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Vom Nachzügler zum Vorreiter des Dialoges

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In allen Religionen und Konfessionen ging das Interesse für Begegnungen mit Andersgläubigen von der Basis und nicht von der „Amtskirche” aus.

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In allen Religionen und Konfessionen ging das Interesse für Begegnungen mit Andersgläubigen von der Basis und nicht von der „Amtskirche” aus.

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Religionen unterwegs”, der Titel der Zeitschrift der Kontaktstelle für Weltreligionen in Österreich, ist provoka-tiv und Soch nur indika-tiv für ein Programm, das die Kirche in ihrem konziliaren Prozeß weit über den Rahmen des Vorhergesehenen hinausgetragen hat. Was ist nun geschehen, daß diese ecclesia, Konstante und feststehende Achse des sich wandelnden Weltgeschehens, nun selbst aus den Angeln gehoben scheint - welche Umwertung aller Werte findet hier statt? Stat crux dum volitur orbis - oder auch Du, Kirche, in Bewegung?

Zunächst fragt sich natürlich das Konzil, ob ein derartiges etabliertes Kirchenverständnis, das die letzten Jahrhunderte aus einer anachronistischen Beschwörung des europäischen Mittelalters gebildet haben, ursprünglich und geschichtsbeständig ist. Denn der Prozeß der Verkündigung des Evangeliums Jesu Christi in die Kulturen der umliegenden Völker, vor allem aber in die hellenistische Geisteswelt, hat eine geradezu ungeheuerliche Dynamik entfaltet. Daß diese dann sozusagen eingeglast wurde, daß nicht nur viele wesentliche religiöse Einflüsse (vor allem aus Judentum und Islam) ausgeschaltet, sondern auch spezifische, konsequente Weiterentwicklungen in ihrem Kursus gebannt wurden, ist besonders deshalb tragisch, weil dieses eingeschränkte Kirchenbild expandierte, kurz: exportiert, propagiert und implantiert wurde. Selbstverständlich mußte dies reziprok auf andere Weltreligionen wirken: Vom Christentum aus ihrem integralen Kulturbefinden herausgehoben, wurden sie einem kolonialen Weltwertesystem gegenübergestellt beziehungsweise unterworfen. Voraussetzung dafür war der beachtliche europäische Ent-deckungs- und Forschungstrieb, der sie das erste Mal von einem westlichchristlichen Selbstverständnis aus definierte und strukturierte.

Durch den Zusammenbruch des globalen Kolonialismus erwuchs eine sehr neue Situation: Es entstanden nicht nur nationale Einheiten, sondern auch kulturelle und politische Identifikationen ohne genügenden Fundus, mit einem Nachgeschmack der Befremdlichkeit und oft mit Formen der Unzugänglichkeit. Das betraf auch die weltweite Missionskirche. Im „christlichen Abendland”, durch Konfessionsfronten zerrissen, durch aufgeklärte Ideologien in Auflösung begriffen, durch zwei Weltkriege bis ins Innerste getroffen, durch totalitäre atheistische Systeme in Blöcke gespalten, wurde die Illusion einer katholischen Kompaktkirche unhaltbar.

Es wäre sicher verfehlt zu meinen, daß dieses plakative Bild einer Kirchenentwicklung nicht auch, und zwar ganz wesentlich, durch geisterfüllte Gläubige unterlaufen beziehungsweise überholt wurde. Man denke, und zwar mit den realen Fakten, an Gestalten von Franz von Assisi bis Charles de Foucault, freilich fast im Alleingang bis zur Isolation. Hier geschah Jahrhunderte hindurch aufrichtige und offene Auseinandersetzung mit Partnerreligionen und Zeitphänomenen, wie sie im stillen auch ansteckend für die Verhältnisse zu anderen Religionen werden konnten. Interessant ist, daß sie bislang „amtskirchlich” eigentlich wenig getragen und nur zögerlich gedeckt waren -man denke an die Schicksale der China- und Indienpioniere von Matheo Ricci bis Vincent Lebbe und von Robert de Nobili bis Jules Monchanin. Das gilt auch für das Verhältnis zum Islam von Ramon Lul bis Louis Mas-signon. Sie alle kamen von der Basis und blieben ihr verbunden. Ihr unterschwelliger Einfluß blieb aber doch für die eigentliche und künftige Entwicklung der Kirche entscheidend.

Das 2. Vatikanische Konzil hat nicht nur symptomatisch, sondern vielmehr mit einer radikalen Diagnose einen Reformweg eingeschlagen und sich seiner eigentlichen Grundlagen und Kräfte besonnen. Der Kirche Dasein in dieser Welt sollte aufs neue fruchtbare Diaspora, ihr Wirken partnerlicher Dialog werden, so wie es der Geist des Evangeliums anlegt. In diesem Sinn ergreift sie Initiativen und zieht nicht einfach zwangsläufigen Gegebenheiten nach, kurz, entfernt sich von Restauration und Perpetuierung (also von allem, was das Präfix „neo-” mit sich führt).

