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Ewiges Gesetz oder ewiges Recht

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Schon seit der Übernahme des römischen Rechts um die Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert beginnen die Bestrebungen, auch in den österreichischen Ländern, die geltenden Rechtsbestimmungen in allgemein anerkannten Ordnungen zusammenzufassen. Die Rechtszersplitterung des Spätmittelalters und die Rechtsunsicherheit der Rezeptionszeit ließen dann auch in unserer Heimat den sehnsüchtigen Wunsch nach •einheitlichen Gesetzesbestimmungen entstehen, und in allen Ländern des österreichischen Herrscherhauses wurden im Laufe des 16. Jahrhunderts Landesordnungen oder Landtafeln, wie damals die bürgerlichen Gesetzbücher genannt wurden, verfaßt und veröffentlicht. Wenn auch die meisten dieser Gesetzeswerke nicht Gesetzeskraft erhielten, wurden sie oft abgeschrieben und teilweise auch gedruckt, und sie fanden in vielen Gerichten Anwendung, weil ein besseres Gesetzbuch fehlte. Nachdem die ersten Zusammenfassungen der Rechtsbestimmungen in den einzelnen österreichischen Erbländern den Kommissionen oder rechtsgelehrten Kollegien gelungen waren, ebbte die Kodifikationstätigkeit im \7. Jahrhundert wieder mehr ab. Doch die Geschichte des neueren österreichischen Privatrechts, die heute leider fast gänzlich unbekannt ist, weiß auch aus dieser Zeitepoche von Tellrevisionen und Fortsetzung der Kodifikationsarbeiten zu melden. Ohne die großen Verdienste Maria Theresias für die österreichische Rechtserneuerung- zu schmälern, muß man sich daran erinnern, daß die Verfasser des Codex Theresianus auf eine' jahrhundertelange Tradition der Gesetzgebung aufbauen konnten.

Die Bestrebungen zur Schaffung eines allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches waren keine österreichische Besonderheit. Der preußische Gegenspieler unserer großen Kaiserin leitete die Kodifikation des allgemeinen preußischen Landrechts ein, und der Code Napoleon fällt in dieselbe Zeitepoche. Auch aus Rußland sind uns großangelegte Kodifikationsarbeiten bekannt. Durch diese rechtsvergleichende Übersicht wird das Werk der österreichischen Rechtswissenschaft in den Reigen der Großleistungen europäischer Geisteskultur eingeordnet und kann im sachlichen Vergleich mit den anderen Gesetzbüchern nur an Wert und Bedeutung gewinnen.

Unser ABGB war ein Werk der naturrechtlichen Schule und von deren Lehren durchtränkt. Aber das Naturrecht zu Ende des 18. Jahrhunderts war nicht mehr das vorbildliche Naturrecht des Mittelalters. Nach den Lehren der großen Meister jener Zeit ist der Natur der Menschen ein ewiges, unwandelbares Recht eingegossen, das durch keine Macht der Erde geändert werden könne. Die Naturrechtsschule des 18. Jahrhunderts glaubte aber oft, dieses unwandelbare Naturrecht ein für allemal in ewig gültige Erkenntnisse und Gesetze fassen und formen zu können. Während die mittelalterlichen Philosophen scharf zwischen Naturrecht und positivem, gesatztem Recht unterschieden, glaubten die rationalistischen Naturrechtler' der Epoche des AbsolutiJ-mus, die ewig gültigen Forderungen des Naturrechts bis in die letzten Folgerungeil durchdenken und ableiten zu können. Sie verwechselten Recht mit Gesetz und beanspruchten für positive Rechtssatzungen die unumstößliche Gültigkeit naturrechtlicher Bestimmungen. Dadurch verbanden sie das Naturrecht mit den zeitlich bestimmten Gesetzen, mit deren Fall auch der Glaube an das unwandelbare Recht vernichtet wurde.

