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Anwalt der Gebeugten

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Wie ein Seeungeheuer, wuchtiggeschäftig den Grund des Meeres aufwirbelt: So wird der Neugierige gestimmt, wenn er Blochs „Naturrecht“ zur Hand nimmt — schon beim ersten Blick auf eine beliebige Seite.

Ein philosophisch hellwacher Kopf, ein hoher Richter in Wien, meinte dazu: „Ein erregendes, aufreizendes Opus, ein bestechender, verführerischer Stil, der einmal die Begegnung mit Martin Heidegger, einmal mit Ernst Jünger, dann mit Gottfried Benn oder mit Hermann Hesse herbeizaubert ...“

Die Andeutung einer Stilverwandt-•chaft mit Heidegger, Jünger und Benn wird unseren Autor eher irritieren. Gedanken gehen eigene Wege; sie laufen ineinander, bevor der Wanderer es merkt: Verblüfft steht er da und labt sich an der Herrlichkeit vertrauter Landschaften. Gedankenverwandtschaften sind keine Wahlverwandtschaften; die Sache zwingt sie auf.

Je größer ein Denker, desto geringer die Originalität seiner Gedanken.

Ein Urteil, das Ärgernis erregt. Allein wie Kohlen, in des Feuers Nähe, sich wandelnd, feurig werden und glühen, abgesondert erlöschen (Heraklit), so sagen alle, die Wesentliches zu sagen haben, dasselbe. Denn e i n Feuer brennt, Kohlenstücke wechseln. Jeder Denker sagt das Nämliche, aber auf seine Weise: Vielfältige Variationen auf das eine Thema. So soll es nicht überraschen, wenn Anaximander, Heraklit, Parmenides, Aristoteles, Augustinus, Anselm von Canterbury, Thomas von Aquin, Descartes, Leibniz, Kant, Hegel, Marx, Heidegger und Bloch gleichsam alleweile auf der Stelle treten. Dieselbe Frage setzt zu, die Gretchenfrage allen Denkens: „Nun sag', wie hast du's mit der Wirklichkeit?“ Warum ist überhaupt Seiendes und nicht vielmehr Nichts?

Daß etwas i s t, ist ein größeres Wunder als: was es ist; daß eine Norm, ein Maß gilt, gilt mehr als das Was, der Maß-„Inhalt“. Jedes Fragen ist ein Suchen; jedes Suchen empfängt seinen Drall vom Gesuchten her.

Es ist alles anders, als die Populär-, die Vulgärliteratur, die marxistische wie die nichtmarxistische, es ausgibt. Marx und seine Jünger zappeln in den Fängen des Stagiriten und des Aqui-naten. Das erzeugt böse Mienen diesseits und jenseits der Fronten: Man gehört mehr zusammen, als man es wahrhaben will. Bloch weiß, daß die Weltphilosophie nicht mit der Aufklärung anhebt; weiß, daß die Griechen den Grund gelegt, die Lehrer des christlichen Mittelalters die Weichen gestellt haben.

Es fällt einem schwer, zu entscheiden, wem das „Naturrecht“ dringender zu empfehlen ist: den Marxisten, den Sozialisten und Kommunisten — den Liberalen —, den Katholiken, mehr den Anwälten der Kirche oder deren Widersachern im katholischen Raum — oder den evangelischen Christen, denen Bloch keinen milden Spiegel vorhält: Der Protestantismus schneidet am schlechtesten ab (zum Beispiel S. 183). Ein verbissener, leidenschaftlicher Kronanwalt hält eine flammende, vernichtende Anklagerede gegen die historische Rechtsschule und die Rechtspositivisten, die allesamt auf der Strecke bleiben. Noch mehr spricht hier der Anwalt des Rechts, hält ein langes Plädoyer für das Naturrecht, bestechend, fesselnd, ohne Platz für Langeweile, nimmt das Naturrecht und die Naturrechtslehren vor den Anklagen in Schutz, die historische Rechtsschule und Rechtspositivismus erhoben haben: Das Naturrecht war „nur jenen verdächtig, denen das vorhandene positive Recht &#187;viaLju tinverdächtig war“ (S. 12, vergleiche 13 <ff.. 206 ff.). Birst es obendrein aus der Öde, worein Neukantianismus und Phänomenologie es verbannt haben (S. 155 ff., 168). Ein unwiderlegbares Zeugnis legt der Meister ab für die Existenz des Naturrechts, für den heilsreichen Kern einer jeden Naturrechtslehre, ausgenommen freilich die Propheten der Gewalt: von Kallikles bis Nietzsche, die ein „Lirrecht“ des Stärkeren verkünden, wie eine Meute über die Schwachen herfallen. Nicht von üblen Eltern ist das Gericht, das Bloch über Carl Schmitt und den Faschismus hält. Die Kehrseite nennt er nicht direkt; es langt der allgemeine Satz: „Eben deshalb ist jede Diktatur Suspension des Rechts“ (S. 242). Auch anderswo, nicht nur unter dem Joch des Faschismus, „schreien die Steine“ (S. 274) vor Schmerz über erlittenes Unrecht.

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