theolympia - © Foto: Unsplash

Theolympia: Glaube und Vernunft - Geschwister auf der Suche nach Wirklichkeit

19451960198020002020

Glaube und Vernunft sind unweigerlich unzertrennbar miteinander verbunden, auch, wenn sie sich oft wie Fremde gegenüberstehen. Ein Essay - entstanden im Rahmen des Schüler(innen)-Essay-Wettbewerbs "Theolympia".

19451960198020002020

Glaube und Vernunft sind unweigerlich unzertrennbar miteinander verbunden, auch, wenn sie sich oft wie Fremde gegenüberstehen. Ein Essay - entstanden im Rahmen des Schüler(innen)-Essay-Wettbewerbs "Theolympia".

Werbung
Werbung
Werbung

Um in das Thema „Glaube und Vernunft – Widersacher oder Geschwister“ einzutauchen, habe ich aus verschieden Quellen Inspirationen geschöpft, die mich auf der Suche nach Antworten begleitet und unterstützt haben.

„Wenn der Glaube auf seinem Weg seinen Bruder, den Zweifel, verlieren würde, würde er aufhören ein Suchender und ein Fragender zu sein; er könnte in eine geistlose religiöse Praxis absinken, in einen Ritualismus oder eine Ideologie.“ (Tomáš Halík, Glaube und sein Bruder Zweifel)

Bevor ich vermag, mich der Auseinandersetzung mit der Fragestellung „Glaube und Vernunft – Widersacher oder Geschwister“ zu widmen, möchte ich die primäre Frage aufgreifen, was Glaube und Vernunft im Allgemeinen bedeutet. Wenn im Alltag die Rede von „Glaube“ ist, so begegnet uns dieses Wort meist im Sinne von „spekulieren“, „einschätzen, „nicht wissen“. Jedoch findet sich dieses auch im Ausdruck von einem vertrauten Verhältnis zwischen zwei oder mehr Personen wieder. Demzufolge hinterlassen Sätze wie „Ich glaube an dich“ oder „Ich glaube dir“ eine grundlegend vehementere Aussagekraft und Bedeutung bei unserem Gegenüber. Auch wenn die Theologie auf den Glauben eingeht, wird dieser in Verbindung mit einem Vertrauensgeschehen angesehen, der vertrauten Bindung mit Gott.

Navigator

Liebe Leserin, lieber Leser,

Die FURCHE stellt den Theolympia-Gewinner(inne)n diese Plattform und Ihnen den Text kostenlos zur Verfügung. Im FURCHE‐Navigator finden Sie tausende Artikel zu mehreren Jahrzehnten Zeitgeschichte. Neugierig? Am schnellsten kommen Sie hier zu Ihrem Abo – gratis oder gerne auch bezahlt.
Herzlichen Dank, Ihre Doris Helmberger‐Fleckl (Chefredakteurin)

Die FURCHE stellt den Theolympia-Gewinner(inne)n diese Plattform und Ihnen den Text kostenlos zur Verfügung. Im FURCHE‐Navigator finden Sie tausende Artikel zu mehreren Jahrzehnten Zeitgeschichte. Neugierig? Am schnellsten kommen Sie hier zu Ihrem Abo – gratis oder gerne auch bezahlt.
Herzlichen Dank, Ihre Doris Helmberger‐Fleckl (Chefredakteurin)

Die Diskussion über die Bedeutung der Vernunft ist in den letzten Jahrhunderten durchaus kontrovers behandelt worden und hat auch die heutigen grundlegenden Unterschiede zwischen den einzelnen Auffassungen zur Folge. Ich persönlich schließe mich dabei den Überzeugungen von Immanuel Kant an und entnehme somit aus dem Wort „Vernunft“ die Fähigkeit, Schlüsse zu ziehen, sich selbst zu kontrollieren, unabhängig von der Erfahrung, zu den apriorischen Vernunftsideen zu kommen, wie aber auch das Berücksichtigen der ethischen Prinzipien, denen der Wille unterworfen wird und die somit das Handeln sozial und individuell demonstrieren und leiten.

