6690179-1962_34_08.jpg
Digital In Arbeit

Revolution der Menschenwürde

Werbung
Werbung
Werbung

„Die Revolution, die noch nicht war, deren wir bedürfen, ist die Revolution der Verantwortung. Ihr Ziel ist: Veredelung und Würdigung der Arbeit, Ausgleich des Lebensanspruches, Aufhebung des proletarischen Verhältnisses,. Verantwortung eines jeden für die Genteinschaft, Verantwortung der Gemeinschaft für einen jeden, Wandlung der Herrschaft in Führung, der Unterwerfung in Mitbestimmung und Führungsanrecht.“

Ein Wort, das der älteren Generar tion nicht ganz unbekannt sein dürfte, wagen wir an den Anfang zu stellen, fügt es sich doch gleichsam nahtlos an die Vorlesungen von Prof. Dr. Pater Albert Auer OSB. über Naturrecht, die dieser im Anschluß an sein bekanntes Buch „Der Mensch hat Recht“ im Wintersemester 1961/62 am Philosophischen Institut in Salzburg gehalten hat: Vorlesungen, die weltweite Probleme angingen, über die zu diskutieren man 1918 begonnen hat und über die zu diskutieren man vorläufig nicht aufhören wird.

Zehn Jahre sind vergangen, seit das Buch „Der Mensch hat Recht“ geschrieben worden ist. Kein Wunder, daß uns nach dieser Zeit weiteren Nachdenkens und Beobachtens der allgemeinen Entwicklung diese Naturrechtsvorlesungen des 71jährigen noch gereifter, prägnanter, eigenständiger erscheinen, daß sie in ihren menschlichen Einsichten noch gütiger, in ihren Forderungen noch bestimmter geworden sind. Wir denken hier an ein Wort Le Clercques: man müsse sehr alt geworden sein, um konkretes Naturrecht schaffen zu können.

Mehr und mehr fühlt sich dieser Gelehrte hingezogen, dem Denken des weltanschaulichen Gegners nachzugehen, seine Ziele auf ihren möglichen Wahrheitgehalt zu überprüfen, als einer der wenigen, die den^'dialefe-schen Materialismus nicht einfach als pfitnitiven „Materialismus“ abtun, weil sie die gefährliche Genialität dieses Kindes des deutschen Idealismus erkannt haben. Besonders ist es immer wieder Karl Marx, mit dessen Gedankengängen Auer sich, dem positiven Anliegen nachspürend, auseinandersetzt. Die Revolutionen, auch die Französische, bekommen auf einmal eine andere Klangfarbe aus der Berechtigung dessen, was die Edelsten wollten. Und es wird uns bewußt, wie merkwürdig das ist: daß es in der Kirche „Naturrecht“ gibt. Nicht nur ein Ethos, ein Sollen, mit dem berühmten erhobenen Zeigefinger, sondern ein „Du hast recht mit deiner Fordemachst, du, Arbeiter, der du streikst um des gerechten Lohnes willen“.

Ausgangspunkt des Naturrechtes ist das Sein, Naturrecht ist Seinsrecht. Urgrund der naturrechtlichen Axiome ist die lex aeterna, die der Mensch aus seiner Natur herauslesen kann. Recht kann nur haben, wer Person ist: Gott und das geistige Geschöpf. Auch geschändet ist der Mensch immer noch Gottes Ebenbild!

Es hat niemand mehr von Natur-recht gesprochen als der Nationalsozialismus, und niemand spricht mehr von dem, was der Natur entspricht, als der dialektische Materialismus. Beide aber haben übersehen, daß die Natur des Menschen geistiger Art ist. Geltungsgrund des Naturrechts ist die gelcbte Mcnschennatw, nicJifeMK. irgendeine Idee

Natur,'“ die' ich r“e“a 1 i s“i erc!“ Naturrecht rächt sich in der Natur selbst. („Kein Recht hat einen Sinn, wenn es sich nicht rächen würde, das Recht zu brechen.“) Seine Geltung ist eine ontische, nicht nur eine ethische. Es gilt so sehr, daß ich die Natur zerstöre, wenn ich dagegen angehe. Ein Geschlecht, das das Naturrecht verletzt, kann nur zugrunde gehen.

Die Gültigkeit des Naturrechts ist nicht bloß ideal, sondern real und vorpositiv. Es hat eine solche Geltung, daß es eindeutig konkret ist. So ideell dieses Recht ist, so wirklichkeitsnahe ist es. Das Naturrecht hat nicht nur allgemeine Paragraphen, sondern ist ideal-konkret in einem und greift in jeden Fall hinein. Es erfaßt ebenso die Seinswirklichkeit wie die geschichtliche Wirklichkeit. Es geht um ganz konkrete Prinzipien, nicht um allgemeine Leitsätze, die niemand weh tun. Es geht um den blutigen Alltag, um ganz bestimmte Normen, so gut wie: „Bei Rot mußt du stehenbleiben...“

