Eindrücke und Erkenntnisse, die er während der kurzen Monate dieser Kommandierung gesammelt hat, und auch seines früheren Erlebens seit Beginn des russischen Feldzuges — das rätselhafte Mädchen Ija wird es, wie man wohl verstehen kann, nicht müde, sich aus seinem Tagebuch vorlesen zu lassen — zeigt nicht nur große Gestaltungskraft und ein bedeutendes dichterisches Können; sie verrät einen Adel der Gesinnung, wie ihn nur ganz wenige unter den bereits Allzuvielen besitzen, die sich bemüßigt gefunden haben, ihre Erinnerungen an den großen Krieg, oder Phantasien, die sie als solche Erinnerungen ausgeben, der Oeffentlichkeit mitzuteilen.

Hier begegnen wir einem Soldaten, der mehr ist als ein präzise funktionierendes Rädchen in der seelenlosen Vernichtungsmaschinerie des Krieges; hier lernen wir einen wahrhaft mutigen Mann kennen, der seine militärischen Pflichten opfere willig erfüllt, darüber aber nie vergißt, daß es ein Gebot gibt, dem der Vorrang zukommt vor allen militärischen Dienstvorschriften und Befehlen: das Gebot der Menschlichkeit. Wenn nur der Feind kein Menschenantlitz trüge — dieser. Gedanke kennzeichnet die Haltung des ritterlichen Kämpfers, der in jedem Menschen, gleich welcher Sprache, Sitte, und nationaler oder ideologischer Zugehörigkeit, den Mitmenschen sieht, hervorgegangen aus der Hand des allen gemeinsamen Schöpfers, und ihn als solchen achtet, auch wenn er eine Uniform trägt, die als eine „feindliche" erklärt worden ist.

Das Erscheinen dieses fesselnden Buches ist wärmstens zu. begrüßen. Es sollte eine weite Verbreitung finden, namentlich auch in jenen Kreisen,

die, allem Grauen der letzten Dezennien zum Trotz, noch immer, oder schon wieder, dabei sind, den Krieg unter der Perspektive Oswald Spenglers als „immer die höchste Form des menschlichen Daseins" zu betrachten, oder, wie das der „Philosoph" des Dritten Reiches, Carl Schmitt, ausdrückte, als „das Wesen aller Dinge".

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