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Der Erkenntnisweg der Gnosis

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Gelegentlich kann das Christentum von seinen neugnostischen Antipoden — Theosophie und Anthroposophie — den Vorwurf hören, daß es „aus Furcht und Mißtrauen gegenüber dem Denken“, weil es „nur den toten Intellekt" kenne, „den Geist abgeschafft und sich damit selbst zur Unfruchtbarkeit verurteilt“ habe; außerdem habe „in der Geschichte der römisch-katholischen Kirche jene Ächtung des Erkenntniselements zugunsten einseitiger, bigotter Betonung der Gnade schicksalsmäßig gleich einem Akt der Selbstzerfleischung und Selbstentmannung zum eigenen Verlust desselben in der Abschaffung des Geistes durch das achte ökumenische Konzil zu Konstantinopel geführt“ (Viktor Velten-Schöffel). Es erübrigt sich, die Frage zu stellen — da es sich offensichtlich nur um, sagen wir, rhetorische Wendungen handelt —, wie man sich angesichts des Zwecke und der Aufgabe der kirchlichen Weltinstitution, angesichts ihres Tiefenganges und ihrer kulturellen Bedeutung durch aille Jahrhunderte ihre „Selbstzerfleischung“, „Selbtentmannung“ und „Unfruchtbarkeit“ konkret vorstellen soll. Wir wollen jedoch dem Sinn dieser etwas ungewöhnlich formulierten Vorwürfe gerecht werden und sachlich die Begriffe klar- steilen.

Das Christentum lehrt den anthropologischen Dualismus von Leib und Seele; der Geist, als Fähigkeit der Seele, wird nicht als ein selbständiges Prinzip erkannt. Die Grundlage für diese Lehre ist in der Heiligen Schrift zu suchen. Bei der Erschaffung des Menschen wurde zuerst sein ‘Leib gebildet, dann wird dieser belebt. Die Heilige Schrift kennt im Alten Testament hiefür zwei Termine: Ruach und Nephesch, je nachdem sie auf anschauliche Weise aussagen will, daß der göttliche Lebensgeist (Ruach) nun auch dem Menschen Leben eingehaucht habe oder, vom Menschen her gesehen, daß die im Atem sich ankündigende Seele (Nephesch) nun tatsächlich den Leib bezogen hat, um ihn erst im Tode wieder zu verlassen. Auch im Neuen Testament wird der anthropologische Dualismus durch Christus bestätigt, zum Beispiel durch die Worte: „Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, die Seeele aber nicht töten können. Fürchtet vielmehr den, der Leib und Seele (also den ganzen Menschen) in die Hölle stürzen kann“ (Math. 10, 28).

Demgegenüber lehrt der Neugnostizismus den anthropologischen Trichotomismus. Der

Mensch besteht nach ihm aus einer Dreiheit von Leib, Seele und Geist. In dieser dritten Substanz sieht besonders die Anthroposophie nach der Lehre Dr. R. Steiners jene Kräfte, welche der Erkenntnis der übersinnlichen Welten (nicht der übernatürlichen!) hätte dienen sollen. Die trichotomistische Lehre im allgemeinen wurde 869 durch Konzilbeschluß (8. Ökumenisches Konzil) verworfen; die Lehre Dr. Steiners im besonderen durch das Heilige Offizium 1919 (Acta Apost. Sedis 1919, 317). Aus dieser Tatsache geht eindeutig hervor, daß es sich durchaus nicht um „nebensächliche Belange“ handeln kann, wie geltend gemacht wird, wenn „verschiedene Auffassungen und Willensrichtungen“ — gemeint sind die gnostischen — „zur Abspaltung von der kirchlichen Gemeinschaft führten“. Es geht immer um wesentliche Belange, wenn die Kirche durch Konzilbeschluß klare Begriffe schafft.

Wie ist nun dieser Geist, der nicht identisch ist mit dem Intellekt (siehe Velten- Schöffel) und uns als jene Geisteskraft genannt wird, welche der Erkenntnis der übersinnlichen Welt hätte dienen sollen — wie ist dieser Geist beschaffen? Wir übergehen hier die für den gebotenen Rahmen zu ausführlichen Erklärungen über die Steinersche Theorie von der Dreigliederung des menschlichen Organismus und der Unterteilung des Geistes in Geist selbst (Manas), Lebensgeist (Buddhi) und Geistmensch (Atma) und die diesen Gliedern zukommenden Funktionen und befassen uns nur mit der praktischen Bedeutung dieser Theorie, die im sogenannten „Geist-Erkenntnisstreben“, das man methodisch-zielbewußt über den christlichen Glauben stellt, ihn verdrängend, um ihn womöglich überflüssig zu machen.

Es ist die alte Gnosi®, die hier unter neuem Namen ihren alten Zwecken dient. Auch mancher Christ gerät in Unkenntnis des Wesens des Neugnostizismus und seines Verhältnisses zum christlichen Glauben in die Sphäre jener mit dem Namen „Geist-Erkenntnisstreben“ belebten neugnostischen Spiritualität. Deshalb wollen wir in die Frage eingehen: Kann Gnosis ein religiös legaler Erkenntniswegsein? und wie unterscheidet er sich von jenem des christlichen Glaubens?

Der radikale Unterschied zwischen beiden Erkenntniswegen wird sofort verständlich, wenn man den Begriff des theologischen Glaubens nach dem Vatikanum beachtet; dieses lehrt: „Da der Mensch gänzlich von Gott als seinem Schöpfer und Herrn abhängt- und die erschaffene Vernunft der un- erschaffenen Wahrheit vollständig unter worfen ist, so sind wir gehalten, wenn Gott sich offenbart, ihm vollen Gehorsam des Verstandes und Willens im Glauben zu leisten“ (s. 3, c. 3. Denz. 1789). — Der christliche Glaube ist somit die normal und menschlich-natürliche Antwort auf eine vorangegangene göttliche Offenbarung; es ist dem Menschenwesen angemessen und kommt seiner Natur zu, seinem Schöpfer zu glauben. Zum Glauben tritt das Erkenntnisstreben. „Höheres“ Erkenntnisstreben heißt für den Christen daher nicht Ausschwärmen in Hypothesen, die zu „Wahrheiten“ umgewertet sind, wie sie den Glaubensinhalt aller gnostischen Systeme bilden, sondern es heißt Erkenntnis in Gott suchen, sie von ihm erhalten, sie mit ihm fruchtbar machen. Ein Erkenntnisweg außerhalb dieser Ordnung ist ihm weder an- strebenswert noch gültig. Wird der Glaubensakt in aller Vorsätzlichkeit ver weigert (dort, wo er mit Fug und Recht erwartet werden kann, nämlich bei den getauften Christen), tritt zwangsläufig religiöse Unnatur und geistlicher Erkenntnistod auf Grund der eben aufgezeigten inneren Zusammenhänge ein. Der Mensch, der sich in revolutionärer Haltung außerhalb des göttlichen Lichtes stellt, greift notwendig auf sich selbst zurück, auf sein eigenes Denken und Forschen, das in sich selbst nicht Licht genug hat in religiösen Belangen. So bleibt es ganz im Dunkel. Durch das Dunkel aber gerät der Mensch in weiterer Folge in eine geistig-visuelle Enge, sein Gesichtskreis verkleinert sich. Dunkel und Enge zusammen ergeben jenen Zustand, den man Verblendung nennt.

Wenn nun der Gnostiker den psychologischen Glaubensakt nicht setzen will, wenn er dann in weiterer Folge auch den theologischen Glauben als „Aberglauben" — ein wohlausgewogenes Wort, voll des Vernichtungswillens — abzuwerten sucht, so gibt er dadurch zu verstehen, daß er den Bruch mit Gott vollzogen hat. Die christliche Note, die er dann seinem System nach außen hin zu geben weiß, hat nur die Bedeutung einer Attrappe. Der Gnostiker — und daran kommen wir nicht vorbei — ist ein religiöser Revolutionär; er lebt von der revolutionären Haltung, und um sie zu recht- fertigen, baut er sein System um eine pan- theistische Welterklärung herum. Darin gibt es nicht nur keinen persönlichen Gott, sondern auch keinen „gnädigen Gott“. Der Kampf, den der Neugnostizismus gegen das Eilement der Gnade führt, ist einer der stärksten Beweise, daß sein System von subjektiven Motiven her getragen wird. Das läßt sich durch keine Kunst des Doppelspiels verleugnen.

So ist nun klargestellt, welche Bedeutung der Gnosis im Rahmen panrheistischer Systeme zukommt: sie ist ein Ersatz für den ausfallenden Glauben. Sie kann weder als „Offenbarung des Wissens“ noch als „Geist-Erkenntnisstreben“ diesen Ausfall aufholen, schon gar nicht überholen. Denn gnostisches Wissen und Erkennen bleibt an die rein natürliche Sphäre, zu der auch das Übersinnliche zählt, gebunden; es steigt in seinem Inhalt nicht höher, auch wenn es in Form von „höheren“ Erkenntnissen ausgegeben wird. Der christliche Glaube aber erhebt sich über das Übersinnliche, das seine unterste Grenze ist, und dringt mittels der Gnade in die Übernatur ein (konkret durch die Sakramente und das Gebet). Mag der Gnostiker ganze Weltperioden und Sonnensysteme durch okkultes Hellsehen erforschen, mag er die sieben Weltenzeitalter Steiners in zurück- oder vorausschauender Entwicklung erschauen, mag er „Vorgeburtliches“ und „Nachtotliches" er gründen — er kommt an eine Grenze, an seine Grenze, das ist die Grenze der na. türlich-übersinnlichen Belange. Dort bleibt er stehen, dort muß er stehenbleiben. — Wie Chersterton darauf aufmerksam gemacht hat, wie viel Bedeutung darin liegt, daß die Welt rund und die Kirche kreuzförmig ist, so kann man diesen tiefdurchdachten Bezug auch auf Gnosis und Glauben anwenden. Die Gnosis ist rund, kreisförmig; ihre Erkenntnisse bewegen sich in einem ewigen Kreislauf von Involution und Evolution, immer wieder ausgehend und zurückkehrend in die eigene Substanz. Im Gegensatz zu dieser runden Selbstgenügsamkeit zeigt der christliche Glaube eine kreuzför mige geistige Linie; er eröffnet eine Unendlichkeit, die Unendlichkeit der Übernatur. Das Kreuz ist unendlicher Ausdehnung fähig — in der Liebe — und deutet immerzu auf vier, ins Unbetimmte zurückweichende Punkte, während der Kreis seine Form nicht verändern kann, ohne zu bersten. So sind Kreis und Kreuz so recht die Symbole für das begrenzte übersinnliche Gebiet der Gnosis und das unbegrenzte übernatürliche Gebiet des christlichen Glaubens.

Die tragische Abwegigkeit der Gnosis wird aber erst ganz klar durch den klassischen Bericht der Genesis über ihre Urgeschichte; dort heißt es:

„Die Schlange aber war listiger als alle Tier des Feldes, welche Gott der Herr gemacht hatte. Sie sprach zu dem Weibe: ,Hat Gott wirklich gesagt, von keinem Baume des Garten dürft ihr essen?1 Das Weib entgeg- nete der Schlange: ,Von den Früchten der Bäume des Gartens dürfen wir essen. Nur von den Früchten des Baumes, welcher in der Mitte des Gartens steht, hat Gott gesagt: Davon dürft ihr nicht essen, ja nicht einmal daran rühren dürft ihr, sonst müßt ihr scer-

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