Nicht unerwähnt darf in diesem Zusammenhang mit diesen Gestalten die von den Missionen her aufgebrachte ökumenische Bewegung bleiben. Sie ist für eine Begegnung mit nichtchristlichen Beligionen unverzichtbar geworden, ihre Charismen werden gerade dabei fruchtbar: Es geht im interkonfessionellen Verhältnis nicht mehr nur um Kompromisse und Toleranz, sondern um Initiativen und konzertierte Aktionen. Das Konzil hat dann im Aufgreifen und Hochhalten der Zeichen der Zeit eine Leistung vollbracht, die ohne die treibende Kraft des Geistes nicht denkbar ist und durchhaltbar bleibt.

Es steht, bei aller Unerfahrenheit und Ungeschicklichkeit der Kir-che(n) auf diesen neuen Wegen, zu viel am Spiel: das Gelingen der Ökumene, die Öffnung zu einer pluralen Welt, die Begegnung mit den großen Weltreligionen - und die vielfachen Dienste, die erst aus dieser Offensive an der Menschheit von heute zu leisten sind. Hier ist sicher das Beispiel der letzten Päpste zu erwähnen, indem sie hochgemut Zeichen setzen, die wohl zu hinterfragen, aber im Grunde nicht zu hintergehen sind.

Sind die Religionen nun selbst in Bewegung gekommen, sind sie unterwegs zueinander und zur Welt von heute? Es gibt vieles, was Hoffnung schenkt und mitgetragen beziehungsweise weitergedacht werden muß: Man denke an 100 Jahre Weltparlament der Religionen, 25 Jahre Weltkonferenz der Religionen für den Frieden: So etwas ist neu und quereinsteigerisch! Dennoch haben die Kirchen sich darin sehr exponiert engagiert. Man denke etwa an jüdisch-christliche, islamisch-christliche Gesprächsforen, Bildungsinstitutionen, theologische Projekte. Hier wird auch eine durchaus nicht zentralistisch gelenkte, sondern subsidiär wirkende „Amtskirche” neuen Stils spürbar. Der päpstliche Rat für den Dialog mit den nichtchristlichen Religionen in Rom, die Kontaktstelle für Weltreligionen der Österreichischen Bischofskonferenz und eine Reihe anderer christlicher „Kirchenunternehmen” in fast allen Kontinenten und Ländern der Welt geben davon beredtes Zeugnis. Nicht zu vergessen ausgezeichnete Publikationen, die einen weiten Kreis Dialogwilliger aus allen Religionen erreichen.

Daß ein solcher Aufbruch der Religionen natürlich panischen Schrecken bedingen mag, zu Verhärtungen und Angriffen führt, ist beinahe unausbleiblich, läßt aber ganz neue interreligiöse Solidaritäten, fast Allianzen gelingen. Es ist auch ein Politikum geworden, sich mit einer neuen Rolle der Religionen in der Gesellschaft und im Staat zu befassen. Die Vereinten Nationen suchen eindeutig nach Trägern von positiver Motivation und Moral, die einzelnen Staaten bemühen sich, die in ihrem Raum befindlichen Religionen zu Helfern für ein friedliches und gerechtes Zusammenleben zu gewinnen. Der distanzierte säkulare Staat wurde sich durchaus bewußt, wie sehr es auf seinen Umgang mit Religionen ankommt, und wie sehr er in all seinem Tun auf sie zu sehen und zu hören hat.

Man darf das Öffentlichkeitsinteresse an diesen umbruchartigen Entwicklungen nicht unterschätzen. Es ist dankbar zu beobachten, wie sehr interreligiöse Ereignisse, etwa das Gebetstreffen in Assisi, theologische Kongresse, Gespräche und so weiter medial begleitet werden. Dennoch wäre es verfehlt, sich auf oberflächliche Eindrücke zu verlassen, seien sie nun negativ oder positiv aufgenommen und verwertet. Religiöse Entwicklungen, gerade auch aufeinander zu und miteinander, brauchen vor allem echte Unterscheidung der Geister, echte Spiritualität und entsprechende theologische Kompetenz. Sonst wird leicht mit Religionen und Religiosität Mißbrauch getrieben, sei es nun zu politischen, kommerziellen oder auch esoterischen, kurz zu eigennützigen Zwecken.

Der Dienst des Heiligen und Heiles, das Leben in Heiligkeit ist und bleibt nach Auskunft aller großen Religionen ein Geheimnis Gottes und der Menschen, das seine Würde in sich selbst birgt und nur so weltwandelnde Kraft entfaltet.

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