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Ehe und Familie sind in Gefahr

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Nach einem Wort des französischen Philosophen Andre Mal-raux werden die entscheidenden Fragen des Menschen im Jahre 2000 keine naturwissenschaftlichen und technischen Fragen sein, sondern ethische und religiöse Fragen. Es gibt schon jetzt viele Anzeichen für diese Entwicklung. Eines dieser Zeichen ist die „Grundwertediskussion“

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Nach einem Wort des französischen Philosophen Andre Mal-raux werden die entscheidenden Fragen des Menschen im Jahre 2000 keine naturwissenschaftlichen und technischen Fragen sein, sondern ethische und religiöse Fragen. Es gibt schon jetzt viele Anzeichen für diese Entwicklung. Eines dieser Zeichen ist die „Grundwertediskussion“

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Ein Anlaß dazu ist die Reform Politik in Fragen der Abtreibung, in Ehe-und Familienfragen, in Fragen der Bildung und Erziehung u. a. Nicht wenige sehen durch diese Vorgänge die „Grundwerte“, wie etwas das Leben oder Ehe und Familie, bedroht.

Eine andere Ursache ist der Wandel der Wertvorstellungen, den statistische Erhebungen ins Bewußtsein bringen und der auch als „Auflösung“ oder Verdunstung von Werten erfahren wird.

Zur Grundwertediskussion fordert auch das Faktum der pluralistischen Gesellschaft heraus. Nachdem - zumindest in den westlichen Demokratien - die weltanschauliche Pluralität anerkannt wird, bricht nun eine gegenläufige Frage auf: Muß es nicht in einem Volk, trotz der weltanschaulichen Unterschiede, eine gemeinsame geistige Basis geben, die von allen anerkannt und respektiert werden muß?

Die Frage nach einer gemeinsamen Basis wird auch aktuell durch die Fortschritte der Wissenschaft und Technik. Es werden dem Menschen immer mehr Möglichkeiten in die Hand gegeben, durch die er sich entfalten, aber auch zerstören kann. Die Verantwortung des Menschen wächst, er braucht klare Ziel- und Wertvorstellungen, er braucht Moral, um mit diesen Möglichkeiten umgehen zu können. Ein aktuelles Beispiel ist die Frage der Atomkraftwerke.

Anderseits erfährt der Mensch auch neu seine Grenzen: die Grenzen der Belastbarkeit seines Lebensraumes (Umweltverschmutzung), die Begrenztheit der Energievorräte und Rohstoffe. Er muß sich einschränken. Aber wie? Nach welchen Maßstäben?

Weit verbreitet ist auch die Unsicherheit in ethischen Fragen. Das Vertrauen zu den überlieferten Normen und Verhaltensmustern ist bei vielen zerbrochen - oder diese sind selbst zerfallen. Die Begegnung mit der Vielfalt der Weltanschauungen stellt die eigene, falls überhaupt noch vorhanden, in Frage. Eine Grundschwierigkeit ist auch die Fülle der unterschiedlichen Informationen, die nicht verarbeitet werden können und richtige Entscheidungen erschweren. Das Leben ist unüberschaubar geworden.

Eine letzte Ursache ist das Aufbrechen der Sinnfrage, die Erfahrung, daß Wohlstand allein den Menschen nicht zufriedener und glücklicher macht, daß viele vereinsamen und in die Isolierung geraten.

Letztlich geht es um die Frage nach den geistigen Grundlagen des menschlichen Lebens. Auf welchem Fundament kann ich zuverlässig mein Leben aufbauen? Was sind die entscheidenden Ziele und Werte?

Es ist eine erste Aufgabe der Christen, sich voll für die aufgebrochenen Fragen zu öffnen, an diesen Vorgängen mit Interesse teüzunehmen und die „Zeichen der Zeit“ zu erforschen. Das ist nicht nur eine Aufgabe für Intellektuelle und Theologen, sondern für alle, auch für Arbeiter und Bauern. Dabei gilt es auch die Chancen zu sehen, die in diesen Erfahrungen verborgen liegen. Anderseits ist gleichfalls zu erforschen, warum das Evangelium nicht als jene überzeugende Antwort erfahren wird, die es sein möchte.

Die Fragen, die heute aufbrechen, sind nicht ganz so neu. Es verbergen sich dahinter die uralten Menschheitsfragen: „Was ist der Mensch? Was ist das Gute, was die Sünde? Woher kommt das Leid, und welchen Sinn hat es? Was ist der Weg zum wahren Glück? Was ist der Tod, das Gericht und die Vergeltung nach dem Tode? Und schließlich: Was ist

jenes letzte und unsagbare Geheimnis unserer Existenz, aus dem wir kommen und wohin wir gehen?“ (Zweites Vatikanum, Erklärung über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen, Nr. 1).

