6561754-1948_52_04.jpg
Digital In Arbeit

Vierhundert Jahre nach Suarez

Werbung
Werbung
Werbung

Jede menschliche Gemeinschaft bedarf einer Ordnung, welche die Beziehungen der Gemeinschaftsglieder untereinander regelt. Diese Ordnung nennen wir Recht. Wir finden es schon im engen Kreise der Großfamilie und der Stämme. Seine volle Entfaltung erfolgt aber erst im Staate, den daher A r i s t o t e 1 e s als vollkommene Gemeinschaft bezeichnet.

Weit darüber hinaus strebt das Völkerrecht. Es will auch die souveränen Staaten unter das Recht beugen und ihren gegenseitigen Verkehr dem Rechte unterwerfen. Diese Regelung unterscheidet sich aber von der des staatlichen Rechts nicht nur durch ihren größeren Wirkungskreis, sondern auch dadurch, daß in allen Staaten eine zentrale Autorität vorhanden ist, die das Recht auch gegen jene durchsetzen’ kann, die es nicht freiwillig befolgen, während in der Staatengemeinschaft eine solche zentrale Autorität jedenfalls bis vor kurzem gefehlt hat und auch heute höchstens ansatzweise und keimartig im Sicherheitsräte zu finden ist.

Schon diese Erwägung zeigt uns, daß das Völkerrecht nur dann zur vollen Wirksamkeit gelangen kann, wenn es vom guten Willen der Staaten getragen wird. Auch das staatliche Recht lebt letztlich nicht vom Zwange, sondern vom Ethos jener Menschen, die es anzuwenden berufen sind. Wenn diese versagen, nützen auch die besten Gesetze nichts, da ihre Anwendung keine Rechenoperation bildet, sondern durch das Rechtsbewußtsein des Rechtsanwenders hindurchgeht. Während aber im Staate die Rechtsanwendung wenigstens durch eine zentrale Autorität geordnet und gelenkt wenden kann, haben wir es kn Völkerrecht mit einer Vielheit von Staaten zu tun, von deren Übereinstimmung die Wirksamkeit des Völkerrechts abhängig ist. Fehlt daher einem Vertragsteile der gute Wille, dann nützen auch die besten Verträge nichts, da es einem solchen Staate immer möglich ist, irgendeine Ausrede ausfindig zu machen, um sich seinen Pflichten zu entziehen. Mit Recht sagt daher der berühmte holländische Jurist Bynkershoek, daß die völkerrechtlichen Verträge die bona fides der Staaten zur Veraussetzung haben. Denkt man sich diese sittliche Grundlage des Völkerrechts weg, dann bricht es in sich zusammen.

Damit wird aber eindeutig bewiesen, daß alles Recht in der Moral wurzelt. Zerstört man daher diese Grundlage, dann zerfällt auch das Recht in eine Summe von Wortzeichen, die jeden Sinn verloren haben. Aus diesem Gunde kann durch eine bloße Häufung von Staatsverträgen keine Besserung erzielt werden, sondern nur dadurch, daß die sittlichen Grundlagen des Rechts im Bewußtsein der Völker ständig neu belebt und vertieft werden. In dieser Richtung können wir auf große Lehrmeister zurückblicken, vor allem aber auf die berühmten Moraltheologen Franciscus de Vitoria (1480—1546) und Franciscus Suarez (1548 — 1617), dessen vierhundertjährigen Geburtstag seine Heimatländer Spanien und Portugal und mit ihnen die latein-amerikanischen Staaten vor kurzem gefeiert haben. Ihnen folgt dann der berühmte Holländer Hugo Grotius (1583—1642).

Auch diese Denker haben in einer großen Zeitenwende gelebt, nämlich in der Zeit des Überganges vom geschlossenen Kosmos des christlichen Abendlandes in die neue Weltordnung der Neuzeit. Auch damals wär die Rechtsidee schwer erschüttert. An ihre Stelle trat die Staatsraison, die alle Mittel im Dienste der eigenen Staatsmacht zu rechtfertigen versucht hat. Dieser immer weiter um sich greifenden Tendenz trat aber die damals aufkommende Völkerrechtslehre des Vitoria, Suarez und Grotius erfolgreich entgegen. In grundlegenden Ausführungen erbrachte -sie den Nachweis, daß die Staaten nicht die höchsten Gemeinschaften bilden, sondern selbst nur Glieder jener großen Gemeinschaft sind, die die ganze Menschheit umfaßt. Diese bildet aber eine wurzelhafte Einheit, da alle Menschen, trotz allen Verschiedenheiten der Rasse, Sprache und Kultur eine gemeinsame menschliche Natur besitzen, die auch jenes moralische Grundgesetz mitumfaßt, von dem der Apostel Paulus im 1. Römerbrief sagt, daß es Gott in das Herz aller Menschen gelegt hat. Dieses in der Natur des Menschen verankerte Grundgesetz nennt man daher das Naturrecht. Auf dieses moralisch-rechtliche Grundgesetz gehen - alle legitimen menschlichen Gesetze zurück. Sie bilden entweder Ableitungen (Konklusionen) aus dem Naturrecht oder aber- eine nähere Ausführung (Determination) seiner Normen. Das gilt auch für das Völkerrecht. Ja, das Völkerrecht steht dem Naturrecht besonders nahe, da es nicht von einer zentralen Gewalt getragen und durchgesetzt wird, sondern nur durch seine moralische Kraft wirken kann. Dieser Mangel einer völkerrechtlichen Zentralgewalt bewirkt natürlich eine relative Schwäche des Völkerrechts gegenüber dem robusteren staatlichen Recht. Diese Schwäche hat aber den Vorzug, daß sich das auf der V e r einbar u n g einer Vielheit von Staaten beruhende Völkerrecht niemals so weit vom Naturrecht entfernen kann als das von einem staatlichen Gesetzgeber erlassene Gesetz, das nur zu leicht der Versuchung erliegen kann, die naturrechtlichen Grenzen zu überschreiten.

Außerdem darf nicht übersehen werden, daß das Völkerrecht die Krone des weltlichen Rechts bildet, wie Konstantin Frantz schön gesagt hat. Sein Bau muß daher zarter und feiner sein, als die niederen Stockwerke .des staatlichen Rechts, auf denen es aufruht. Um so mehr ist es aber wert, von allen’ Menschen gehegt und gepflegt zu werden, die eines guten Willens sind.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung