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Ein Dichter des tragischen Idealismus

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Der Philosoph Alfred Vierkandt, ein Vertreter der Lebensphilosophie, hat 1923 in seiner Darstellung „Der Dualismus im modernen Weltbild“ erkannt, daß der dualistische Riß, den schon Platon in seiner Philosophie angedeutet hat, den die Gnostiker und Neuplatoniker in immer schärferen Konturen nachgezeichnet haben, nicht nur den Menschen unserer Tage von der übrigen Welt oder Natur trennt, sondern vielmehr „mitten durch den Menschen selbst hindurchgeht“. Das Leben und Dichten des 1945 verstorbenen Lyrikers Josef W einheber scheint uns nochmals für diese Erkenntnis Symbol und Bestätigung zu sein. Seit den Tagen der Renaissance hat wohl kaum ein Mensch in sich selbst den Zwiespalt von Sinnenrausch und Geistesraum so stark und leidvoll erlebt und aus sich gestaltet wie dieser Dichter. Vor kurzem hat sein Freund, der Dichter und Literaturhistoriker Friedrich Sacher, der im Jahre 1934 Weinhebers repräsentativen Gedichtband zur Drucklegung und damit dem Autor zur lang versagten Anerkennung verhalf, ein Gedenkbüchlein für den Toten geschrieben. (Friedrich Sacher: „Der Lyriker Josef Weinheber. Ein Bekenntnis". Verlag Brüder Hollinek, Wien 1949.)

Aus den achtzig Seiten dieses „Bekenntnisses" steigt noch einmal das leidvolle Bild eines jener Menschen auf, die sich selbst erlösen wollen. Mit Recht nennt Sacher die Weltanschauung des Dichters, die er aus seinen Werken, besonders den Büchern „Adel und Untergang", „Späte Krone", „Zwischen Göttern und Dämonen“ und dem Zyklus „Bekenntnis“ im Nachlaßband „Hier ist das Wort“ attest, tragischen Idealismus. Der Urgrund dieses tragischen Idealismus ist der zerrissene Mensch. Verfolgt man das Werden all dieser Dichtungen von den letzten Selbstbekenntnissen zurück durch die Jahre bis zu den frühesten Versen des Achtundzwanzigjährigen in dem Bändchen „Der einsame Mensch", so tönt im Grunde aus jeder Zeile der Aufschrei:

„Ein Mensch schreit! Hört den Schrei und hört eure Menschenschande darin.

Ein Herz ertrinkt, ein Him verstört, der heilige Glauben sinkt hin…"

Die uralten Polaritäten zwischen Geist und Fleisch, Rausch und Traum, Leben und Tod, Weib und Mann, sie werden von diesem zerrissenen Dichter, den der Geist aus der Enge eines kleinbürgerlich-proletarischen Daseins zur hohen Wortkunst im aristokratischen Geistraum der Sprache berief, doppelt und dreifach schwer empfunden und sein Kampf wider die feindliche und verständnislose Umwelt wurde erschwert durch den Krieg mit der eigenen Inwelt.

Wenn Stolberg in einem Briefe an Jacobi von Goethe einmal behaupten konnte, er ei ein Mensch ohne Glaube, Hoffnung und Liebe gewesen, so träfe dies noch weit mehr für Weinheber zu. Konnte der katholische Moral Psychologe Ignaz Klug dann aber zugeben, „daß Goethe geschaffen habe, was eine bloße Menschennatur ohne Glauben, Hoffnung und Liebe (im Sinne der göttlichen Tugend) aus ihrer Problematik machen kann“, so sind wir im Falle Weinheber nur mehr bereit, diese Konzession seinem Werke zu erteilen.

Dieses Werk aber spiegelt uns noch einmal die geistige Situation, die Hans Urs von Balthasar im Bilde der Prometheus- und Dionysosmythe dargestellt hat, als „Ruhm und Schmerz der Dialektik“, als „jene Letzthaltung des Menschen, die sich als der glorreiche und zuletzt tötende Mittelpunkt zwischen Gott und Welt verstand: als Vermittlung zwischen Gott-Alles zu Weit-Nichts und von Welt-Alles zu Gott-Nichts“. In dieser „eindimensionalen Dialektik", die nach Leo Gabriel auch noch die Welt des modernen Existentialismus beherrscht, die im Sinne Ferdinand Ebners aus der monologischen Dialektik von Geist und Seele noch nicht zur echten Dialogik mit dem transzendenten Gegenüber des göttlichen Du gefunden hat, in dieser eindimensionalen Dialektik also steht Werk und Weltanschauung Josef Weinhebers. Sie befindet sich bereits im dionysischen Raum der Lebensphilosophie eines Nietzsche und Bergson, während die Welt Goethes noch im reinen Zeichen Prometheus’ stand. „Maß sich der vom Geier des Zeus zerfleischte Prometheus im Raum der ,Idee‘ mit Christus, so mißt sich der von den Menschen zerrissene Dionysos im Raum der .Existenz' mit demselben Christus“ (Balthasar).

Auch Weinheber diente im dionysischen Kreise der „strengen Herrin Seele“, genau so wie Nietzsche, Spitteier und George. Seine Herrin war die strenge Kunst der Sprache, von ihr hoffte er alle Erlösung:

„Schuld, die da Worte gefunden, ist schon im Geist überwunden.“

Noch viel mehr muten uns die Zeilen

„Jede Sünde trägt in sich den Keim der Erlösung und schon tönt der Reim“.

wie eine Säkularisation der christEchen „felix culpa" an.

Daß die Haltung der Lebensphilosophie, die ein Streit zwischen Geist und Leben im immanenten Raum der Menschenseele und der Menschenwelt ist, in Pessimismus und tiefer Tragik enden muß, das geht auch aus dem Werke Weinhebers eindeutig hervor, das im Grunde nur darum kreist, daß der Himmel jeglichen autonomen Ideals durch die höllisch verfluchte Existenz menschlicher Schuld bedingt ist. Zwischen „verdorrten" Göttern und Dämonen, an die er nicht mehr glaubte und glauben konnte, suchte ein unglücklicher Mensch, der sich selbst einen Heiden nannte, in stoischem Heroismus seine Position des Untergangs: „zu fallen … auf seinem Schilde". Diese metaphysische Haltung des Dichters erinnert an ein harte Wort Max Scheiers, der einmal von seiner Metaphysik behauptet hat, daß sie „keine Versicherungsanstalt für schwache, unterstützungsbedürftige Menschen sei“.

Und doch löst sich auch von diesen Karten Männerlippen der bange Ruf:

„Der eine, der alles lenkt,

die Stimmen ineinander mengt, er wird auch dich erkennen.

Auf daß du, hält er an der Zeit, nach Warten, Nacht und Einsamkeit ihn mögest Vater nennen.“

Hat Weinheber wirklich den „Vorhof zum Christentum" durchschritten gehabt, wie es Sacher aus diesen Versen herauslescn will? Wir wagen es nicht zu entscheiden. Es ist bestimmt viel säkularisiertes Christentum in seinen Symbolen und Versen. Das darf uns aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß des Dichters heroisch-trotziger Titanismus der Welt des Christentums feindlich gegenüberstünde — wenn nicht am Ende doch das immerwährende Schuldbekenntnis, das das makellose Wortkunstwerk dieses Dichters von den Anfängen bis zum Ende als ein ostinato de profundis begleitet, uns hoffen läßt, daß der „gekreuzigte Dionysos" von dem liebenden Christus überwunden und ans blutende Herz genommen wurde.

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