6692418-1962_43_11.jpg
Digital In Arbeit

Unverhofftes erhoffen!

Werbung
Werbung
Werbung

Am 30. September sprach vor dem Forum des Burgtheaters Ernst Bloch, der erst seit kurzem, nicht zuletzt durch seinen Wohnsitzwechsel von Leipzig nach Tübingen, nach Errichtung der Berliner Mauer ins Gespräch gekommene marxistische Philosoph. Ein erstaunliches Ereignis, wenn man bedenkt, wie sehr sich österreichische Bühnen gegen die Aufführung der Stücke von Bert Brecht 6träuben. Es ist ein Verdienst des Suhrkatnp-Verlages, die Betreuung der Werke dieser beiden, in Ost und West heimatlosen Verfechtern der Menschlichkeit übernommen zu haben.

Neu, wie für viele der Name des 77jährigen Philosophen, ist auch der Stil seiner essayistischen Betrachtungen. Bloch hat hierin nur einen großen Vorgänger: den Engländer Thomas de Quincey. Das Klopfen ans Tor in Macbeth war diesem Anlaß zu einem Essay, das sicherlich zu den subtilsten und angemessensten Shakespeare-Untersuchungen gehört.

In ungeheuer gedrängter Sprache versucht Bloch Wirkliches durch den Gedanken zu umspinnen, um so Verstehen und Wirklichkeit in einer Einheit behalten zu können. In diesen kleinen Versuchen gelingt es Bloch, jene von Phänomenologie und Existenzialismus seit je intendierte Wirklichkeitsnähe nicht nur als Ziel zu postulieren, sondern auch Wort werden zu lassen. In jenem Reich zwischen Erlebtem (Wirklichem) und Gedachtem (Philosophie), im Reich des literarischen Essay, liegt Blochs Ausgangspunkt, von 'wo er in beiden Richtungen vorzudringen versucht. Als Interpretationen, die in die Welt des Realen wie Idealen gleich tief eindringen, sind seine Betrachtungen und Beobachtungen, wie die über Prometheus als Ur-revolutionär, zu, werten. Um so erstaunlicher mutet es an, daß td,er gleiche Bloch Schelling* Philosophie als Kriminalmythologie . diffamiert Und dabei diesem besonders ankreidet, daß er sich die Prometheus-Mythe in anderer Weise zum Ausgangspunkt wählte. Der tiefere Grund für dieses Entgleisen aus der sonst so wohl gewahrten philosophischen Selbstbeherr-

Ähnlich wie auch bei anderen marxistischen Philosophen (Lukäcs) ist auch bei Bloch das letzte Gerüst seines gezimmerten Weltbildes aus einigen politischen Kategorien zusammengesetzt. Wenn auch Bloch in vielem ein weit größeres Verständnis für das Wirkliche und nur in begrenztem Maße Rationalisierbare aufbringt — weshalb er von vielen als „zu romantisch“ bezeichnet wird —, so verfällt er letztlich doch in jene gleiche schablonenhaft-politische Schwarz-Weiß-Beurteilung. Da wird Hebbel als der Ursprünglichere — er veröffentlichte seine Bauemromane in einer revolutionären Zeit —, Gotthelf („schon das Pseudonym scheint verdächtig.'“) vorgezogen, weil dieser nicht nur in der Zeit der Restauration schrieb, sondern auch dem Großbauerntum zu viel Ehre erweist. Da werden aus den Grimmschen Märchen die vom tapferen Schneiderlein und vom Aschenbrödel als wertvoll jenen gegenübergestellt, die von Helden, Burgen und Gräfinnen handeln, und fast im gleichen Atemzug wird auch Hegel, als der rationale Philosoph, der mit dem Abstraktesten beginnt (gemeint ist die Unmittelbarkeit des Seins am Anfang der Hegel-schen Logik), gegen Sendling ausgespielt, der es gewagt hat, das organisch Gewachsene, das Geschichtliche und sogar Religiös-Mythische in seiner Philosophie zu behandeln.

Blochs Betrachtungen zur Literatur, Kunst und Musik zeigen seltene Einfühlung und erschöpfende Analytik; dort aber, wo auf gleiche Art Philosophisches und Politisches zur Sprache kommt, fühlt man ein peinliches Ausweichen in Gemeinplätze.

Aber wir werden Ernst Bloch nicht gerecht, wenn wir sein politisch-philosophisches Anliegen nur nach diesen dürftigen Aussagen bemessen und nicht die Gesamttendenz seines Strebens berücksichtigen. Nirgends kommt sein Bemühen besser zum Ausdruck als in den letzten beiden Essays dieses Bandes: So wie der Spanier Ponce de Leon auszieht, um den Wunderquell Bimini, das irdische Paradies, zu finden und dabei Florida entdeckt, und so wie die Seeräuber-Jenny in Brechts Dreigroschenoper von einer ausgleichenden Gerechtigkeit träumt und den „Adventgesang der Revolution“ anstimmt — so begreift Bloch den Menschen als Ringenden um die Verwirklichung des Unverwirklichbaren. Dieses Ringen nennt er Hoffnung. Weder durch Enttäuschung, Resignation, noch durch Siegesstimmung unbegrenzter Erfolge läßt er sich um diese Hoffnung herumkommen. Ein Wort Heraklits könnte diesem Ringen vorangestellt werden: „Wer das Unverhoffte nicht erhofft, wird es nicht finden.“

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung