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Dialog über Atheismus

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Vom Freitag, 17., bis Sonntag, 19. Juni, fand in Stift Zwettl eine ökumenische Tagung über das Thema „Atheismus“ statt. Veranstalter war die Evangelische Akademie in Wien. Vertreten waren evangelische Theologie (Dantine, Fitzer, Wien), katholische Theologie (Mar- let, Innsbruck), evangelische Philosophie (Heintel, Wien) und katholische Philosophie (Schwarz, Salzburg). Wie sich allerdings sehr bald herausstellte, wiar weder die Konfession noch das vertretene Fach für die einzelnen Wissenschaftler ein Hindernis, Argumente zu bringen, die eigentlich „der anderen Seite“ würdig gewesen wären. Als „andere Seite“ kam dabei sowohl die Konfession als auch das Fach (für Theologen die Philosophie usw.) in Frage. In erstaunlich vielen Fällen konnte im Grundsätzlichen eine Übereinstimmung erzielt werden, die die oben angeführten Bestimmungen der Personen völlig äußerlich erscheinen ließ.

Wie es im Rahmen einer Wissenschaft auch nicht anders möglich ist, läßt sich der Tagungsverlauf nicht in „Standpunkten“ und „Fronten“, die sich annähern oder entfernen, aufzeichnen, sondern lediglich durch den Gang’ der Argumentation, der seinerseits wieder diktiert wurde von der Sache selbst. Da keine Atheisten anwesend waren, mußten die Argumente der Gegner mitgebracht werden. (Es wollten nicht Christen mit Atheisten, sondern Christen verschiedener Konfession über Atheismus diskutieren.)

Vorwürfe gegen das Christentum

Zwei Vorwürfe seien es im wesentlichen, die das Christentum von seiten das Atheismus treffen: Zu wenig Wissenschaftlichkeit ist für den Poisitivismus, zuviel Wissenschaftlichkeit für den Existentialismus das Motiv der Ablehnung.

Der Positivismus geht von seiner Theorie aus: ein Satz hat nur Sinn, wenn er durch die Erfahrung bestätigt werden kann. Mit diesem Kriterium kann man sich weitgehend auf die Naturwissenschaft stützen. Diesem Grundsatz entsprechend gibt es eine ganze Reihe von „sinnlosen Ausdrücken“ (Car- nap) wie zum Beispiel das Absolute, der Weltgrund, Gott. Carnap sagt: „Angenommen, jemand verwendet das Wort babig und behauptet, man müsse alle Dinge in die babigen und die nichtbabigen einteilen. Auf die Frage, unter welchen Bedingungen er ein Wort babig nenne, erwidert er, daß er dies nicht sagen könne; denn die Babigkeit sei eine metaphysische Eigenschaft, so daß kein empirisches Kennzeichen für sie an- gebbar sei. In einem solchen Falle wird man sagen, daß die Sätze über die Babigkeit ein sinnloses Gerede darstellen. Jedermann wird zugeben, daß das Wort babig nicht in wissenschaftlichen Aussagen Vorkommen dürfe. Mit dem Wort Gott steht es aber nicht anders Man beachte, daß mit dieser Auffassung nicht etwa ein Atheismus begründet werden soll. Der letztere bestünde darin, die Wahrheit des Satzes: ,Es gibt einen Gott1 zu leugnen. Nach dem empiristischen Sinnkriterium aber wird geleugnet, daß es sich dabei überhaupt um einen Satz handelt. Atheismus muß daher in theoretischer Hinsicht als ebenso sinnloser Standpunkt betrachtet werden wie Theismus.“

Diesem Verdikt, einer exakten Methode nicht zu genügen, verfällt aber nicht nur Gott, sondern auch weite Bereiche des Daseins selbst: Sittlichkeit, Liebe usw. Da auch der Positivist selber lebt, zerfällt für ihn das Dasein in exakte Wissenschaft und Abenteuer (so Wittgenstein) beziehungsweise Mystik, in der es keine Maßstäbe mehr gibt. Viele Dimensionen des Lebens sind so der Beliebigkeit anheimgestellt.

„Gott jenseits der Welt“

Der Existenzialismus motiviert sich an der Einsicht, daß Gott durch die Theologie naturalis nicht zu fassen ist. Das Gemeinsame der existentialistiischen Problematik ist das „Sdch-negativ-Vermitteln“ (Heintel): eine Position, in der man das eigene Anliegen nur durch eine Negation ausspricht. Das geläufigste Beispiel dafür ist der Pharisäer: „Ich danke Dir, daß ich nicht bin wie dieser Zöllner hier.“ Einen Inhalt und Sinn hat dieser Satz nur durch die Negation des Zöllners. Diese negative Vermittlung zeigt sich im „Personalismus“, wenn nur gesagt wird: Gott ist Person; Person aber nichts anderes bedeutet als: kein Ding in Raum und Zeit. Sie zeigt sich im Einsteinschen Gottesbegriff: Gott dürfe nichts mit der Welt zu tun haben. Er lebt im Jenseits. Das Jenseits ist aber nur die Negation des Diesseits. Schon Epikur hat die Götter in die „Zwischenwelten“ versetzt und sie damit in Pension geschickt, auf daß sie ihn in dieser Welt nicht stören können. Eine völlig negative Theologie führt in den theokratischen Kurzschluß, in dem alles Dasein unmittelbar auf Gott bezogen wird und damit eigentlich jeglicher „Eigensinn“ der Schöpfungsbereiche zugrunde geht. „Gott hat dann zwar Platz im System, ist aber bis auf die theologischen Knochen ausgelaugt“ (Marlet).

Nur scheinbare Alternative

Aus alledem ergibt sich eine scheinbare Alternative: entweder man betrachtet alles naturwissenschaftlich, dann erhält Gott den Rang von „babig“ und hört damit zu existieren auf, oder — um den Naturwissenschaften zu entgehen — wird Gott rein negativ vermittelt und hört ebenfalls zu existieren auf, weil „in der Nacht alle Kühe schwarz sind“ (Hegel).

Die Alternative muß deshalb eine scheinbare sein, weil sonst die Formulierung des IV. Laterankonzils hier das letzte Wort wäre: Gott ist der Welt nie so — ähnlich, daß nicht die Unähnlichkeit noch größer wäre. IV. Lat. Kap. 2: „Quia inter creato- rem et creaturam non potest tanta similitudo notari, quia inter eos major sit dissimilitudo notando.“

Die Formulierung dieses Konzils wurde — und hier meldete sich nun wieder die Philosophie zu Wort — in der Neuzeit immer so interpretiert, daß Glaube in bloß theoretischer Intention (als Glaube „an“ etwas) nicht zu fassen sei. Glaube ist jedenfalls auch Bewährung — ein „Totalexperiment des Daseins“ (Heintel). Kant hat lang und umständlich in seinen drei Kritiken immer wieder gezeigt, daß die Erfahrung nicht zuständig sein kann für Fragen wie Gott, Freiheit oder Unsterblichkeit.

Ob Gott ist oder nicht, kann nicht Gegenstand eines physikalischen Beweises sein.

Es kann auf der anderen Seite aber auch nicht bloß eine Frage der Bewährung sein. Ein, Glaube um des Glaubens willen, dem alles Inhaltliche gleichgültig ist, stellt einen ähnlichen Kurzschluß dar wie die bloß negative Theologie. Wenn die Bewährung das einzige Verifikationskriterium bleibt, hat jeder Narr, der mit Anspruch, auftritt, die gleiche Dignität wie Christus — wenn ihm nur . geglaubt wird. Es ist natürlich nicht gleichgültig, was geglaubt wird: bei aller Ablehnung einer bloß theoretischen Bestimmung. Das heißt, daß jede Praxis über die Theorie vermittelt ist. Es gibt keinen Glauben, der nicht über die Einsicht geht — sonst resultiert die Problematik des „babig“.

Die eigentliche Aufgabe einer christlichen Theologie — und Philosophie — besteht heute nun darin, die beiden Problemkreise — Theorie und Praxis — so zueinander zu vermitteln, daß nicht notwendig ein Atheismus resultieren muß, wie es bei der getrennten Behandlung der Fall ist. Denn: bleibt man im Rahmen der Theorie, müßte Gott bewiesen werden wie ein physikalischer Satz, bleibt man ihm Rahmen der Praxis, ist Glaube bloße Entscheidungssache — und , der Atheist entscheidet eben anders. Beide Auffassungen gehen an einem Problem vorbei, am Problem der Geschichte. Erst in ihr können Gottes Offenbarung und die freie Handlung des Menschen versöhnt werden, ohne daß das eine jeweils im anderen zugrunde geht. Deshalb „war der Heilige Geist (Pfingsten) die größte Enttäuschung, die es je gab“ (Marlet). Denn die Apostel mußten ein- sehen, daß nichts für sie getan würde, was sie nicht auch selber für sich und die Welt taten. Eine befriedigende Auflösung hat die Problematik in Zwettl auch nicht erfahren. Aber es ist ein Fortschritt, wenn sie heute überhaupt in dieser Weise diskutiert werden kann.

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