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Um eine internationale Gemeinschaft

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Ein Teilnehmer an der „Sozialen Tagung der italienischen Katholiken“ die in Mailand stattfand, stellt uns folgende Zusammenfassung der grundlegenden Themen dieser Tagung zur Verfügung. „Die Furche“

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Ein Teilnehmer an der „Sozialen Tagung der italienischen Katholiken“ die in Mailand stattfand, stellt uns folgende Zusammenfassung der grundlegenden Themen dieser Tagung zur Verfügung. „Die Furche“

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Es wäre längst zu spät, die Frage nach dem Ja oder Nein einer internationalen Gemeinschaft zu stellen: eie ist unaufhaltsam im Werden, immer inniger upd schicksalhafter gestaltet sich die gegenseitige Abhängigkeit der Staaten und Völker untereinander, immer klarer wird bewußt, daß es im Grunde nur mehr eine W e 11- geschichte gibt. Um so dringender stellt sieb die Frage, wie diese unvermeidliche internationale Gemeinschaft zu gestalten ist. Die Problematik des einstigen Völkerbundes und der gegenwärtigen UNO wurde schon zur Genüge behandelt, als daß es eie nochmals aufzurollen gälte. Allen solchen Diskussionen liegt eingestanden oder uneingestanden diese letzte und entscheidende Frage zugrunde: Ist die internationale Rechtsgemeinschaft einer vorgegebenen inneren’ Gesetzlichkeit unterworfen oder wird sie durch die Willkür untereinander übereinkommender Staaten auf gebaut ? Ist die einzige Quelle dieser internationalen Rechtsordnung die Souveränität der Staaten selbst oder aber eine Norm, die unabhängig von den positiven Rechtssatzungen der einzelnen Staaten existiert und an der ‘sich diese letzten ausrichten müssen? Mit anderen Worten: gibt es für die internationale Gemeinschaft eine naturrechtliche Grundlage und Struktur, welche diese von vornherein bestimmt? Es ist unmittelbar einsichtig, wie sehr die Stellung zu dieser entscheidenden Frage für den Aufbau der im Werden begriffenen internationalen" Völkergemeinschaft ausschlaggebend ist.

Christliche Philosophie hat von jeher den Vorausbestand des Naturrechts vordem positiven Recht gelehrt. Vittoria, Suarez und Grotius richteten ein internationales Rechtsgtbäude auf, dessen positive Rechtssatzungen auf dem Naturrecht gründeten. Zweckgerichtetheit, Ordnung und damit Solidarität der internationalen Gemeinschaft erschienen als in der Seins- metaphysik begründet und damit o b j e k- t i v genormt. Mit dem ausgehenden Mittel- alter begann die Krise der Metaphysik: an die Stelle der objektiven Seinsgesetze traten wesentlich subjektive Fundamente: so er Wille zur Macht von einzelnen und Gruppen, selbstkonstruierte „geschichtliche Sendung“, Rassenprimat, Wirtschaftsmonopol usw. In Hobbes, Rousseau, Hegel und in allen Rechtspositivisten triumphierte dieser Subjektivismus und griff auf alle menschlichen Seinsbereiche über. Damit wurde aber auch die internationale Ordnung einer letzten anarchischen Rechtsauffassung ausgeliefert. Alle noch so feierlich proklamierten internationalen Vereinbarungen mußten früher oder später an dem absoluten Souveränitätsanspruch der jeweils mächtigeren Staaten zerschellen, die ja grundsätzlich sich selbst als Quelle und Norm alles Rechts betrachteten und sich darum zu souveränen Richtern über die getroffenen Vereinbarungen aufwarfen. Der schrankenlose Subjektivismus des Rechtspositivismus hat sich selbst ad absurdum geführt, und es ist kein Zufall, daß heute die Krise des positiven Rechts allgemein und offensichtlich ist.

So wird heute von allen jenen, die sich für die internationale Rechtsordnung verantwortlich fühlen, von neuem die Frage aufgeworfen: Gibt es ein dem positiven Recht vorausbestehendes Naturrecht? Und ist die aufzubauende internationale Gemeinschaft in ihrer Grundstruktur, das heißt in ihrer Zweckbestimmung und inneren Ordnung schon vom natürlichen Recht, und damit letztlich von der Natur des Menschen selbst her vorgezeichnet und gefordert? Gibt es also eine unantastbare objektive Norm, die das aufzubauende internationale Rechtsgebäude grundsätzlich bestimmt und alle menschliche und staatliche Willkür in Schranken weist?

Es ist hier nicht der Raum, diese entscheidende Frage ausführlich zu behandeln. Es sei aber der grundsätzliche Gedankengang umrissen, der die gestellten Fragen mit Ja beantwortet. Der Mensch ist von Natur aus auf die höchste mögliche Vollendung seines Ichs ausgerichtet; alle Entfaltung und Vollendung aber der menschlichen Natur ist wesentlich sozial bedingt, so daß der Mensch , von Natur aus ein soziales Wesen ist.’ Darum ist aber auch die höchste mögliche natürliche Vollendung des Menschen nur denkbar, wenn die sozialen Gegebenheiten die günstigsten sind; diese sind aber noch nicht gegeben im begrenzten Staat, sondern erst in der allumfassenden menschlichen Gemeinschaft, die allein jene Fülle von Gütern der Kultur und Zivilisation schenken kann, die für die natürliche Vollendung des Menschen erforderlich sind. Darum ist die Forderung nach der internationalen Gemeinschaft und damit nach der internationalen Rechtsordnung in der Natur des Menschen begründet, mit anderen Worten: es gibt eine naturrechtliche Grundlage der internationalen Gemeinschaft. Demgemäß sind die Menschenrechte, die Norm, daß Verträge eingehalten werden müssen, die die verpflichtende Kraft der frei eingegangenen internationalen Bindungen im objektiven Naturrecht begründet und damit jeder Willkür entzogen. Erst wenn dieses Fundament gesetzt wird, kann vom Aufbau einer wirklichen internationalen Gemeinschaft die Rede sein.

Es ist jedoch noch eine zweite Frage zu stellen: Wenn es einmal ein international anerkanntes Naturrecht gegeben hat und dieses trotz seiner Gültigkeit abgeschafft worden ist, wer garantiert heute, daß es, wenn einmal als Fundament anerkannt, nicht doch wieder der Willkür von Staaten oder Wirtschaftsmächten oder Völkergruppen zum Opfer fällt? Tatsächlich, von der geschichtlichen Erfahrung her gesehen, garantiert dies nur das Christentum, die Kirche. Es ist kein Zufall, daß die fortschreitende Subjektivierung der Sittenordnung und Rechtsordnung sich parallel zur fortschreitenden Verdrängung des Christentums aus dem Raum der Kultur und Wirtschaft und Politik vollzog. Alleingestellt ist das Naturrecht selbstverständlich der Willkür positiver Rechtssatzungen preisgegeben; im Christentum hingegen ist es geschützt und gewährleistet vom geoffenbarten göttlichen Recht. Der einzige wirkliche Garant des Naturrechts im öffentlichen Leben und in der internationalen Gemeinschaft ist das lebendige Christentum, das diese durchdringt und gestaltet. So wenig heute ein unmittelbar theokratisches Reich aufgebaut werden soll, so sehr muß den Christen zum Bewußtsein kommen, daß nur durch ihr öffentliches Bemühen eine wahre internationale Gemeinschaft zustande kommen kann. Christliche Verantwortung ist nie eine bloß hei’lseschatologische, sondern immer auch eine eminent politische: jede wirkliche und dauernde Gemeinschaft kann heute nur im Namen und im Gesetz Christi gestaltet werden. Alle Versuche, die internationale Einheit von außen her aufzubauen, durch Gewalt, durch Verträge, die nur als vorläufige Zugeständnisse „bis auf Widerruf“ gelten, sind zum Scheitern verurteilt. Sie muß von innen her aufgebaut werden, indem die individuelle und soziale Gesetzlichkeit der Natur des Menschen, so wie sie vor Gott besteht, als Quelle und Norm anerkannt wird.

Die internationale Gemeinschaft und Rechtsordnung ist darum ein Herzensanliegen des Christen: wie er berufen ist zur allumfassenden übernatürlichen Gemein-schäft der Kirche, so ist er auch berufen, die wahre internationale politische und wirtschaftliche und kulturelle Gemeinschaft zu gestalten. Als die dringendste Aufgabe erscheint die Begründung der allgemeinen Rechtsordnung auf dem Naturgesetz. Nur dann gilt zum Wohl der ganzen Menschheit: „Totus mundus est quasi respublica una."

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