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Die große Tirolerin

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„Die große Tirolerin“ nannte sie ihr Dichterfreund im Bündnerland, der ihr geist- und artverwandte Maurus C a r n o t, und er hat damit nicht zu viel gesagt und nicht zu wenig. Das ganze und wahrhaftige Tirol, Volk und Adel, Adel der Geburt und des Geistes, Nord- und Südtirol war in Maria Freiin von Buol verkörpert. Was Tirol einst groß gemacht hat, fand in ihrem Wesen, Werk und Leben seinen lautersten und letzten Ausdruck.

Am 21. August 1861 in Innsbruck als Tochter des Generalreferenten von Tirol, Franz Freiherrn von Buol zu Behrenberg und Mühlingen, geboren, kam sie früh schon nach Südtirol, ins wein- und burgenreiche Uberctsch, nach Kaltem am Fuß der Mendel, wo ihr Vater kurz vor einem vorzeitigen Tode einen der vielen kleinen, malerischen Landedelsitze erworben hatte. In der Landeshauptstadt war das Buolsche Haus die Stätte gemütlicher, geistig reger Geselligkeit und der Sammelpunk aller Gutgesinnten gewesen. Hier in Kaltem nun war die mütterliche Heimat, das in römischer Grandezza über den weinberühmten Seeufern aufragende Windegg zum Mittelpunkt der Geistigkeit geworden, mitten in Tirol. Was von jenseits der Alpen kam und im katholischen, im abendländischen Geistesleben Rang und Stimme hatte, stieg hier ab. Jenseits der Alpen, in München, im Kreise um G 8 r r e, Philipps, Ring teis und L a s s e a u x, hatte die Mutter, Aloisia Freiin Di Pauli-Trsuheim, unvergeßlich Jugendtag verlebt. Ihr reiches Wissen und Können, ihre musische Begabung, ihr hausfraulich Tüchtigkeit und werktätige Liebe zu den Armen und Kranken gab die durch Schönheit, Geist und Charakter gleich berühmt Frau in einer männlich energischen und zugleich mütterlich gütigen Erziehung an Maria, ihre nunmehr Einzige und Letzt weiter. Gemeinsam lasen Mutter und Tochter Horaz und Ovid, alte und neuere, deutsche und fremdsprachige Klassiker, philosophische, historische und theologische Werke, altfranzösische Chroniken. Macaulay, Shakespeare und vor allem die Memoiren von Joinville in englischer Übersetzung weckten in der Vierzehnjährigen die Dichterin, und so ist es verständlich, daß diese ihre ersten frühen Versuche in klangvollen französichen Reimen niedergechrieben wurden. Reisen nach Belgien und Frankreich, ein Winter in Rom weiteten ihren Blick, entfalteten ihr Talent zu großer, reifer Kunst. Von ihrer Pilgerfahrt nach Palästina brachte sie 1889 die „Lieder vom Heiligen Lande“ mit, religiöse Frauenlyrik von solch gedanklicher Tiefe und von so vollendeter sprachlicher Form, wie sie seit Annette von Droste-Hülshoff nicht wieder erklungen war.

Die Seele voll Lieder, das Herz voll Liebe, kehrte sie in die Heimat zurück. Da sah es nicht am besten aus. Der maßlos heftige Bruderzwist zwischen Christlichsozialen und Konservativen war entbrannt und spaltete das Land in zwei feindliche Heerlager. „Tirol, wie bist du der Fahne gleich, so ruhmvoll und nun so zerrissen!“ klagte Maria von Buol in ihren männlich-herben, dann wieder fraulich-innigen, beispiellos großen Zeitliedern. Doch sie klagte nicht nur, Sie handelt auch — nach dem Grundsatz der Antigone: „Nicht mitzuhassen — mitzu-lieben bin ich da!“