Doch nun wirft sich zu Recht die Frage auf, ob wir nun im Stande sind, den Glauben vor der Vernunft zu rechtfertigen. Schließlich haben die Forschungen im Bereich der Naturwissenschaften in den letzten Jahrhunderten ein deutlich größeres Verständnis für die Naturgesetzte erzielt, wodurch der Menschheit völlig neue Perspektiven geöffnet worden sind.

Viele Menschen hatten deren alte Standpunkte, die aus heutiger Sicht meist von Missverständnissen und Irrtümern geprägt waren, verlassen und haben sich auf neue Denkweisen eingelassen. Auch das Alte Testament hat nicht selten als Ursprungsquelle eines Überzeugungsgutes gedient, das heutzutage öfters als überholt und rückständig angesehen wird. Und dennoch besteht zwischen der heiligen Schrift und der Wahrheit eine untrennbare Einheit, ein Band, das nicht einmal die Naturwissenschaft zu zerreißen vermag. Doch wie ist das möglich? Gibt es nicht nur die eine Wahrheit, die eine Wirklichkeit, die eine Wissenschaft? Nein.

In unserer Religion wohnt eine existentielle Wahrheit inne, die sich erst durch jede individuelle Interpretation zu entfalten vermag. Während in der Naturwissenschaft die Frage um das „Wie“ kreist (zum Beispiel: Wie ist die Welt entstanden? Wie ist dies geschehen?), geht die Religion der Frage nach dem „Warum“ auf den Grund. (Warum ist die Welt entstanden? Welcher Sinn befindet sich hinter diesem Geschehnis?) Demzufolge sollte sich der Leser seiner Bedeutung und seines Einflusses bewusst sein und seiner Verantwortung nachkommen, indem dieser sich vor dem Nähern eines Textes in Erinnerung ruft, in welches Sprachspiel er gerade eintaucht, um anschließend seine Herangehensweise diesem anzupassen. Denn wenn sich eine Person in die Welt des Glaubens begibt, so ist ein anderes Verständnis der einzelnen Begriffe von Bedeutung. Schließlich wären das Lesen und Deuten der heiligen Schrift zweckentfremdend und würde im Fundamentalismus münden, wenn dieses, Seite für Seite, Wort für Wort geschähe, ohne Einbindung der persönlichen Vorstellung.

Doch wie so oft läuft die Vernunft Gefahr, sich zu überschätzen und zieht folglich nicht in Erwägung, auf die Kontrolle zu verzichten.

Dabei manifestiert sich Gott nicht an einer Stelle, sondern in der Gesamtheit der Schrift, wie auch im Verhältnis zwischen dem Leser. Die meist bildhafte Sprache strebt nicht nach der Verbreitung von Informationen, sondern nach der Wirkung der Affekte. Dementsprechend begegnen uns bei der Befassung mit den Texten keine Beweise und keine Tatsachen im üblichen Sinne, da wir diese Wahrheit nicht mit unseren fünf Sinnen erfassen können. Jede Leserin und jeder Leser ist selbst veranlasst, den Inhalt auszulegen, zu deuten, zu beurteilen und zu hinterfragen - mit Hilfe der kognitiven Leistung. Daher treten immer mehrere mögliche Schlussfolgerungen aus einer Handlung auf – jede dieser ist von Gültigkeit – je nach Sichtweise. Das daraus gewonnene Gefühl kann wahr, aber nicht wissenschaftlich beweisbar oder richtig sein.

Somit möchte ich mich von der Forderung, seinen Glauben vernünftig erklären zu können und diesen in Worte zu fassen, distanzieren, da ich überzeugt bin, dass wir Gefühle nicht mit Hilfe des Mediums Sprache ausdrücken können. Zu begrenzt ist die Wirkung der Worte, zu leichtfertig ihr Gebrauch – sie sind nicht im Stande, der Wirkung von Gefühlen gerecht werden. Wir können nur durch unsere Taten, die von unseren Gefühlen geleitet werden, der Außenwelt die Möglichkeit bieten, diese zu schlussfolgern. Doch nun keimt sooft im Hinterkopf die Frage nach dem Sinn des Lebens auf, worauf, so scheint dem Verstand, der Glaube selbst nicht zu antworten vermag. Der Verstand wiegt sich in der Hoffnung nach klaren, konkreten, plausiblen Erklärungen, die jedoch der Glauben nicht in Aussicht stellt. Vielmehr werden Antworten offenbart, für deren Wirklichkeit die Vernunft blind ist, Antworten, deren Sinn hinter der Oberfläche verborgen bleibt.

