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Nicht wie ein Thermometer...

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Der Erzbischof von Wien, Kardinal König, hat ein kleines, aber bedeutendes Buch herausgegeben, das den Titel trägt: „Die Stunde der Welt.“ Zunächst möchte man sagen: dies ist ein empfehlenswertes Buch für Zweifler; für moderne Menschen, die, zu wissenschaftlichem Denken einseitig erzogen, glauben, alles in Frage stellen oder gar ablehnen zu müssen, was man nicht überprüfen kann. Vor allem natürlich die Existenz Gottes und jede religiöse Erfahrung. Die erste Hälfte des Buches ist ganz dem behutsamen Nachweis gewidmet, daß entscheidende Bereiche menschlicher Erkenntnis sich wissenschaftlicher Fragestellung entziehen, weil sie zwar erfahrbar, aber nicht beweisbar sind. Dazu gehört das, was der Autor „Werterlebnis“ nennt, die Vorbedingung allen sittlichen Verhaltens (wie auch schon Dietrich von Hildebrandt in seinen philosophischen und religiösen Schriften überzeugend dargelegt hat).

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Der Erzbischof von Wien, Kardinal König, hat ein kleines, aber bedeutendes Buch herausgegeben, das den Titel trägt: „Die Stunde der Welt.“ Zunächst möchte man sagen: dies ist ein empfehlenswertes Buch für Zweifler; für moderne Menschen, die, zu wissenschaftlichem Denken einseitig erzogen, glauben, alles in Frage stellen oder gar ablehnen zu müssen, was man nicht überprüfen kann. Vor allem natürlich die Existenz Gottes und jede religiöse Erfahrung. Die erste Hälfte des Buches ist ganz dem behutsamen Nachweis gewidmet, daß entscheidende Bereiche menschlicher Erkenntnis sich wissenschaftlicher Fragestellung entziehen, weil sie zwar erfahrbar, aber nicht beweisbar sind. Dazu gehört das, was der Autor „Werterlebnis“ nennt, die Vorbedingung allen sittlichen Verhaltens (wie auch schon Dietrich von Hildebrandt in seinen philosophischen und religiösen Schriften überzeugend dargelegt hat).

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Eine objektive Erkenntnis des Transzendenten kann es nicht geben, weil nur das persönliche, also subjektive Erlebnis, das Engagement, die Liebe, zur Übersteigung der Schranken führt. „Man kann Gott nicht erkennen, wie man ein Thermometer abliest.“ „Nur wer sich interessiert, erkennt Gott.“

Kardinal König beugt aber sogleich dem Mißverständnis vor, als sei Methaphysik unverbindlich und unnötig-berechtigt, weil verläßlich, nur die „Orthopraxis“. Als müsse das Rechttun genügen. „Orthopraxis“ allein hieße, dem Menschen das Denken verbieten und das Fragen untersagen. Daher wird es immer die Frage nach dem „Warum“ geben, die Frage nach der mehr als erfahrbaren Welt... die Frage nach Deutung und Begründung für die eigene Mühe...

Dann leitet eine prägnante Darstellung sowohl der 'geistesgeschichtlichen wie auch der trivialen Ursachen der modernen „Gotteskrise“ — aber sollte es nicht heißen „Glaubenskrise“? Denn nicht Gott ist in einer Krise! — zum zweiten Teil des Buches über. Dieser nun wendet sich an die Gläubigen. Der Titel des Bandes wird erklärt. „Stunde der Welt“ meint: Eine Stunde der „Forderung

Gottes“: „Es ist heute gefährlich in der Welt, wenn nur das technische Können des Menschen wächst, nicht aber die Macht seiner Liebe, die Kraft seines Herzens. So gleicht heute die Welt großen Kindern, die mit scharf geladenen Kanonen spielen.“ — „Wir stehen heute vor einer Entscheidung: Der eine Weg führt zu einer Menschheit ohne Gott, zu einer Freiheit des Menschen, die sich an nichts mehr gebunden weiß, nicht einmal an die Liebe, an die Ehe, an eine Wertordnung. Der andere Weg aber führt zur realistischen Anerkennung all dessen, was in dieser Welt wertvoll ist, zur Anerkennung des Gewissens, zur Anerkennung von Pflicht und Verantwortung, zur Anerkennung Gottes: eine Stunde der Entscheidung, eine Entscheidung der ganzen Menschheit.“