Die letzten Rechte, um die es sich handelt, sind die Freiheitsrechte. Das letzte Geheimnis des Menschen ist, daß er frei ist, weil er Person ist. Der Mensch ist metaphysisch gesehen frei. Er mag gesellschaftlich vergewaltigt werden wie immer. Nur einer letzten Instanz ist er Rechenschaft schuldig: Gott. „Wenn der Staat den Staat gesund erhalten will, muß er nichts tun als die Freiheit der freien Menschen KJiMSjffilkMdafe flf 'icht “vi^“|roben*Täusten zerstört wird. Schlie:ßfich wild; die Weh immer hur von den Freien regiert, die gegen etwas protestiert und einen neuen Stil eröffnet haben.“ Von den zwei naturgegebenen Größen: der staatlichen Rechtshoheit und der menschlichen Freiheit, ist die vorangehende die menschliche Freiheit. „Wir werden einmal von Gott gerichtet nicht nach dem, was wir getan, sondern nach dem, was wir aus Überzeugung getan haben.“

Der wesentliche Aspekt ist der soziale.

„Mau hat recht: es ist ein unsittlicher Zustand, wenn in der Produktion Arbeitskraft verausgabt wird, wenn lebendige menschliche Kraft Materie geworden ist und nur in Geld aufgewogen werden soll. Daß Große der modernen Zeit ist, den Sinn der Arbeit erfassen zu wollen und ihm philosophisch nahezukommen. Dabei ist die moderne Zeit bescheiden genug, soweit es sich um die Theoretiker dreht, zu sagen, daß die Konsequenzen, die sie aus der Arbeitstheorie, so wie sie heute vorliegt, zieht, nur Näherungswerte sind und noch kein Ideal. Infolgedessen werden die Begriffe Gewinnbeteiligung und Mitspracherecht groß geschrieben: weil die moderne Wirtschaft in ihrer edelsten Form — wir können hier auf rühmenswerte Beispiele der deutschen Schwerindustrie hinweisen — von dem Grundsatz ausgeht, daß mit dem Lohn das wahre Ge-recktigkeitsverhältnis noch nicht hergestellt ist, weil ja Lohn im letzten auch aus dem tiefsten naturrechtlichen Problem entspringt: dem Ausgleich von Mensch zu Mensch. Deshalb muß nicht nur die in Anspruch genommene Arbeitskraft des Arbeiters ausgeglichen werden, sondern auch der Umstand, daß dem Arbeitgeber dadurch ein .Mehrwert' erwächst (wobei man diesem Wort nicht von vornherein jenen sozialpolitischen Kampfcharakter geben muß, den dieser Begriff hatte, sondern ihn rein philosophisch nehmen muß).

Wir fühlen uns wie im dritten Stock eines brennenden Gebäudes. Die Trennung von Arbeit und Produktionsmitteln ist ein zwangsläufiger Vorgang, der so unausweichlich wie tragisch zum Untergang führen kann. Es ist nur folgerichtig, wenn der Kommunismus hier den Hebe! zum Umsturz ansetzt. Bs gibt die Möglichkeit, Kapital Kapital sein zu lassen (ohne das man im großen einfach nicht mehr wirtschaften kann) und doch wirtschaftliche Formen zu finden, daß der Arbeiter einverstanden sein kann.

Es handelt sich hier um Dinge, die Diskussion mit dem Sozialismus verlangen. Es ist viel Wahrheit im Sozialismus. Er ist eine Bewegung der Menschen, die zu den edelsten gehören könnte. Jeder von uns revoltiert gegen Mißachtung. Ein zerrissener Kittel sagt überhaupt nichts. Dieser da ist ein Mensch wie ich. Auch der Arbeitsvollzug soll vermenschlicht werden. Ich muß alles unternehmen, um die seelische Ermüdung des Arbeiters zu beseitigen, denn .der Mensch ist nicht Maschine, nicht Typus, sondern geistige Persönlichkeit'.“

“• Es war enr historischer Ereienis. '<tas hier vdri metaphysisch-thomistischerti

Standpunkt aus in mühevoller Denkarbeit Aufgebaute in dem jüngst stattgefundenen Treffen auf der Edmundsburg (veranstaltet vom Institut für politische Wissenschaften des Internationalen Forschungszentrums) mit den anderen möglichen Standpunkten in der Diskussion über Naturrecht sich begegnen zu sehen. Wie anders verlief dieses Treffen als teilweise befürchtet. Wie sehr herrschte hier im letzten Übereinstimmung, wobei ob Tiefe und Fülle der Einsichten dem Atheismus gleichsam kein Atemraum blieb. Die allgemeine Atmosphäre: Einhelligkeit bei Verschiedenheit der Standpunkte. Alle trugen das Ihre bei, doch ließ jeder jeden gelten vor seinem Forschergewissen. Vermittelnd war der Ethos des Rechts.

Klar stellte sich Auer auf den Standpunkt der Theodizee. Obwohl er sich in der Festlegung des Sinnes des Naturrechts am extremsten ausdrückte, wurde lediglich Klarheit geschaffen, nicht Gegnerschaft. Die Antwort eines Kelsen: wenn man so formuliere, habe er nichts einzuwenden — und, in Hinblick auf die mitreißende Persönlichkeit Auers: „Ein Prachtkerl! Von nun an werde ich die katholische Kirche mit anderen Augen sehen.“

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung