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Der Friedensruf eines Philosophen

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Sorgenvoll lauscht die Welt, voll Sehnsucht nach einem echten Frieden, den heftigen Debatten im historischen Schlosse Luxembourg, in dem seit einigen Wochen die einundzwanzig Sieger mit fünf Besiegten und etlichen anderen beteiligten Staaten verhandeln. Wird diese streitbare Friedenskonferenz ihr den dauernden und ungeteilten Frieden zu geben vermögen? Oder werden die manchmal im Hintergrund spürbaren machtpolitischen Tendenzen über die Gebote der Moral und des Verstandes triumphieren?

In diesem Augenblick möge die Stimme eines Philosophen gehört werden, der zum Frieden rief, als inmitten der blutigen Ereignisse, welche die Französische Revolution begleiteten und ihr nachfolgten, Napoleon sich anschickte, die Herrschaft seiner Gewaltdiktatur über Europa aufzurichten. Im Jahre 1795 veröffentlichte Kant seine Gedanken „Zum ewigen Frieden“. Als Lehrer des kategorischen Imperativs verdient er, heute gehört zu werden, weil er der abstrakteste der neueren Philosophen ist, abstrakt insofern, als seine Erkenntnisse nicht so sehr durch den denkend Erkennenden bestimmt werden, dessen Persönlichkeit fast ganz zurücktritt, sondern vielmehr im Erkannten selbst wurzeln. Auch sind die in fundamentalen Leitsätzen ausgedrückten Erkenntnisse weder von der Tagespolitik noch von sonstigen Rücksichten auf vergangene oder noch bestehende realpolitische Verhältnisse beeinflußt, sondern sind ausschließlich von dem transzendenten B er griff des „ewigen Rechte s“, wie es die Aufklärung verstand, abgeleitet.

Gerade so müßte, meint Kant, eine Institution wie die Friedenskonferenz verfahren, deren Aufgabe es ist, die Grundlagen für einen dauerhaften Frieden zu schaffen. Im Anhang der Abhandling „Zum ewigen Frieden“ steht der Satz:

„Die wahre Politik kann keinen Schritt tun, ohne vorher der Mora 1 gehuldigt zu haben. Das Recht der Menschen muß heilig gehalten werden, der herrschenden , Gewalt mag es auch noch so große Aufopferung kosten. Man kann hier nicht halbieren und das Mittelding zwischen Recht und Nutzen aussinnen, sondern alle Politik muß ihre Knie vor dem ersteren beugen, kann aber dafür hoffen, obzwar langsam, zu der Stufe zu gelangen, wo sie beharrlich glänzen wird.“

Der erste Abschnitt der Kantschen Schrift enthält die sechs Präliminarartikel zum ewigen Frieden unter den Staaten:

1. Es soll kein Friedensschluß für einen solchen gelten, der mit dem geheimen Vorbehalt des Stoffs zu einem künftigen Kriege gemacht worden.

2. Es soll kein für sich bestehender Staat (klein oder groß, das gilt hier gleichviel) von, einem anderen Staate durch Erbung, Tausch, Kauf oder Schenkung erworben werden können.

3. Stehende Heere sollen mit der Zeit ganz aufhören.

4. Es sollen keine Staatsschulden in Beziehung auf äußere Staatshändel gemacht werden.

5. Kein Staat soll sich in die Verfassung und Regierung eines anderen Staates gewalttätig einmischen.

6. Es soll sich kein Staat im Kriege mit einem anderen solche Feindseligkeiten erlauben, welche das wechselseitige Zutrauen im künftigen Frieden unmöglich machen müssen: als da sind Anstellung der Meuchelmörder, Giftmischer. Brechung der Kapitulation, Anstiftung des Verrats in dem bekriegten Staat usw.