Als die Kommission für das theresia-nische Gesetzbuch arbeitete, gab es in den österreichischen Herrschaftsgebieten weithin noch die Leibeigenschaft, die erst Josef II. aufhob. Das natürliche Recht jedes Menschen auf Freiheit der Person war in jener Zeit noch nicht wirksam. Erst 1848 wurden mit der Verkündung der staatsbürgerlichen Grundrechte naturrechtliche Forderungen anerkannt, ebenso konnte der österreichische Kapitalismus im 19. Jahrhundert seine Herrschaft ausbauen, bevor durch die Erfüllung der sozialpolitischen Forderungen des Arbeiterschutzes in der dritten Teilnovelle die naturrechtlichen Forderungen Berücksichtigung fanden. Und das Mietengesetz mußte versuchen, das natürliche Recht auf Wohnung zu wahren, weil das ABGB nicht die nötigen Bestimmungen für diese lebenswichtige Frage unseres Volkes enthält. Diese Beispiele zeigen, daß die Forderungen des Naturrechts den Gesetzgebern immer wieder neue Aufgaben stellten, denen sie nicht immer schon zuvor begegnen konnten.

Naturgesetze gibt es bloß im Reiche der Naturwissenschaften, in der Rechtswissenschaft kennen wir nur ein N a t u r r e c h t. Dieses ist der Natur des Menschen angeboren. Doch darum ranken sich viele Bestimmungen, die ganz verschieden geartet sein können, ohne der Natur des Menschen Abbruch zu tun. Sie bilden den weiten Bereich des positiven Rechts, das ebenfalls seine Verbindlichkeit hat und erzwingbar ist. Aber die positiven Gesetzesbestimmungen sind nicht unwandelbar und ewig. Sie können von Land zu Land verschieden- sein und verändern sich in der Entwicklung der Zeiten. Ihr Wandel und Wechsel berührt aber keineswegs die Ewigkeit des Natur-r e ch t s.

Es war die gefährlichste Irrlehre der naturrechtlichen Schule des Rationalismus, zu glauben, ein lückenloses Gesetzeswerk des Naturrechts aufstellen zu können. Ja, gerade sie führte geraden Wegs zum Positivismus, der alles Recht nur mehr aus dem Gesetz ableitet. Ja, dieser ist folgerichtiger und aufrichtiger, wenn er sich nur mehr mit den veränderlichen Gesetzen bescheidet, denn er vermengt nicht Endlichkeiten mit der Ewigkeit. Alles Menschenwerk ist hinfällig,auch das vollkommenste Werk weiser Gesetzeskunst.

Es ist der Geist, der bewahrt bleiben muß. Wenn der Gesetzgeber der Gegenwart den brennenden Forderungen der leidenden Menschheit unserer Notzeit gerecht wird, dann hat er das ewige Naturrecht erfaßt, und verwirklicht. Er muß Gesetze sdiaffeifi, die helfen, den Hunger zu stillen, den Notleidenden Kleidung und Wohnung zu vermitteln, ihnen Zufriedenheit zu schenken. Diese Gesetze müssen heute im Zeitalter der Maschinen und Massen anders beschaffen sein als in den Epochen vergangener Gesellschafts- und Wirtschaftsformen. Das Naturrecht verwirklicht schon zum, gu^en Teile heute das, was den sozialen Frieden schafft. Daher stehen wir jetzt vor der großen Aufgabe, mit einem neuen Gesetzbuch auch den Geist des sozialen Friedens zu erarbeiten.

Recht und Sitte ist das Höchste der Welt, und die Leiter des Volkes, so wie sie die höchste Macht haben, sollten auch die Höchsten sein in Wahrung von Recht und Sitte. Wären sie es bei allen Völkern der Welt, dann stünden sie unerschütterlich, dann wäre der Krieg unmöglich und der Mensch dürfte ohne Erröten sich das Beiwort vernünftig beilegen lassen. Jenes Scheusal Krieg aber, wenn es so leichtfertig erhoben werden kann, macht, daß mdn mit Scham sein Haupt vor der Menschheit, die sich vernünftig schilt, verhüllen möchte. Europa hat mich in der letzten Zeit angeekelt und dies Europa steht an Gesittung an der Spitze der Welt.

Adalbert Stüter an M. v. Hrussoczy (1859)

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