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Naturrecht heute

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Vor zwanzig Jahren hätte man sich Salzburger Hochschulwochen zum Thema „WERTE RECHTE NORMEN“ ohne eine dreistündige Vorlesung „NATURRECHT HEUTE“ nicht vorstellen können. Damals sprach man noch von einer Renaissance des Naturrechts. Bei den diesjährigen Hochschulwochen kam das Stichwort „Naturrecht“ im Programm nur ein einziges Mal vor, und zwar im Titel eines von Professor Wolfgang Kluxen/Bonn geleiteten Seminars: „Naturrecht heute“.

Der Gedanke des Naturrechts ist im Gegensatz zu den fünfziger und sechziger Jahren, stark in den Hintergrund getreten, auch im Raum des katholischen Gesellschafts-, Rechts- und Staatsdenkens. Heute können wir den Rationalitätsanspruch des traditionellen Naturrechts nicht mehr sozial zur Geltung bringen. Anderseits ist das Naturrecht nur schwer ersetzbar.

Professor Kluxen gibt spontan das Bonmot von sich: Das Naturrecht ist tot, es lebe das Naturrecht! „Wir brauchen etwas wie ein Naturrecht!“ Aber wie soll das jetzt aussehen? Das wäre die Frage!

„Wir können gar nicht umhin, jede positive Rechtsordnung auf ihre Gerechtigkeit zu befragen. Im Gegenteil: Jede positive Rechtsordnung setzt doch voraus, daß man schon vorher weiß, was Recht und was Pflicht ist, was Sollen und Verantwortung ist, um angenommen zu werden.“

Das ist die ewige Frage, die immer wieder zu einem Naturrecht führt. Eine elementare Aussage, die der des alten traditionellen Naturrechts entspricht, die einfach gehalten werden muß, ist: das Subjekt des Rechts ist der Mensch durch Freiheit. Das ist kein Satz von metaphysischer Bedeutung, der ergibt sich sozusagen analytisch. Denn Rechtsnormen können sich an den Menschen nur wenden, wenn sie beanspruchen, seinen freien Willen zu regeln. Das Recht setzt voraus, daß der Mensch frei ist und daß er für seine Taten verantwortlich ist. Dies wäre ein erstes Element für jede positive Rechtsordnung, aber es wird vorausgesetzt und in ihr nicht erst hergestellt. Wenn Recht im Recht sein soll, muß es so auf die Person bezogen sein. Die Grundlage aber des Rechthabens und der Gerechtigkeit des Rechtes ist die Würde der Person. Und es ist das erste, was ein Recht zu leisten hat, daß es diese seine eigene Grundlage auch konkret sichert. Daß es die Person sichert in ihrer Existenz, aber eben auch als sittliches Subjekt.“

Die Personwürde zu wahren und zu schützen ist der grundlegende Zweck der Rechtsordnung. Und damit sind wir bei einem ersten grundlegenden Satz von Naturrecht. Dieser Satz scheint so zwingend zu sein, daß er für jede mögliche Rechtsordnung Grundlage sein sollte. Wenn nun nicht alle die Personwürde wahren, so ist das nach dem Verständnis von Prof. Kluxen kein Einwand gegen diesen Satz, denn dieser Satz sagt eine Norm aus. Um so etwas Allgemeines und Grundlegendes angemessen in sozialen und konkreten Formen durchzusetzen, ist geschichtliche Erfahrung unerläßlich. Das ist dann nicht mehr Naturrecht, sondern positives Recht. Es müßte eine Forderung an das positive Recht sein, daß es angemessene Form findet, um unter den gegebenen gesellschaftlichen, politischen Umständen diesem Rechnung zu tragen. Professor Kluxen sieht hier ein naturrechtliches Prinzip, das allgemein ist, das verbindlich ist, das aber als solches noch nicht Recht ist, sondern erst Recht werden soll. Naturrecht ist für Kluxen AUFGABE. Naturrecht würde eine Position anzei- gen, von der man positives Recht kritisieren kann. Allein das ist schon bedeutungsvoll genug.

Dieser neuen Konzeption eines Naturrechts stehen allerdings erhebliche Schwierigkeiten entgegen, und zwar „unser Verhältnis zur - und unser Begreifen von Natur“. Für Kluxen ist der Mensch Resultat eines Naturprozesses, eines Evolutionsprozesses, auch der individuelle Mensch. Die Natur ist Grund für die Existenz von Freiheit.

Wenn das akzeptiert wird, so ergibt sich für Kluxen zum Beispiel, daß die Freiheit endlich ist, daß wir konkrete Rechtsordnungen nicht ohne Berücksichtigung der simplen Grenzen menschlicher Möglichkeiten machen können. Menschliches Leben muß, weil es Vernunft tragen kann, unter allen Umständen geschützt werden, sagte Kluxen. Es ist schutzbedürftig auch dort, wo dann Vernunft nicht aktuell wird. Von einem Standpunkt aus, der ernst nimmt, daß der Mensch Natur ist, Vernunft in Natur, würde man verlangen, daß er schon als Naturwesen unter dem Schutz des Rechtes steht.

Eine Naturrechtslehre sollte dem Rechnung tragen, daß der Mensch in einer Mannigfaltigkeit von Bestrebungen, Tendenzen und Bezügen existiert. Der naturrechtliche Gedanke müßte dann so gefaßt sein, daß er auch in den besonderen Bezügen einsetzbar wäre, daß mit dem Hinblick auf besondere menschliche Daseinschancen deutlich gemacht werden müßte, was in derartigen Fällen als gute Rechtsnorm zu wählen sei.

Es sollte nicht so sein, daß eine einzelne naturrechtliche Einsicht nur deshalb trägt, weil sie in einem deduzierten System enthalten ist. Sie müßte deshalb tragen, weil sie sich auf je einleuchtend zu machende Weisen von menschlichem Gutsein bezieht. Sie müßte offen sein dafür, daß wir über menschliches Gutsein immer wieder Neues lernen und daß es zuletzt so etwas gibt wie einen Fortschritt.

Naturrecht als Fortschrittsprinzip, das wäre vielleicht etwas Neues und diesem Gedanken sollte man nachgė- hen.

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