In der Einleitung zum zweiten Abschnitt zeigt Kant, daß er die Dinge durchaus nicht als Utopist beurteilt und betrachtet, sondern seine „abstrakt“ gewonnenen Erkenntnisse auf die bestehenden Verhältnisse angewendet sehen will. (Uber dem Gemeinspruch: „Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis“ hat Kant eine eigene Abhandlung verfaßt). Kant meint rtömlich, daß der Friedenszustand unter Menschen wie unter Staaten, die nebeneinander leben, kein Naturzustand, sondern daß dieser vielmehr ein Zustand des Krieges sei — wenn auch nicht immer ein Ausbruch der Feindseligkeiten, so doch eine immerwährende Bedrohung durch den Krieg. Daher müsse der laede gestiftet — wir würden heute sagen „organisiert“ — werden.

Wie nun und unter welchen Voraussetzungen kann der ewige Frieden am ehesten verwirklicht werden? Nachdem Kant eine Definition der republikanischen Verfassung gegeben hat, die er als die beste erklärt, begründet er, weshalb gerade sie, außer der Lauterkeit ihres Ursprungs — da sie aus dem reinen Quell des Rechtsbegriffes entsprungen sei — die meiste Aussicht habe, den ewigen Frieden zu garantieren: „Wenn die Beistimmung der Staatsbürger dazu erfordert wird, um zu beschließen, ob Krieg sein solle oder nicht, so ist nichts natürlicher als daß, da sie alle Drangsale des Krieges über sich selbt beschließen müßten . .., sie sich sehr bedenken werden, ein so schlimmes Spiel anzufangen: dahingegen in einer Verfassung, wo der Untertan nicht Staatsbürger, die also nicht republikanische ist, es die unbedenklichste Sache von der Welt ist, weil das Oberhaupt nicht Staatsgenosse, sondern Staatseigentümer ist, an seinen Tafeln, Jagden, Lustschlössern, Hoffesten und dergleichen durch den Krieg nicht das mindeste einbüßt, diesen also wie eine Art von Lustpartie aus unbedeutenden Ursachen beschließen und der Anständigkeit wegen dem dazu allezeit fertigen diplomatischen Korps die Rechtfertigung desselben gleichgültig überlassen kann.“

An diesem letzten Satz erkenhen wir, daß Kants Ausführungen noch aus einer Zeit stammen, da ein Staatsoberhaupt, das leicht,innig einen Krieg begonnen und verloren hatte, schlimmstenfalls seiner Krone verlustig ging und der geschlagene Feldherr sich ins Privatleben zurückziehen konnte, um Rosen zu züchten oder seine Memoiren zu schreiben. Heute ist man dagegen — auf Grund des Londoner Vertrages vom 8, August 1945, der übrigens auf früheren Rechtslehren basiert — dazu übergegangen, auch Staatsoberhäupter, Politiker und Befehlshaber der Exekutive für begangenen Friedensbruch zur Rechenschaft zu ziehen und vor ein internationales Forum zu stellen.

Trotz der „Bösartigkeit der menschlichen Natur“, die im Verhältnis der Staaten noch unverhohlener zutage trete als in dem der einzelnen Staatsbürger zueinander, huldigten doch die Staaten — wenigstens den Worten nach — einem Rechtsbegriff. Darin erblickt Kant den Beweis, „daß eine noch größere, obzwar zur Zeit schlummernde, moralische Anlage im Menschen anzutreffen sei, über das böse Prinzip in ihm (was er nicht ableugnen kann) doch einmal Meister zu werden und dies auch von andern zu hoffen; denn sonst würde das Wort .Recht' den Staaten, die sich einander befehden wollen, nie in den Mund kommen, es sei denn, bloß um seinen Spott damit zu treiben ...“ Da nun die Vernunft des einzelnen Staatsbürgers, wie bereits ausgeführt, als auch „die Vernunft vom Throne der höchsten moralisch gesetzgebenden Gewalt herab“ den Frieden zur sittlichen Pflicht mache und den Krieg verdamme: „so muß es einen Bund von besonderer Art geben, den man den Friedensbund nennen kann, der vom Friedensvertrag darin unterschieden sein würde, daß dieser bloß einen Krieg, jener aber alle Kriege auf immer zu endigen suchte. Für Staaten im Verhältnis untereinander kann es nach der Vernunft keine andere Art geben, aus dem gesetzlosen Zustand, der lauter Krieg enthält, herauszukommen, als daß sie ebenso wie einzelne Menschen ihre wilde gesetzlose Freiheit aufgaben, sich zu öffentlichen Zwangsgesetzen bequemen und so einen (freilich immer wachsenden) Völkerstaat, der zuletzt alle Völker der Erde befassen würde, bilden. Da sie dieses aber nach ihrer Idee vom Völkerrecht durchaus nicht wollen, so kann an die Stelle der positiven Idee einer Weltrepublik (wenn nicht alles verloren werden soll) nur das negative Surrogat eines den Krieg abwehrenden, bestehenden und sich immer ausbreitenden Bundes den Strom der rechtscheuenden, feindseligen Neigungen aufhalten, doch mit beständiger Gefahr ihres Ausbruchs.“

