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Hat Religion eine Zukunft?

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Das diesjährige Salzburger Humanismusgespräch, das vom Leiter der Salzburger Kulturabteilung des ORF, Dr. Oskar Schatz, vorbereitet und vom österreichischen Rundfunk im Schloß Kleßheim veranstaltet wurde, befaßte sich mit der Zukunft der Religion. Als Referenten nahmen katholische und protestantische Theologen, Philosophen und Soziologen aus Europa und Amerika teil sowie der japanische Religionswissenschaftler Shizuteru Ueda und der israelische Gelehrte Jochanan Bloch. Diese Gespräche sollten die Lage der Religion in der Gegenwart und ihre Chancen in der Zukunft aufzeigen.

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Das diesjährige Salzburger Humanismusgespräch, das vom Leiter der Salzburger Kulturabteilung des ORF, Dr. Oskar Schatz, vorbereitet und vom österreichischen Rundfunk im Schloß Kleßheim veranstaltet wurde, befaßte sich mit der Zukunft der Religion. Als Referenten nahmen katholische und protestantische Theologen, Philosophen und Soziologen aus Europa und Amerika teil sowie der japanische Religionswissenschaftler Shizuteru Ueda und der israelische Gelehrte Jochanan Bloch. Diese Gespräche sollten die Lage der Religion in der Gegenwart und ihre Chancen in der Zukunft aufzeigen.

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Das Salzburger Humianisitengespräoh hinterließ drei Eindrücke. Der erste Eindruck war, daß noch immer die Großväter den eigentlichen Ton angeben, der zweite, daß die Theologen eine Rückzugslinie beziehen, und der dritte, daß eine babylonische Verwirrung darüber herrscht, was Religion ist, welchen Sinn sie hat und welches Ziel sie anstrebt.

Die herausragenden Gestalten auf diesem Kongreß waren drei Männer, die im siebenten Jahrzehnt ihres Lebens stehen oder es bereits überschritten haben: Max Horkheimer, emeritierter Professor für Soziologie an der Universität Frankfurt, Emst Bloch, Professor der Philosophie an der Universität Tübingen und Karl Löwith, Professor für Philosophie an der Universität Heidelberg. Was sie sagten, war keineswegs neu, teilweise auch fragwürdig, doch standen sie mit ihrer ganzen Persönlichkeit dahinter. Sie beeindiruckten auch dort, wo sie nicht überzeugten. Horkheimer kam direkt vom Sanatorium und machte durch die Eindringlichkeit, mit der er «eine Thesen vortrug, seine körperliche Gebrechlichkeit vergessen. Was er allerdings sagte, gab wenig Hoffnung. Er sprach über die Liberalisierung der Religion und begann sein Referat mit dem Wort eines Bischofs, wobei er nicht sagte, ob es sich um einen katholischen handle: „Ich glaube nicht mehr an den allmächtigen Gott.“ Daß ein Bischof derartiges aussagen darf und dennoch Bischof bleibt, ist für Horkheimer ein Zeichen für den Niedergang des Glaubens. Der Religion gelang es nicht, die Vorstellung eines gütigen Gottes durchzusetzen. Trotz Religion blieb im Menschen ein Unmut zurück, der in Aggression umgewandelt und in Schandtaten befriedigt wurde. Als dann die Wissenschaften ihren Siegeszug antraten, wurde der Glaube im Leben des Menschen zu einer Art Schubfach, das man am Sonntag herauszieht. Mit dem Sieg der Wissenschaften tauchte allerdings auch das Problem der Spezialisierung auf, die ein Absinken der Kultur mit sich bringt.

Durch die fortschreitende Spezialisierung verliert nämlich der Einzel-mensch immer mehr an Bedeutung. Bald wird es so sein, daß der Beamte im Ministerium, das den Staat verwaltet, auf einen Knopf drückt, und die Computer alles andere besorgen, und ebenso der Hausbesorger auf einen Knopf drückt, und die Roboter Ordnung schaffen. Wie soll, lautete die schmerzliche Frage Horkheimers, der Mensch in dieser neuen Gesellschaft noch eine Seele haben? Weil er aber weiß, daß der Mensch mit diesen Zukunftsaussichten nicht leben kann, spricht Horkheimer von der Liberalisierung der Religion. Diese bedeutet nicht eine Umwandlung der religiösen Bräuche, sondern die Verwandlung des Gottesdogmas, an dessen Stelle die Sehnsucht nach dem Absoluten treten soll. Die Kenntnis der Realität ist nämlich nicht die letzte Wahrheit und nicht das Absolute. Deshalb können sich alle guten Menschen in der Sehnsucht vereinen, daß diese Welt des Schreckens, diese grauenvolle menschliche Geschichte, bloß eine Welt der Erscheinung und dem Absoluten entgegengesetzt sei. Horkheimers Worte hinterließen bei den Zuhörern einen tiefen Eindruck, doch konnten sie den Christen ebensowenig wie den Atheisten überzeugen. Die Sehnsucht als Ersatz für den Glauben ist kein guter Tausch, um so weniger, als der christliche Glaube die Sehnsucht nach Erlösung von dieser Welt und nach dem Absoluten einbezieht.

Ist es bei Horkheimer die Sehnsucht, so ist es bei Ernst Bloch die Hoffnung, die seinem Atheismus den wärmenden Schimmer gibt. Trotz aller Enttäuschungen hält Bloch am Marxismus fest und ist gleichsam der letzte Mohikaner des reinen Marxismus, den es allerdings nicht gibt. Bloch ist auch ein profunder Bibelkenner und jongliert geradezu mit Bibelzitaten, die er vor allem dazu verwendet, um seine antichrietlichen Ansichten besonders herauszustreichen. Dabei geht er nicht gerade pingelig vor, und es war eigentlich erschütternd, daß katholische und protestantische Theologen falsch verwendete Bibelzitate in der Diskussion unwidersprochen ließen. Beispielsweise führte Block, um Jahve als Gott der Rache hinzustellen, die Stadt Ninive an, die Gott bestrafte, obwohl die Bewohner Ninives auf Grund der Predigt des Propheten Jonas Buße taten. Nun zerstörte aber Gott laut Bibel die Stadt gar nicht, weil die Umkehr der Bewohner Seinen Zorn versöhnte. Ninive wurde erst später zur Zeit des Propheten Nahum vernichtet. Solche geschichtlichen Kleinigkeiten störten Bloch nicht. Die Schlange im Paradies nannte er im Verlauf der Diskussion die Ursache der Menschwerdung, weil sie mit ihrem Appell an Adam und Eva, vom' Apfel der Erkenntnis zu essen, daimit sie so wie Gott würden, die Menschen aus ihrer Unwissenheit und ihrer Tierhaftigkeit befreite. Mag diese Umkehrung der Erbsünde zur Menschheitsbefreiung noch interessant zu nennen sein, so geht Blochs Behauptung, daß die Mystiker mit ihrem Verlangen, mit Gott eins zu werden, den Appell der Schlange aufgriffen, doch von einer falschen Voraussetzung aus, weil die Mystiker diese Vereinigung mit Gott auf dessen Gnade zurückführten und nicht als einen Protest gegen ein Gottesverbot auffaßten, wie es das erste Menschenpaar in der Bibel tat.

Bloch sprach über Aufklärung und Teufelsglaube und verweilte mit spürbarem Engagement bei der Schilderung der Folterungen, mit der die Inquisition dem Hexenglauben an den Leib zu rücken versuchte, übrigens vergebens, weil nach Blochs Ansicht der Teufelsglaube stärker ist als der Gottesglaube. Luther beispielsweise schaffte zwar Maria ab, aber nicht den Teufel, nach dem er das Tintenfaß schleuderte. Ja, selbst als die Aufklärung bereits durch einen ihrer ersten Vertreter, durch Montesquieu, erklärte, daß es keinen Gott gäbe, erfolgte kein sichtbarer Bruch mit dem Satansglauben, der weiter wirkte bis in unsere Tage. Eine Sicherheit, daß das Satanische in dar Welt überwunden wird und das Gute sich durchsetzt, gibt es nach Bloch nicht. Seinen Pessimismus unterstrich Bloch noch mit dem Hinweis auf die Melancholie der Erfüllung: Aus der Bergpredigt wurde die Konstantinische Schenkung, aus dem Citoyen der Französischen Revolution wurde der Bourgois und aus dem Marxismus wurde der Stalinismus. Mit der Verneinung der Transzendenz ist nach Ansicht Blochs allerdings ein Licht für uns Menschen aufgegangen. Der Mensch könne sich nun ganz der Erde und der Humanisierung widmen. An eine

Zukunft der Religion glaubt Bloch nicht, höchstens an eine Metareligion, und zwar dann, wenn der Marxismus den Zweistundenarbeitstag eingeführt haben und der Mensch vor Langweile zu gähnen beginnen wird. Dann werden als eine Art Freizeitgestaltung den Menschen auch religiöse Fragen interessieren, die die Theologie zwar stellen dürfe, doch die Philosophie, und zwar die materialistische, beantworten müsse. Sieht man davon ab, daß Bloch ein glänzender Redner ist, der in seinem eineinhalbstündigen Vortrag und mit einer bilderreichen Sprache auch nicht eine Sekunde Langeweile aufkommen ließ, so standen seine Ausführungen auf keiner allzu festen 'Basis. Wenn er beispielsweise Hegel vorwarf, daß er aus Rücksicht auf die Obrigkeit keine zureichende Definition für das Satanische in der Welt gageben habe, dann trifft dieser Vorwurf auch auf den Marxismus zu. Doch diesen Vorwurf ersparte sich Bloch, obwohl das Satanische durch den Marxismus nicht aus der Welt geschafft wurde, ja, der Marxismus selbst Satanisches verwirklichte. Was Bloch gleichfalls nicht herausstrich, ist die Tatsache,, daß der Optimismus der Aufklärung völlig gescheitert ist, die Hoffnung nämlich, daß der von Kirche und Gottesfurcht befreite Mensch gut sein werde. Vielmehr trat das Gegenteil ein. Die Hoffnung Blochs ist genauso eine Pseudoreligion, wie die Heilslehre des Marxismus eine ist. Was soll uns die Hoffnung, wenn trotz Aufklärung, Marxismus und Humanismus das Böse im Menschen nicht abgebaut werden konnte.

Der dritte von der alten Garde war Professor Löwith. Obwohl Philosoph, könnten sich die Theologen an }hm ein Beispiel nehmen. Es war der einzige Vortrag, der auch einen gläubigen Menschen zu überzeugen vermochte, selbst wenn er eine andere Auffassung vertritt. Löwith sprach über das Verhältnis von Christentum und Geschichte und erklärte, daß zwischen dem neutestamentlichen Christentum und der modernen weltlich gewordenen Welt ein radikaler Widerspruch bestünde. Die Kritik am

Christentum und an der christlichen Tradition begann mit Voltaire und erreichte mit Hegel, Niatzsche und Feuerbach ihren Höhepunkt. Der Unterschied zwischen damals und dem heutigen Atheismus läge darin, daß Feuerbach noch ein pathetisches Bekenntnis zum Atheismus abgelegt habe, während es heute mit dem Pathos vorüber sei. Gott spielt heute keine Rolle mehr dm Denken der Massen. Der Sieg der Wissenschaften ist vollkommen und hat zur totalen Verweltlichung der Menschen und zur totalen Vermenschlichung der Welt geführt.

Nun ist das Christentum nicht eine historische Religion unter vielen anderen, sondern' beansprucht, die Offenbarung der Wahrheit zu sein. Gott selbst ist nach biblischer Auffassung die Wahrheit, die den Menschen frei macht. Die Wahrheit entspringt deshalb nicht der Geschichte, sondern Gott. Man kann dies glauben oder nicht, doch keinesfalls läßt sich der Glaube aus Ereignissen der Geschichte ableiten. Der Glaube überschreitet die geschichtliche Erkenntnis. Geschichte bleibt in ihrem Wesen Erfolgsgeschichte, wogegen die Wahrheit des christlichen Glaubens unabhängig ist von einer erfolgreichen Ausbreitung der Religion. Für das Christentum ist Geschichte eine Welt der Sünde. Mit Christus beginnt das Ende der Geschichte, er befreite nach einem Wort von Augustinus die Menschen von der Welt. Durch Christus erhielt aber die Geschichte eine Sinnndeuitung, die es früher nicht gab.

Das Neue Testament deckt den Zwist zwischen dem Reich Gottes und der selbstgefälligen Welt auf. Luther sagt von den Historikern, sie müßten ein Löwenlherz besitzen, um die Wahrheit zu schreiben. Wer aber den Glauben begreiflich machen wolle, der habe nichts anderes als Herzeleid. Man kann, erklärte Karl Barth, nicht Christ bleiben, wenn man sich an eine Geschichtsphilosophie hält, und man kann das Heilsgeschehen nicht als Weltgeschichte auslegen. Solange das Christentum wußte, was es ursprünglich war, konnte es sich gegen die Welt verteidigen. Seit aber die christliche Theologie den Pfahl der Aufklärung im Fleisch hat, weiß sie nicht, zu wem und worüber sie sprechen soll. Wenn sie jede Religion akzeptiert, dann ist auch die Bibel nur ein Buch unter anderen und der marxistische Atheismus kein Gegner mehr. Doch das Reich Christi ist nicht von dieser Welt, und es hieße das Christentum preisgeben, wollte man Hoffnung und Verheißung auf das Diesseits beziehen.

Es war bezeichnend, daß gerade katholische Theologen Löwiths Thesen am stärksten angriffen.

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