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Konsum und Werbung

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Die Gesellschaft ist mehr denn je „machbar“ geworden. Die zwischenmenschlichen Beziehungen können mehr als je zuvor fremdgesteuert werden. Die Gesellschaft ist nicht mehr eine naturwüchsige, die sich nach Gebieten verschiedene arteigene Kulturgebilde schafft. Die Massenmedien gebieten weltweit über die Bedürfnisse und die Bedarfdeckung; die Verbraucher werden gezähmt. Die Kirche findet vielfach eine für sie verschlossene Gesellschaft vor, deren Angehörige sich in der Mehrheit auf den Fließbändern der Vergnügungsindustrie bewegen — niemand hat den Mut, abzuspringen. Die Freizeitmächte haben allmählich neben den öffentlichen Organen eine zweite Herrschaft aufgerichtet und wachen im Interesse ihrer Gewinne streng über die Einhaltung ihrer Konsumgebote. Diese sind schon da, bevor noch das oft nur sonntags publizierte Anbot der Kirche zur Kenntnis der Gläubigen kommt. In den USA soll der Mensch täglich 1500 Werbereizen ausgesetzt sein, mit denen nur die Kirche als ebenfalls anbietende Macht im Wettbewerb steht.

Schließlich ist die Welt keineswegs mehr durch eine europäische Gesellschaft angeführt. Die Welt- bevölkerung ist heute Weltgesellschaft. Daher müssen die Kulturwerte der Kirche örtlich verschieden dargeboten werden, da trotz aller Neigung zur Bildung einer gleichgemachten Weltgesellschaft das Völkische unverlierbare Bestände aufweist

Anpassung an Zeit und Ort

Christliche Kultur hat sich bis weit hinein in die Neuzeit in einer dauernden Anpassung an die jeweiligen gesellschaftlichen Seinsweisen vollzogen, selten, und dann nur für kurze Zeit, als Versuch einer

ZwängsahSiedluiig ėhristlicher Vėr- haltensformėn. Es gab und gibt keine christliche Einheitskultur; sie ist fast durchweg der jeweiligen Zeit und bestimmten Räumen eingebunden. Vom Bestand einer Einheitskultur, also einer ebenfalls „gemachten“ Kultur, gingen einst nur jene aus, die in ihrer Anmaßung Kultur mit Kolonisation verwechselten, die Kulturbezeugung also auf möglichst hohen Gewinn hinsteuern wollten und sich nicht schämten, dabei das Christentum in ihr Geschäft „einzubauen“. Die aus der Gegenreformation verständliche, nun aber unheilvoll gewordene Verewigung christlicher (katholischer) Verhaltensmodelle hat zu unantastbaren Kulturformen und zu Leerformeln geführt, die dem Menschen der Gegenwart, weil sie aus einer abgestorbenen geschichtlichen Situation stammen, immer unverständlicher werden. Wie unzeitgemäß sind heute manche Fastengebote; wie wenig passen bestimmte Gottesdienstformen mit ihrer barocken, nur-reprä- sentativen Pracht in unsere Tage.

Bei einer Sicherung dessen, was man vereinfachend als „christliche“ Kultur kennzeichnet, muß man daher unter anderen Mitteln auch die Methoden der Zeit und Örtlichkeit anpassen.

Verteidigung christlicher Kultur heißt nicht, daß diese weiterhin in ihrer westeuropäisch-nordamerikanischen Vereinsamung gepflegt wird — als Inselkultur. Man sehe sich doch einmal beispielsweise die Zusammensetzung der Spitzen der katholischen Organisationen an und behaupte dann noch, daß Sie den Weltkätholizismus vertreten! Wie spät wurde das Kardinalskollegium So besetzt, daß man es nicht mit einer italienisch-europäischen Bischof skonferenz verwechseln konnte! Verteidigung christlicher Kultur heißt also Ausbreitung über die Selbstgesetzten Grenzen hinaus in die Weite einer nichtchristlichen Welt; diese hat freilich nicht mehr die Aufnahmebereitschaft, die sie noch vor der Einsetzung einer Art von Weltkultur gehabt hat. Jedenfalls ist christliche Kultur keine rein europäische Kultur, keine Kultur der weißen Rasse mehr. Dies anzunehmen wäre Häresie: ihrer machen sich Oft jene Schuldig, die ständig auf der Jagd nach Häretikern sind.