Es handelt sich nicht um eine theoretische Anerkennung, die ohne Folgen bleibt. Religion ist „Begegnung mit der ganzen Wirklichkeit“. Reduziert sie sich auf Anbetung dm stillen Kämmerlein, auf ein paar veräußerlichte Zeremonien, auf den „engen Raum des Kultes“, dann wird sie eng und egoistisch. Stunde der Welt, weil heute die Welt von der

Religion erwartet, daß sich ihre Kräfte in der Welt bewähren. „Dann wird man sie als wahr erkennen, wenn sie sich bewähren,“ H£ „Es gibt hur eme Wirklichkeit, keine zwei voneinander getrennte Welten.“ *

Aber sofort beugt der erfahrene Bischof dem entgegengesetzten Irrtum vor, als gäbe es überhaupt kein „Jenseits“. „Es gibt eine Wirklichkeit, die jenseits der Todesschwelle liegt. Es gibt in diesem Sinn ein Jenseits.“ — „Aber dieses Jenseits des Todes bedeutet nicht, daß Gott nur in diesem Jenseits wohnt... Gott wohnt unter uns!“

Deshalb gibt es „weltlichen Gottesdienst“, und dieser ist das Gebot der Stunde, meint Kardinal König. Einerseits einfach deshalb, weil heute der Mensch weder Zeit noch Platz hat zu anhaltendem Gebet und geistiger Versenkung; so ist er darauf angewiesen, Gott im Nächsten zu begegnen. Anderseits aber auch, weil die gottlos gewordene Welt in besonderer Weise und mehr als je vorher des Zeugnisses einer gelebten frohen Botschaft bedarf. Nur so kann sie erkennen; „Liebe ist das einzige, das frei macht. Alles andere ist nicht Freiheit, sondern Anarchie. Liebe macht frei, weil sie Vertrauen gibt, Vertrauen schenkt.“ Weiter heißt es dann: „Das braucht die Stunde der Welt: die neuen Heiligen, die uns den großen Gottesdienst zeigen, den weltlichen Gottesdienst.“ — „Sie haben offene Augen bekommen, so daß sie die Werte dieser Welt erblicken können und daher überall und alles in der Welt lieben können. Sie glauben realistisch an jenes Wort aus dem Schöpfungsbericht: .Und Gott sah, daß alles gut war'.“ Der Leser stutzt; schon wenige Zeilen später liest er allerdings, daß sie zu unterscheiden wüßten zwischen wertvoll und wertlos; also ist doch heute (und gewiß schon immer seit dem Sündenfall?) eben nicht mehr alles gut? Das verstehe sich von selbst, mag man einwenden. Aber — was versteht sich heute noch von selbst?

Erwartet Gott wirklich erst heute von den gläubigen Menschen der Welt, daß sie „in umfassender Weise auf den Anruf Gottes hören, horchen und gehorchen“? War dies nicht immer Gottes Anspruch, hat aber nicht doch auch immer jeder Mensch seinen eigenen, begrenzten Auftrag, sein persönliches „Charisma“? Immer hat Gottes Volk Heilige — oder Propheten — erbetet, aber hat die Erhörung der Bitten dann nicht oft ganz anders ausgesehen, so daß es sie nicht anerkennen wollte? Wie selbst der Messias nicht erkannt, nicht anerkannt wurde, als er endlich kam? Möglicherweise werden die „neuen Heiligen“ wieder ganz anders aussehen und handeln, als wir erwarten. Hat die Kirche nicht oft die demütigende Erfahrung machen müssen, daß die Heiligen der Hoffnung ihrer Zeit nicht entsprachen, gerade weil sie Gott gehorchten? Kardinal König schreibt, die

Parole „Gott allein genügt!“ müsse heute abgelöst werden durch das Wort der Schrift: „Gott alles in allem!“ Wehn'er so das Wort der großen Therese zurückweist und meint, „wir dürfen uns eine solche (ausschließliche) Liebe nicht mehr erlauben“, so steht dies irgendwie im Gegensatz zu (allem, was er vorher über die eine Wirklichkeit ausführte: eine „ausschließliche“ Gottesliebe kann es nicht geben und hat es nie gegeben! Aber gewisse Kreise werden aus einer solchen Aussage die Ansicht ableiten können, kontemplative Orden seien nicht mehr zeitgemäß. Ihr tiefster Sinn war immer, nicht zeit- sondern ewigkeitsgemäß zu sein und so das auszugleichen, was der jeweiligen Zeit an der Teilnahme des Ganzen gebricht, Brauchen wir dies etwa heute nicht mehr?

*

Im allgemeinen aber ist es gerade der Vorzug des Buches, daß auch entgegengesetzte Positionen anerkannt werden, und zwar nicht in einem oberflächlichen Kompromiß, sondern schlicht aus der Notwendigkeit heraus, den „ganzen Christus“ zu verkünden. Auf das Kapitel „Ein weltlicher Gottesdienst?“ folgt das über „Die Erfahrungen der Religion“; in ihm wird auf die für jede Werterkenntnis unabdingbar notwendige Versenkung, auf die Betrachtung und das persönliche Gebet hingewiesen; und wenn es vorerst hieß, der moderne Mensch habe keine Zeit und keinen Ort für die Sammlung, so erfährt er nun, daß er sich diese Zeit nehmen und diesen Ort finden muß, (Werden sich nicht doch wieder, als Oasen gerade im hektischen Getriebe der Städte, die stillen Kirchen und Kapellen anbieten? Freilich nur, wenn sie auch für den einzelnen Beter geöffnet bleiben...)

*

Dem, der heute die Wunder Jesu „leichtsinnig auf die Seite schiebt und zu einer bildhaften Redeweise der Bibel erklärt“, sagt Kardinal König, er dürfe sich dann nicht wundern, wenn sein Glaube Schiffbruch erleidet. „Der Mensch braucht jene Zeichen, aus denen sich der Herr selbst hat erkennen lassen wollen. Er braucht sie, wenn sein Glaube wirklich bis auf den Grund reichen, begründet sein soll.“ Aber anderseits weiß der erf aihrene

Seelsorger sehr wohl, daß „die Menschen unserer Tage den Herrn in seiner vollen Herrlichkeit“ nicht gleich begreifen können, wie ja auch die Jünger dies anfangs nicht konnten; er gesteht jedem zu, „langsam und auf vielen Stufen zur vollen Erkenntnis Christi emporzusteigen“, er stellt sogar fest: „Wer sich redlich bemüht, mit Christus zu leben, der ist gläubig, wenn ihm auch noch etwas fehlt“, ebenso wie ja auch denen etwas fehlt, die Christus als Gott und Menschen bekennen, aber nicht „ihren Lebensweg gemeinsam mit Christus gehen“. Doch betont er nachdrücklich: „Die Kirche wird nicht zulassen, daß manche in der kirchlichen Verkündigung die Gottheit Christi einfach leugnen.“

Freilich ergibt sich aus solchen Antithesen manch brennende Frage. Ein so schmaler Band muß notwendig vifeles allzu summarisch zusammenfassen, und gewiß wird jeder Leser etwas vermissen, was ihm doch in besonderer Weise der Rede wert schiene.

Aber seien wir dankbar für das, was hier geboten wird, und zwar dargeboten in einer Sprache, die allgemein verständlich ist, ebenso frei von herkömmlichen und abgegriffenen Metaphern wie vom pseudowissenschaftlichen Zeitjargon, der oft einfache Sachverhalte so kompliziert ausdrückt, daß sie als „neu“ empfunden werden nur, weil man sie nicht gleich versteht!

Manch kleiner, scheinbar nebensächlicher Hinweis bezeugt überdies eine tiefe Beziehung des Autors zur Sprache; so, wenn er Pflicht von Pflege ableitet (und damit dem trok-kenen Begriff Leben einhaucht), Bewährung von Wahrheit, Gesinnung als Frucht der Besinnung bezeichnet. Das erhellt dann Zusammenhänge besser als umständliche Theorien; etwa begreift man an der Ableitung „Bewährung“ von „Wahrheit“, was der heilige Paulus meint, wenn er sagt, wir sollten „die Wahrheit tun“.

Wenn es an einer Stelle heißt: „Wer den Kult zerstört, zerstört den Glauben“, andernorts aber auf die menschliche Bedingtheit und Veränderbarkeit der Liturgie hingewiesen wird, könnten solche — und ähnliche — scheinbare Widersprüche den kritischen Leser zu der abschätzigen Meinung verleiten, hier spreche einfach ein Mann, der „niemandem weh tun“ wolle. Da sollten wir aber bedenken, daß es die wichtigste Aufgabe des Hirten nicht sein kann, „weh zu tun“, sondern beisammenzuhalten oder das verstiegene Schaf heimzuholen. Und die Maxime gerade des katholischen Glaubens heißt seit jeher nicht: Entweder-Oder! sondern: Sowohl, als auch; nicht „nur“, sondern „Und“!

Glaube und Werke, auf diese Kurzformel ließe sich, müßte eine solche gefunden werden, die Forderung dieser „Stunde der Welt“ reduzieren.

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