Aus Liebe zu ihrem Volke trat das Kälterer Schloßfräulein aus seiner feudalen Verborgenheit hervor. Es stieg von dem hohen Roß versgebundener Diditung, setzte sich zu dem gemeinen Mann im Herrgottswinkel und wurde zur Volksdichterin, zur Schriftstellerin, die „unter dem Stridic“ stand. Über dem Strich durchtobte die Zeitungen Tag für Tag der Hader der Parteien, allen zum Leide. Unter dem Strich, allen zur Freude, erzählte nun Maria Buol, wie sie sich bescheiden nannte, ihre schönen Geschichten: Der Mutter Geheimnis — Das Marterle — Die Stiefkinder — Ein gutes Wort — Das Findelkind — Gillis Hobelspäne — Nandls Sparkassenbuch — Christopherus — Das Weib des Verschollenen — Die Kirchfahrerin — Die Gams-wirtin, um aus vielen nur ein paar der längsten und schönsten, in Buchform auch weit über Tirol hinaus bekannt gewordenen zu nennen. Sturm und Sonnenschein, Liebe, Leid und Freude, das ganze, nun zerrissene Land, Norden und Süden, Täler, Berge und Menschen, wie es der Herrgott erschaffen, Natur, Kunst und Geschichte, das mannigfaltige Leben gebildet hat, ist in diesen Büchern, die zum Besten gehören, was die deutsche Sprache an volkstümlichem Schrifttum hat. Über allem leuchtet und wärmt eine kerngesunde Fröhlichkeit, Gläubigkeit und barmherzige Liebe, die sich voll verstehender Mütterlichkeit zu den Armen und Kleinen, den Verstoßenen und Vergessenen, den Mißhandelten und Heimatlosen niederneigt. Alles ist so schlicht und einfach erzählt, wie man ein Stück Schwarzbrot ißt, und dabei so sicher und kraftvoll, mit demselben großartigen, wohl berechneten Schwung, wie der Bauer das Korn über die Scholle der Väter hin sät. Ein jedes Kind versteht es und nur der Kenner und Könner merkt, wieviel Meisterschaft dahinter steckt. Einst vielgelesene Modeliteratur, die Voß, Greinz und Thelemann, haben von den Tirolern ein erbärmliches Zerrbild gezeichnet. In den Büchern der Buol lebt Tirol, ihr Tirol, mit seinen Tugenden und Schwächen. Bis in seine heimlichsten Herzwinkel hinein hat sie es belauscht. Sie ist ihm nadigegangen, zu Fuß und bescheiden, ohne Gepäck und Gepränge, wie die Vögel und die Sendboten Gottes wandern. So hat sie das Land und jede einzelne Landschaft erst eingehend kennengelernt, ehe sie daranging, sie liebevoll zu schildern und die Menschen in di Geschehnisse ihrer Geschichten hineinzubauen. Arm und arbeitsam wie das Volk, wie die Menschen ihrer Bücher, hat sie selbst gelebt, hat wie sie und mitten unter ihnen auf ihren Gütern gearbeitet, im Weinberg und auf den Äckern, im spätherbstlichen Tennen. Sie war — wie von ihr gesagt wurde, — „nicht Schriftstellerin und Mensch in Schichtwechsel, sie war immer Mensch und Schriftstellerin in lebendigster Verbindung. Sie schrieb im eigensten Erleben aus dem Leben , und für das Leben“.

Bei dieser Lebensnähe, der sicheren Charakterzeichnung, der spannenden Dramatik und meisterhaften Dialogführung, die ihre Erzählungen auszeichnen, war es nur mehr ein kleiner Schritt auf die Bühne, und auch diesen Schritt hat Maria Buol ihrem Volk zulieb getan und eine Reihe packender Volksstücke geschrieben, die heute noch, heute endlich wieder ihre aufbauende Wirkung ausüben nach dem großen Zusammenbruch. Und heute noch unvergessen sind die von ihr selbst geleiteten Aufführungen der Kälterer Mädchenbühne, denn „die Baroneß von Schloß Loch“ konnte nicht nur Theater sdireiben, sondern auch Theater spielen und keine Geringere als die große Emilie Ringseis hat sie in frisch-fröhlicher, von allen Musen gesegneter Jugendzeit im schönen Empiresaal von Windegg in die mimische Kunst eingeführt.

Als sich ihr Lebenssommer und Herbst dem Winter zuneigte, schrieb sie in der edlen Abgeklärtheit des Alters, streng historisch nach authentischen Quellen und doch voll warmer Volkstumlidikeit die beiden Biographien: die des großen Trientner Bischofs Johann Nepomuk von Tschiderer und die der vor hundert Jahren weltberühmten „Kälterer Fräuln“, der Seherin und stigmatisierten Maria von Morl. Ludwig K 1 a r u s, Klemens Brentano, der große G ö r r i in seiner „Mystik“ haben sie uns als „die Sybille von Tirol“, als „ein Schauspiel von unvergleichlicher Erhabenheit“ geschildert. Maler wie Kupelwieser, Wasmana und S t e i n 1 e haben sie in ergreifenden Bildern festgehalten. Buol, die gleich ihnen tief religiöse Meisterin der Feder, steht ihnen nicht nach und von ihrem „Herrgottskind“ gilt wie von ihren anderen Büchern: So schreibt nur eine, die sich nicht selber sucht; die, was sie schreibt, selber ganz und gar ist, mit Tat und Opfer, in guten und in schlechten, ja in verzweifelten Tagen, in mannhafter Treue, mit aller Liebe und Hingabe, deren ein Frauenherz fähig ist.

Durch gar nichts war dieses tapfere, großmütige Herz klein zu kriegen. Es liebte und opferte weiter, unbeirrt durch erlittenes Unrecht, durch den Undank der Heimat, durch jahrzehntelanges Totgesdi wiegen —, Verkannt — und Vergessenwerden in Zeiten, da ihr Volk seine Maria Buol am notwendigsten gebraucht hätte. Führerlos, von allen Hunden gejagt, trat es in das schmachvollste Jahr seiner glorreichen Geschichte. Die Männer, die Dichter versagten. Um Geld und Geltung verleugneten sie, was sie im Werk bekannt. Uber diese unselige Zeitenwende hinaus blieb Maria Buol, was sie immer war; lebte sie, was sie geschrieben hatte, in steter, selbstverständlicher Treue bis ans Ende.

Wie sie gelebt hatte, starb sie am 23. Mai 1943, „von der Herrlichkeit christlichen Sterbens verklärt“, auch im Tode noch „die große Tirolerin“.

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