Die Anpassung muß sich aber nicht nur örtlich verschieden, sondern auch sozialneutral vollziehen, mit Neigungsrichtung auf die Großgruppe jener, die in den Kümmerzonen der Gesellschaft leben und denen das Sittengesetz nicht einen Trost, sondern die Hoffnung auf eine sozialökonomische Gleichmacherei nach oben bedeutet.

Die Kirche wird es nicht vermeiden können, sich in einer ganz anderen Weise als bisher der Massenmedien zu bedienen. Das katholische Pressewesen verkümmert. Die Kommunikationsmittel etwa in dem uns als Vorbild hingestellten Italien sind heute weitgehend in den Händen jener, die das Sittengesetz sehr eigenwillig auslegen. Beweis: der italienische Film.

Die Welt ist in einem bedenklichen Umfang eine weltliche Welt geworden; sie ist „profan“, vor dem heiligen Bezirk liegend. Die Kirche wird im engen heiligen Bezirk gehalten und darf seine Grenzen nur bei Duldung der Welt überschreiten. Wenn die Kirche daher Chancen hat, dann nur als Bruderkirche, die aus Impulsen heraus operiert, für deren Wirkung es keine Demarkationslinien gibt; vor allem aus dem Impuls der Liebe, die keiner anderen Weltanschauung eingeboren ist,, es sei denn, man verwechselt eine unverbindliche, geradezu kommerzialisierbare Sozialperfektion mit Liebe.

Das Modell: der Mensch

Die christliche Kultur hat heute trotz der bei uns unheilvoll nachwirkenden Barockisierung des christlichen Lebens eine beachtliche Wirklichkeitsnähe der Forderungen. Die liberalen Orthodoxien, welcher Herkunft immer, gehen von einem Menschenbild aus, das nicht so sehr den Tatsachen als literarischen Vorstellungen, wenn nicht persönlichen Interessen entspricht! Christliche Kultur, fair vollzogen, 1st dagegen nicht Ideologie, keine falsche Deutung von Wirklichkeiten, um mit ihnen selbstsüchtig zu manipulieren, sondern hat einen unmittelbaren Wirklichkeitsbezug — wenn sie modern ausgelegt wird. Christliche Kultur wendet sich zugleich an das Gewissen und an die praktische Vernunft. Ob die christliche Kultur in ihren traditionellen Räumen erhalten oder ob sie sich in einer mehr als zu anderen Zeiten profanierten Welt noch ausbreiten kann, wird nicht allein von jenen bestimmt, an welche die Kirche sich mit ihrem Anbot wendet, auch nicht vorn Atheismus, der oft zur Verdeckung pastoralen Unvermögens herhaltėn muß. Ein Gutteil der Erfolge hängt davon ab, ob die Kirche sich in allen Gliederungen den vorgegebenen Bedingungen anpaßt, in deren Bereich sich Kultur sowohl personifizieren wie objektivieren kann. Keineswegs findet die Apathie, mit der manche Christen sich der Welt stellen, eine Deckung in den Äußerungen des päpstlichen Lehramtes, etwa dann, wenn die Seelsorge von „nichtssagenden Aphorismen“ (Paul VI.) ausgeht.

Der Bestand und die Ausbreitung christlicher Kultur werden aber ganz besonders — wie immer — davon abhängen, ob die Menschen, die sich der Welt als Christen vorstellen, jenes Beispiel geben, das stets das verhaltensbestimmende Modell für den Kulturvollzug der Gesellschaft gewesen ist.

Die obigen ‘Ausführungen sind eine Zusammenfassung der Gedanken eines Vortrages, den der Autor im Rahmen des Kongresses des „Internationalen Komitees zur Verteidigung christlicher Kultur“ in Wien gehalten hatte.

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