Eine besonders aktuelle Frage, die - des Weltbürgerrechts und der allgemeinen Hospitalität, behandelt Kant im dritten Definitivartikel: „Es ist hier wie in den vorigen Artikeln nicht von Philantropie, sondern vom R e ch t die Rede, und da bedeutet Hospitalität (Wirtbarkeit) das Recht eines Fremdlings, seiner Ankunft auf dem Boden eines andern wegen von diesem nicht feindselig behandelt zu werden. Dieser kann ihn abweisen, wenn. es ohne seinen Untergang geschehen kann, solange er aber auf seinem Platz sich friedlich verhält, ihm nicht feindlich begegnen. Es ist kein Gastrecht, worauf dieser Anspruch machen kann (wozu ein besonderer wohltätiger Vertrag erfordert werden würde, ihn auf eine gewisse Zeit zum Hausgenossen zu machen), sondern Besuchsrecht, welches allen Menschen zusteht, sich zur Gesellschaft anzubieten vermöge des Rechts des gemeinschaftlichen Besitzes der Oberfläche der Erde, auf der als Kugelfläche sie sich nicht ins Unendliche zerstreuen können, sondern endlich sich doch nebeneinander dulden müssen, ursprünglich aber niemand an einem Ort der Erde zu sein mehr Recht hat als der andere. — Da es nun mit der unter den Völkern der Erde einmal durchgängig überhandgenommenen (engeren oder weiteren) Gemeinschaft so weit gekommen ist, daß die Rechtsverletzung an einem Platz der Erde an allen gefühlt wird: so ist die Idee eines Weltbürgerrechts keine phantastische und überspannte Vorstellungsart des Rechts, sondern eine notwendige Ergänzung des ungeschriebenen Kodex sowohl des Staatsais Völkerrechts zum öffentlichen , .Menschenrecht überhaupt und so zum ewigen Frieden, zu. dem man sich in der kontinuierlichen Annäherung, zu befinden nur unter dieser Bedingung schmeicheln darf.“

Am Schluß seiner Schrift, im zweiten Zusatz, der den geheimen Artikel zum ewigen Frieden enthält, rechtfertigt Kant seine Ausführungen, indem er fordert, daß sich die gesetzgebenden Autoritäten bei den P h i 1 o s o p h e n Belehrung holen mögen. Wie die Dinge nun einmal liegen, sei nicht zu erwarten, daß die Staaten den Grundsätzen der Philosophen vor den Aussprüchen der Juristen den Vorrang einräumen würden, aber man möge sie wenigstens hören, auf daß nicht die Philosophie, anstatt mit der Fackel vorausleuchten, die Schleppe ihrer gnädigen Frau nachtrage. „Daß Könige philosophieren oder Philosophen Könige würden, , ist nicht zu erwarten, aber auch nicht zu wünschen: weil der Besitz der Gewalt das freie Urteil der Vernunft unvermeidlich verdirbt. Daß aber Könige oder königliche, sich selbst nach Gleichheitsgesetzen beherrschende Völker die Klasse der Philosophen nicht schwinden oder verstummen lassen, ist beiden zur Beleuchtung ihres Geschäfts unentbehrlich.“

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