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Die Kirche soll nicht ideologisch, sondern gläubig reden

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Früher hätte man bei der Themenformulierung „Kirche und Staat” ein. ander gegenübergestellt Ein modernes Verständnis der Demokratie und der gesellschaftlichen Freiheit verlangt es, den Vorgängen besonderes Augenmerk zu schenken, die im Raum gesellschaftliche r Eigenve rant wortung stattfinden. Die Stellung des Christentums und der Kirche im öffentlichen Leben ist nicht mehr nur ein Gegenstand „diplomatischer” Verhandlungen und Abmachungen. Auch dem kirchlichen Selbstverständnis (seit dem II. Vatikanum) entspricht dieser Wandel.

Die formellen, staatskirchenrechtlich geregelten Fixierungen sind allerdings nicht belanglos geworden. Sie müssen auch unter dem Gesichtspunkt der jeweiligen historischen Bedingungen und der besonderen Erfordernisse von Gegenwart und Zukunft gesehen werden. „Koordination” und „Trennung” können ganz Verschiedenes bedeuten, nicht immer ist „Trennung von Kirche und Staat” etwas Schlechtes - etwa da, wo die Trennung Kirchen- und Glaubensfreiheit bedeutet, und die Herauslösung der Kirche aus kompromittierenden Bindungen.

Die Unterscheidung von geistlicher und weltlicher Sphäre - grundgelegt in Existenz- und Weltverständnis des Christentums, bedeutet die Überwindung der politischen Sakral reiche; dieser Prozeß ist theoretisch seit Jahrhunderten durchdacht worden, hat sich dennoch erst im Lauf der Neuzeit durchgesetzt, in Österreich erst im 20. Jahrhundert; noch in der Zwischenkriegszeit versuchte man einen „christlichen Staat” als Ersatz für das geheiligte Reich zu schaffen. Erst die Nachkriegszeit brachte den Durchbruch einer neuen Sehweise, wie sie etwa im „Mariazeller Manifest” von 1952 zum Ausdruck kommt und über 20 Jahre lang - bis zum österreichischen Synodalen Vorgang - durchgehalten wurde.

In den letzten Jahren hat sich das Klima verändert, die Auseinandersetzungen um die Abtreibung und über den Religionsunterricht sind Anzeichen dafür, daß es - untergründig - nach wie vor Mißtrauen, Verkrampfungen und feindselige Einstellungen gibt. Sie sollten nicht zum Anlaß werden, eine „Kulturkampfstimmung” zu fördern, die die Herausbildung des Grundkonsensus über die Demokratie stören könnte.

Freilich: unaufgebbare Positionen müssen entschlossen verteidigt werden. Man muß aber auch fragen: wie kommt es zu einer so beklemmenden und grotesken Fehldeutung dessen, worum es den Christen eigentlich geht, warum wird ihnen so oft ihre Aussage, es gehe ihnen nicht um kirchliche Machtpositionen, sondern um das Wohl des Menschen, nicht abgenommen? Hier sind Überlegungen vonnöten, wie man die eigene Sache unmißverständlich darlegen kann.

Die Chance der Kirche, ihr Wort an die Gesellschaft zu richten und ihre Aufgabe (etwa als ein „Garant von Moralität und Solidarität” zu erfüllen, versteht sich nicht von selbst, weil in der Demokratie jedes Recht verjährt, wenn es nicht durch lebendige politische Kräfte erhalten und erneuert wird. Engagement im öffentlichen Raum ist also nötig.

Gerät man da nicht in einen Widerspruch - daß die Kirche nicht „politisieren” - keine weitere Partei oder Kammer, keine Hilfstruppe einer Partei oder Kammer - sein will, aber doch in ihren Aussagen präsent sein soll? Die Antwort liegt darin, daß „Kirche” nicht eindimensional ist;, das bedeutet einen neuen Stil christlichen Wirkens; weder die geschlossene Phalanx noch der isolierte Einzelne können typisch sein, es wird eine Mehrheit engagierender Aufgaben und aktiver Kräfte geben müssen - was freilich erhöhte Anforderungen an die Fähigkeit zur Solidarität und zur Koordination stellt

Die tiefergehenden Herausforderungen liegen aber nicht einmal auf dieser Ebene; sie bestehen da, wo die Gefahr einer Zersetzung politischer Humanität im Zeichen von Techno- kratie und Ideologie aufkommt.

Die bisher prägende Konzeption der gesellschaftlichen und politischen Lebensordnung ging davon aus, daß der Mensch als Mitglied des Gemeinwesens eine Person, ein Vernunftwesen sei, ein verantwortlicher Träger von Rechten und Pflichten. Deswegen wurde die gemeinsame Ordnung im Wege des Rechts gestaltet - mit Hilfe eines Gefüges von Normen, die sich an Vernunft und Gewissen wenden, die menschliches Verhalten aus Einsicht und Verantwortung „motivieren”.

Inzwischen verändert sich die Perspektive. Die Rechtsordnung wird mehr und mehr als ein System der Verhaltenssteuerung eher technischen Charakters gesehen, Gebote und Verbote, Gewährung von Subventionen und Auferlegung von Belastungen gehen ineinander über; der Mensch erscheint als ein steuerbares und verwaltbares Wesen.

Ein Aspekt des entsprechenden Wandlungsprozesses ist eine entsprechend kurzschlüssige, transzendenzerstickende Sichtweise im Bereich der ideellen Sinngebungen und Perspektiven, wie sie im Stichwort „Ideologiediskussion” zum Ausdruck kommt.

Wer die Diskussion über seine eigenen Grundüberzeugungen im Hinblick auf die Verfassung und Bestimmung des Menschen und über die menschenwürdige Gesellschaft unter der Überschrift „Ideologiediskussion” führt, der hat bereits eingestanden, daß es keine Wahrheit jenseits von gesellschaftlich produziertem Bewußtsein gibt, daß „Ideen” sich eben als „Ideologien” entlarven lassen, daß sie Instrumente von Interessen, nicht aber Maßstäbe der Gesellschaft sind.

Das ist keine akademische Begriffsspielerei. Sieht man das Christentum als eine Ideologie unter anderen, dann gibt es keinen Grund, diese Ideologie mit besonderen Privilegien auszustatten (etwa mit einem eigenen Unterrichtsgegenstand in der Schule).

Übrigens zeigt sich auch hier, warum die Kirche mit ihrem seit dem Mariazeller Manifest entwickelten Verständnis ihrer Stellung zur Politik im Recht ist: Eine politische Partei hat Machterwerbs- oder Machterhaltungsinteressen, ist mit bestimmten gesellschaftlichen Gruppen verbunden und hat daher stets einen gewissen Ideologiebedarf; ideologiefreie Parteiprogramme kann es nicht geben, sie zu erstreben, wäre verfehlt. Der christliche Glaube aber ist keine Ideologie, keine Funktion der Gesellschaft, sondern - wenigstens für uns - der Maßstab für die Gestaltung des Lebens, weil er uns im Blick auf Jesus den Christus auch die Wahrheit über den Menschen aussagt.

Die Kirche sollte, wo sie ihr Wort in die Öffentlichkeit spricht, nicht „ideologisch”, sondern „gläubig” reden.

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