Aber welche Wahrheit versteckt sich nun auf der anderen Seite? Welches Vorkommnis ist für den Verstand unsichtbar, so unbegreiflich, dass der Verstand dieses nicht zu erfassen vermag? Jeder, der diese Fragen berührt, wird in Verbindung mit dem Sinn des Lebens, dem Sinn der Welt und folglich auch in Verbindung mit Gott gebracht. Und wer sich auf die Suche nach Gott begibt, geht auch unweigerlich der Frage der Transzendenz, dem Jenseits nach.

Dieses Verhältnis zwischen dem Verstand und der Überschreitung der Grenzen der üblichen Sinneswahrnehmung wird aus meiner Sicht treffend von Anselm Canterbury mit Hilfe des Mediums Sprache zum Ausdruck gebracht: „Und gewiss kann das, über das hinaus Größeres nicht gedacht werden kann, nicht allein im Verstande sein. (10) Denn wenn es nur im Verstande allein ist, so kann man denken, es sei auch in der Wirklichkeit, was größer ist. (11) Wenn also das, über das hinaus Größeres nicht gedacht werden kann, im Verstande allein ist, so ist eben das, über das hinaus Größeres nicht gedacht werden kann, dasjenige, über das hinaus Größeres gedacht werden kann. (12) Das aber kann mit Sicherheit nicht der Fall sein. (13) Es existiert also ohne Zweifel etwas, über das hinaus Größeres nicht gedacht werden kann, (und zwar) sowohl im Verstande als auch in Wirklichkeit.“

Somit sollte der Verstand sich seiner Begrenztheit bewusst sein und sich gegebenenfalls diese Tatsache immer und immer wieder in Erinnerung rufen, um im Stande zu sein, sich auf die andere Wirklichkeit einzulassen. Doch wie so oft läuft die Vernunft Gefahr, sich zu überschätzen und zieht folglich nicht in Erwägung, auf die Kontrolle zu verzichten. Sie tritt mit Fragen in Kontakt, ohne Einsicht, diesen nicht gewachsen zu sein, und versucht anschließend vergeblich auf ihrer Ebene zu argumentieren. Die Vernunft ist überzeugt, die einzig wahre Antwort läge schon auf der Hand, obwohl sie diese meist noch nicht einmal berührt hat, geschweige denn sich dieser genähert zu haben. Wir sind meist nicht in der Lage, mit der Pracht, die uns die geheimnisvolle Wirklichkeit offenbart, in Kontakt zu treten, da die Menschheit nur die eine Wahrheit sieht, die im Bereich unserer Verfügbarkeit liegt. „Wir sind niemals fertig mit der begegneten Welt, aber wie begegnen ihr oft und in zunehmender Maße so, als wären wir es“ (Hartmut Rosa, Unverfügbarkeit).

Dieses Verhalten, diese eigene Überschätzung und Eitelkeit der Vernunft werden als identifiziertes Denken bezeichnet. Auf der Suche nach der Wirklichkeit bemerken wir oft nicht unsere Einschränkung, die uns auf dem Weg begleitet, und so lassen wir unweigerlich ein Stück Wahrheit zurück, ohne dieser jemals Aufmerksamkeit geschenkt zu haben. Wir Menschen sind uns meist nicht einmal bewusst, welch begrenzte Auffassung wir von der Wirklichkeit, der Wahrheit erhalten, auf welche Wahrnehmung der Welt wir unseren Standpunkt bauen. Doch ist uns Menschen nun unerlässlich die gesamte Wirklichkeit vorenthalten? Ich persönlich schließe mich dabei der Meinung von Hartmut Rosa an und bin daher überzeugt, dass es uns Menschen nur gelingt, in die Vielfalt der Lebendigkeit einzutauchen, indem wir die Unverfügbarkeit akzeptieren.