Diese Fragen sind weitgehend den naturwissenschaftlichen Methoden unzugänglich und es gibt diesbezüglich vielfach keine gemeinsamen Antworten. Um trotzdem zu einer gemeinsamen Basis zu kommen, werden nicht selten diese letzten Fragen ausgeklammert oder dem einzelnen überlassen.

Eine Partei, ja sogar der Staat, die nicht totalitaristisch das Ganze des Menschen umfassen wollen und dürfen, werden notwendig die letzten Fragen weitgehend den Religionen und weltanschaulichen Gruppen überlassen. Sie werden der Versuchung widerstehen, alle Freiräume abzuschaffen und in einem Etatismus den ganzen Menschen zu programmieren und zu manipulieren. Trotzdem wird selbst der Staat die in der Uberzeugung vieler vorhandenen Grundwerte anerkennen müssen. Es gibt keine grundwertfreie Politik.

Wie schwierig dies im konkreten politischen Alltag ist, und wie sehr sich die Bereiche überschneiden, zeigt die Auseinandersetzung um die

Fristenlösung und Ehescheidung.

Auf der Suche nach einer gemeinsamen Basis wird nicht selten folgender Weg beschritten: Es sollen jene gemeinsamen Werte und Ziele des Menschen ausfindig gemacht werden, die für alle einsichtig sind. Der Christ müßte in diesem Fall zunächst von seinem Glauben, den andere ja nicht teilen, abstrahieren und aus der „Natur“ des Menschen die diesbezüglichen Erkenntnisse gewinnen.

Dieser Weg wurde in der Kirche immer wieder versucht. Er ist sehr schwierig. Ist, um nur ein Beispiel zu nennen, die Unauflöslichkeit der Ehe wirklich für alle einsichtig; und zwar nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Praxis?

Wer solche Fragen zu beantworten sucht, wird erkennen, daß die Grundwerte engstens verknüpft sind mit der Erkenntnis vom Wesen des Menschen.

Ein fundamentaler Grundwert ist die Würde der Person. Der Mensch ist deswegen unantastbar und der Willkür der Mitmenschen entzogen, weil jeder einzelne von Gott gewollt und geliebt ist und weil jeder einzelne Gott lieben soll und darf.

Grundwerte setzen ein bestimmtes Menschenbild voraus. Nach dem Evangelium gehören folgende Züge zu diesem Menschenbild: Der Mensch ist frei; fähig zum Guten und zum Bösen; für sich selbst, die Mitmenschen und die Welt verantwortlich; er hat ein Gewissen, das ihn zur Verantwortung, auch vor Gott, ruft.

Die Grundwerte sind gefährdet durch die Schuld des Menschen. Dies

beweist die Geschichte. Diese Bedrohung wird nur vermindert, wenn sich der Mensch verändert.

Was sind Grundwerte? Darüber gibt es noch keine einheitliche Sprachregelung. Wovon wird im Zusammenhang mit der Grundwertediskussion gesprochen?

1. Von der Würde des Menschen - der Mensch soll sich in der Gesellschaft ungehindert entfalten können.

2. Von den Grundelementen dieser Entfaltung, wie Freiheit, Gleichheit (Gerechtigkeit), Brüderlichkeit (Solidarität).

3. Von den Grundrechten: Das sind die Ansprüche des einzelnen an den Staat und an den anderen, die sich aus den Grundwerten ergeben, z. B. die Menschenrechte.

4. Von den Grundordnungen: Dazu gehören die Grundformen des gesellschaftlichen Lebens, wie Ehe und Familie, Staat, Kirche etc.

5. Von den Grundhaltungen: Das sind die Grundformen des ethischen Verhaltens wie Wahrhaftigkeit, Klugheit, soziale Gesinnung, Verantwortungsbereitschaft.

Zur Bildung des Wissens und des Wertbewußtseins genügt nicht eine theoretische Erkenntnis über Wert und Unwert, über Gut und Böse. Dazu gehört auch die Befähigung, das konkrete Leben, auch in Grenzsituationen, wo Wert gegen Wert steht, nach der Rangordnung der Werte zu gestalten. Dazu braucht es starke Motive und Beweggründe. Diese Befähigung kommt für uns Christen auch aus dem Glauben an das Wirken Gottes im Menschen.

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