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Das Geli eimnis der Dicht er

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Es gab eine Zeit, in der man in den profanen Bereichen des Lebens von religiösen Wesenheiten nicht sprach. Als Rationalismus und Positivismus das Szepter führten, verlor man den Sinn für alles, was über die „Vernunft“ und die „Wissenschaft“ hinauszugehen schien. Allerdings habep sich große Dichter niemals in ihren Werken in solche Beschränkungen eines Zeitalters hineinzwängen lassen. Sie verkündeten mit allen schöpferischen Geistern der Vergangenheit, daß in ihnen weder die Vernunft noch die Wissenschaft spreche, sondern eben der dichterische Genius. Diese Art von Daimonion empfanden sie als eine Macht, die in der Stunde gnadenhafter Empfängnis in ihnen wirksam sei. Es war nicht ihre eigene Stimme, die im Anruf dieser Macht vernehmbar wurde, es war eine höhere Stimme. Es waren die Bilder, die im Aufflammen einer heiligen Begeisterung vor ihre Seele traten, nicht Geschenke der Natur, nicht Farben und Töne der sie umgebenden Welt, es waren vielmehr Offenbarungen aus dem Lande des Geistes, des Göttlichen, einer überempirischen Wirklichkeit. Nur Unerfahrene, die noch nicht den primitiven Unterschied zwischen den lenzhaften Äußerungen der Pubertät und den geistensprossenen Gebilden der Dichtung kennen, geraten in Gefahr, die Stimnjie des Blutes mit der Stimme des Geistes zu verwechseln.

Heute ist die Scheu gewichen, über religiöse Fragen zu sprechen. Das Christentum ist gerade in der jüngsten Entwicklung mehr als früher auch eine Angelegenheit aller geworden. Jene, die es aufgegeben haben, empfinden das dadurch entstandene Vakuum und die Notwendigkeit, dieses Vakuum mit gleichwertigen Größen auszufüllen. Jene aber, die es festhalten, ergreifen es mehr als früher als ein unentbehrliches Element ihrer Existenz. In einem nie geahnten Ausmaß spricht heute die ganze Welt über das Christentum.

So ist es heute wieder möglich geworden, aus der von chaotischen Kräften in Frage gestellten Existenz selber, sei es nun die persönliche, sei es die nationale, die christliche Wahrheit zu entwickeln. Es ist möglich, von der nunmehr wieder klarer zutage tretenden menschlichen Unzulänglichkeit aus an den Abgrund zu treten, in dem Untergang oder Erlösung wartet. Es ist aus der unüberbrückbaren Tiefe dieses Abgrundes heraus der Beweis ron neuem aufgezwungen, daß die Menschheit entweder verloren ist, daß ihr Dasein sinnlos geworden, oder aber, daß man hinüberrufen muß zu jenem, der über Abgründen wandelt, oder aufblicken zu jenem Auge, das ruhig über diesen Abgründen geöffnet ist. Auf der Stelle, wo hilflos der Schrei der Verzweiflung aufschrillt, wird die Empfänglichkeit gerade für jene Stimme wach, die von einem Jenseits kommt, das bei all seiner Jenseitigkeit doch verschlungen bleibt in die tiefsten Geheimnisse unserer Not.

In einer solchen gnadenhaften Weltstunde ist es nun möglich, in aller Öffentlichkeit wieder über jenes Geheimnis der Dichter zu sprechen, das in ihrem Daimonion verborgen ist. Denn gerade in ihm ist eine Wirklichkeit gegeben, die über sich hinausdrängt, die an letzte Geheimnisse anklopft, die ein Tor in eine neue Welt aufsprengt. Es kann nicht genügen, zur Lösung dieser Frage einfach irgendeinen Geist wie einen deus ex machina herbeizurufen. Dieser Geist, auf den sich jenes Zeitalter des Geistes berief, das nun im Zeitalter des Blutes seinen Gegensatz fand, hat allzu deutlich sein Ungenügen erwiesen. Er hat nicht jenes Pathos der Wirklichkeit in sich, das ihn als Kraft in Not und Verzweiflung erwiese. Er ist ein Geist, der mit einer höheren Wirklichkeit verbunden werden muß, in der er die Garantie seines Wertes und seiner Bedeutung erfährt. Der Geist des Zeitalters des „Geistes“ wird entweder erlöst im Heiligen Geist, oder aber er wird in das Chaos des Biologischen, des Animalischen, schließlich des Ungeistes versinken. Und so hören wir diesen Geist inniger flehen um die Gabe, die ihn erhält, die ihn bereichert, die ihn schmückt, die ihn gottähnlich macht. Immer wieder ist das Veni Creator aus dem Munde von Dichtern gehört worden, die sich nach diesem Höheren irgendwie sehnten, sei es Goethe, sei es Franz Werfel. Und so kann man heute dem aufrichtig Suchenden gegenüber von jenen Gaben sprechen, in denen sich das sogenannte Daimonion vollendet, in denen es zu einer wirklich göttlichen Stimme wird, in denen Gott durch den Menschen wirkt. Gerade das ist nämlich das Geheimnis der sieben Gaben, um die die Christenheit zur Pfingstzeit betet. Jenes neue Es, das im Daimonion spricht, jenes überindividuelle, das jenseits aller Empirie zu liegen scheint, ist nur eine naturhafte Ahnung des göttlichen Ich, das in der schöpferischen Seele seine Tätigkeit entfaltet. Die Lehre vom Heiligen Geist und seinen Gaben, wie sie uns in der klassischen Theologie geboten wird, wirft ein strahlendes Licht in die Nacht der Seele, die sich von einem Höheren umgriffen und durchflutet weiß, wenn die Gebilde der Schönheit aus ihrem dunklen Schoß emporsteigen.

Wir lesen beim hl. Thomas: „Die Tugenden werden von den Gaben dergestalt unterschieden, daß die Gaben gewisse Verhabungen sind, die den Menschen dahin vervollkommnen, daß er dem Innenantrieb und dazu der An- wegung des Heiligen Geistes leicht folgt, die Tugenden aber dahin, daß er dem Befehl und der Anwegung der Vernunft Folge leistet.“ (Nach der Übersetzung der Krönerschen Taschenausgabe der „Summe der Theologie“.)

Darin unterscheiden wir ein doppeltes Wirken Gottes in der Seele, eines, in dem der Mensch führend bleibt, und ein anderes, in dem der Geist die Führung übernimmt; eines, in dem sich Gott in die Gewalt des Menschen gibt, und eines, in dem der Mensch in die Gewalt Gottes gegeben ist. Handelt es sich hier um Vorgänge in der religiösen Sphäre, so steht doch nichts im Wege, ihre dichterische Entsprechung zu betrachten. Wir wissen ja, wie innig Dichtung und Religion miteinander verbunden sind, und es kann die Art des Urerlebnisses beider sehr verwandt sein, wenn auch die Richtung, die von diesem Urerlebnis aus genommen wird, wesentlich verschieden ist, in einem Falle nämlich zur religösen Vereinigung, im andern aber zur künstlerischen Gestaltung geht. Es gibt also einen Zustand der Seele, in dem nicht sie wirkt, in dem nicht ihre empirischen Kräfte den Vorrang behaupten, sondern in dem der Heilige Geist sie durchdringt, in dem sie ganz und gar Werkzeug und Stimme dieses Geistes wird. Ist damit nicht eine staunenswert Aussage über das Geheimnis des Schöpferischen gemacht und eine überaus erhabene Erklärung des echten Daimonion gegeben? Sage nicht, daß diese Lehre über die Gaben nur den übernatürlichen Menschen angehe, denn wir müssen wirklich zu Ende kommen mit einer Unterscheidung von Natur und Ubernatur, die einen notwendigen wissenschaftlichen Behelf zum Verständnis einer Realität bedeutet, die nur eine ist und bleibt. Es gibt keinen natürlichen und übernatürlichen Menschen, es gibt vielmehr nur einen Menschen, der mit seiner Natur ganz und gar in die Gottesord- nung hineingestellt ist, wie das Licht der Vernunft und der Offenbarung sie lehrt, einen gefallenen und einen erlösten Menschen. aber keinen, der außerhalb dieser Wirklichkeit wäre.

So ist der Schöpfergeist in der Tat zugleich der schöpferische Genius, der im Schaffen des Künstlers tätig ist. Von ihm aus kommt aller Dichtung großer Art jene Weihe zu, die den Tempel der Musen zu einer ehrwürdigen Stätte macht. Es ist nicht gleichgültig, ob der schaffe’nde Dichter in der Gnade wandelt, denn die Gnade des Geistes ist zugleich auch eine Gnade der Kunst. Nicht als ob es den menschlichen Kräften nicht gegeben wäre, künstlerische Gebilde, zu gestalten, das ist nicht in Frage. Wohl aber ist in Frage, ob ein Kunstwerk gelingen soll, das ein Idealkunstwerk ist, das die Wahrheit, die Gutheit, die Schönheit der totalen Gotteswelt offenbart. Zu einem Kunstwerk gehört nicht nur der sinnenhaft gestaltete Leib, sondern auch die Seele, das Melos, und es ist wohl zu spüren, ob eine Dichtung nur ein staunenswertes Monument des technischen Könnens ist, wie bei Stefan George, oder aber ob in ihrem Allerheiligsten das echte Geheimnis wohnt, wie bei Dante. Hier wird auch offenbar die unendlich verstärkte Kraft der Gemeinschaft, die in echter Dichtung zum Ausdruck kommt. Eine Gemeinschaft auf Erden ohne den Heiligen Geist ist nicht zu verwirklichen. Es ist hier nicht der Raum, das im einzelnen zu zeigen, aber selbst die Familie bricht auseinander, wenn nicht das Band des Heiligen Geistes sie zusammenhält. Was im Licht der Idee nicht immer eingesehen wird, das offenbart mit Sicherheit die Existenz und ihre Abfolge in der Geschichte. Wir verstehen auf diese Weise auch, warum gerade Dichter wie Dante, die durch und durch in der Gnade des Heiligen Geistes leben, eine so erstaunliche Wirkung auf Menschen aller Zonen und Religionen ausüben. Und es ist da noch ein Letztes, nämlich das Verhältnis der Dichtung zu den Dingen. Die Verklärung der gesamten Schöpfung ist nicht bloß ein Novalis- Traum, sondern eine Sehnsucht aller Dichtung. Kunst hat als schöpferische Kraft und Leistung mit allem Geschöpflichen zu tun und will ihrer Natur nach alles in ihre leuchtenden Kreise hereinziehen. Gerade die Frage der Seinsverklärung ist im Zeitalter der Technik neu gestellt, und nur eine Dichtung, die aus den Gaben des Heiligen Geistes lebt, wird das Wunder der Verwandlung an dieser Zeit wirken können.

Wir arbeiten hier mit Größen, die im allgemeinen wenig in der Literatur beachtet wurden. Wir müssen sie stärker hervorheben, obwohl manche Vorurteile hemmend im Wege stehen. Alles, was Übernatur hieß, hatte sich ein wenig in die Sphäre der Abstraktion, des Blassen, des Fernen, des Unwirklichen verzogen. Nun aber ist die konkrete Gestalt der Kirche neu vor unser Auge getreten. Übernatur will mit neuer Kraft in der Natur selber erscheinen und auch hier eine neue Einheit, eine neue Totalität Wirklichkeit werden. Damit strömen der Dichtung Kräfte zu, die sie lange genug entbehrt hat. Das Heilige wird in ihr von neuem eine Stätte finden. Die Wahrheiten der Offenbarung treten als greifbare Werte in den Raum der Gestaltung. Es ist, als hebe das Brausen des Pfingsttages wieder an. Alle Völker vernehmen es, und jedes gibt das Echo in seiner Sprache. Der Geist ist aufgebrochen, der das Antlitz der Erde erneuert. Veni Creator Spiritus . . .

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