Nun möchte ich erneut die explizite Fragestellung dieses Essays aufgreifen, die um das Verhältnis zwischen Glauben und Vernunft kreist. Sind die beiden Sphären wirklich eine gemeinsame Einheit, gehören sie unweigerlich zusammen und bilden ein Bündnis, das niemand zu trennen vermag oder stehen sich die beiden doch ablehnend gegenüber und hegen jeweils gewaltige Zweifel und großes Unverständnis in den Überzeugungen des Gegenübers? Widersacher oder Geschwister?

„Der Glaube hat eine jüngere Schwester, die Vernunft, die er eigentlich mag, weil sie oft Fragen stellt, die er sich gar nicht zu fragen traut. Die Vernunft hat einen älteren Bruder, den Glauben, der schon oft versucht hat, ihr die Probleme abzunehmen und sie als der ältere Bruder zu gängeln und zu bevormunden. Lange Zeit waren die Geschwister getrennt und bekämpften sich sogar, besonders als die Vernunft sich als 'Aufklärung' von ihrem Bruder lossagte. In jüngster Zeit reden sie wieder miteinander.“ ("Glaube und Vernunft", Bistum Mainz)

Die beiden sind aneinandergebunden, aufeinander angewiesen, sie ergänzen sich, da sie nach demselben Ziel streben, das ihnen Erfüllung offenbart. Unser Glaube, unsere Überzeugung bedarf der Vernunft, um zu verstehen, zu erkennen, zu begreifen, zu hinterfragen, zu zweifeln, zu fordern und um sich auf der Suche nach Gott nicht zu verirren, zu verlieren. Die Vernunft neigt jedoch sich zu überschätzen, da sie sich ihrer Grenzen nicht bewusst ist. Nicht selten überschreitet sie diese und begibt sich in das Land des Glaubens, ohne zu wissen, diesem nicht gewachsen zu sein. Die von ihr sonst gewohnten Regeln und Normen wendet sie ohne jegliches Bedenken an und übersieht dabei jedoch, dass diese dort nicht gelten. Der Glaube ist nun veranlasst, einzugreifen und die Vernunft in deren Schranken zu weisen, um eine verfälschte Wahrnehmung zu unterbinden. Credo ut intellegam („Ich glaube, um zu verstehen“) und Intellego ut credam („Ich verstehe, um zu glauben“).

Daher bin ich überzeugt, dass Glaube und Vernunft Geschwister sind, unweigerlich unzertrennbar miteinander verbunden, auch, wenn sich diese, so scheint uns, aufgrund von Unstimmigkeiten oft wie Fremde gegenüberstehen. Sie sind auf den jeweils anderen angewiesen, vermögen sich erst zu entfalten und die Pracht, den Reichtum zu erleben, wenn sie bereit sind, sich auf neue Denkweisen und Perspektiven einzulassen und aus den Quellen des jeweils anderen zu schöpfen, um zusammen dem gemeinsamen Ziel, der Suche nach der Wirklichkeit, nachgehen zu können. „Wenn der Glaube auf seinem Weg seinen Bruder, den Zweifel, verlieren würde, würde er aufhören ein Suchender und ein Fragender zu sein; er könnte in eine geistlose religiöse Praxis absinken, in einen Ritualismus oder eine Ideologie“ (Tomáš Halík, Glaube und sein Bruder Zweifel).

Sophie Lehner (6. Klasse, GWIKU Haizingergasse, Wien) erreichte beim erstmals ausgetragenen Schüler(innen)-Essay-Wettbewerb "Theolympia" des Interdiözesanen Amts für Unterricht und Erziehung (IDA) unter 118 Einreichungen den 2. Platz.

Navigator

Hat Ihnen dieser Artikel gefallen?

Mit einem Digital-Abo sichern Sie sich den Zugriff auf über 40.000 Artikel aus 20 Jahren Zeitgeschichte – und unterstützen gleichzeitig die FURCHE. Vielen Dank!

Mit einem Digital-Abo sichern Sie sich den Zugriff auf über 40.000 Artikel aus 20 Jahren Zeitgeschichte – und unterstützen gleichzeitig die FURCHE. Vielen Dank!

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung