Auch Religionen müssen europareif werden

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Eine Initiative der "Weltkonferenz der Religionen für den Frieden" will helfen, dem vielbeschworenen Ruf nach einer "Seele Europas" zur Geltung zu verhelfen.

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Eine Initiative der "Weltkonferenz der Religionen für den Frieden" will helfen, dem vielbeschworenen Ruf nach einer "Seele Europas" zur Geltung zu verhelfen.

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Religiöse und interreligiöse Programme und Themen haben zur Zeit weltweit eine gewisse Konjunktur - ob sie Auftakt oder Abgesang ist, wird die Zukunft weisen. Medialer Präsentation kommt dabei nicht die entscheidende Rolle zu: Das Wesentliche läuft vielmehr auf Ebenen, die nicht ohne weiteres vermarktbar sind.

Aus dieser Einsicht heraus sind in bezug auf ein neues Europa Initiativen gefragt, die Relevanz für alle Bereiche menschlichen Lebens, also auch für die sozialpolitische Ebene haben. In diesem Sinn fanden sich vor einigen Wochen Vertreter jener großen Religionsgemeinschaften, die das Bild dieses Kontinents besonders geprägt haben, in Wien zu einem Symposion "Religionen für ein neues Europa" zusammen. Die "Weltkonferenz der Religionen für den Frieden", die europaweit ein hinlänglich gut organisiertes Netz bietet, empfiehlt sich dafür in Hinkunft als Mitveranstalterin, und es besteht die Absicht, auch für den Fortgang dieser Initiative Sorge zu tragen.

Dialog der abrahamitischen Religionen ist vorrangig Damit soll den christlichen Kirchen die Hauptverantwortung für die religiöse Komponente der Neugestaltung dieses Kontinents durchaus nicht abgenommen werden, auf diese Weise aber erhält der von ihnen so nachdrücklich geforderte und teilweise auch geführte Dialog mit den übrigen, in diesem Fall vor allem abrahamitischen, Religionen seine eigentliche Bedeutung. Dies kam auch in der Beteiligung und Gestaltung des genannten Symposions zur Geltung - abgesehen davon, daß das europaweite Echo zeigt, wieviel man sich von den Religionen allseits an Orientierung und Motivation erwartet.

Das Kulturprogramm der Veranstaltung präsentierte Schlaglichter aus den großartigen Leistungen der Religionen auf dem Gebiet der Musik, der bildenden bzw. darstellenden Kunst und der Literatur. (Man denke sich diese Elemente aus einem künftigen Europa weg oder verfrachtete sie einfach in museale Zonen!)

Rabbiner Albert Friedlander aus England hielt das Eingangsreferat, Diözesanbischof Egon Kapellari gestaltete den Mittelteil, Muhamad Ali El-Mahgary vertrat den in letzter Minute verhinderten Präsidenten Nadeem Elyas für den Zentralrat der Muslime in Deutschland. Auch die österreichische Regierung bekundete ihr Interesse an der Veranstaltung - nicht zuletzt durch die Zur-Verfügung-Stellung der Räumlichkeiten in der Diplomatischen Akademie: Diesen "Typ" von Veranstaltung soll es auch in Zukunft geben, wobei - als Pendant zum "politischen" Europa - Religionsvertreter aus den Ländern der EU-Troika (also aus dem Land der vorhergehenden, gegenwärtigen und nachfolgenden EU-Präsidentschaft) zusammenkommen.

Am gemeinsamen Haus Europaist noch viel zu bauen Die Architektur des Oberbaus einer europäischen Gemeinschaft mit dynamischem Wachstum ist weit gediehen und - das ist ja der ursprüngliche Anlaß eines unabdingbar gegenseitigen Unternehmens - ein irreversibler Bestandteil der kontinentalen Verfaßtheit. An diesem Überbau wird noch vieles an Verstrebung und Vernetzung auszubauen sein, er wird noch erweitert werden müssen, um dem ganzen Europa unter einem Dach Herberge und Heimat bieten zu können.

Robert Schuman, einer der wichtigsten Baumeister dieses Friedensgefüges im bisher so schrecklich zerstrittenen Kontinent, betonte jedoch immer wieder, wie sehr dieser der Basis bedarf, um echten und dauerhaften Bestand zu haben.

Wer die "Stürme und Fluten" (Mt 7,24ff) menschlicher und gerade auch politischer Leidenschaften kennt, wer gerade in Europa an deren Verschärfung die Drohung, an deren Deutung die Verheißung des Evangeliums feststellt, der weiß, daß die letzten Tiefen menschlicher Existenz im Geheimnis religiösen Glaubens begründet sind, und nur von dort her bewältigbar bleiben. Dies betrifft sowohl deren unheilsgeschichtliche, als auch heilsgeschichtliche Dramatik.

Risse im Haus Europa bleiben trotz aller gegenseitigen Versicherungen eine Gegebenheit. Instinktiv ruft man nun nach jenen letzten Fundamenten, die kaum zu fassen und sicherlich nicht ohne weiteres einsetzbar sind, jedoch auch Geborgenheit bieten können, Grundlagen der Menschenwürde und -rechte, der Hilfe und Heilung, für die Religionen stehen.

Es geht um eine"Europareife" der Religionen Die "Weltkonferenz der Religionen für den Frieden" sucht auch dafür zu sorgen, daß unter religiösem Vorwand nicht Ungeister losgelassen werden, deren man dann nicht mehr Herr wird. Sie hat sich klar dazu bekannt, daß nur die verfaßten großen Weltreligionen verläßliche Kriterien einer vertrauenswürdigen Partnerschaft liefern können - und das in einer bisher noch nie so dagewesenen Gemeinsamkeit, die freilich ihrer weiteren Verwurzelung und Reifung bedarf. Wer die Unübersichtlichkeit und Mißbräuchlichkeit der gegenwärtigen neo-religiösen Wellen und Strömungen kennt, der weiß diese Klausel zu schätzen!

Viele Staaten haben inzwischen die Anerkennungsfrage für Religionen und eine deutliche Absage an destruktive Pseudokulte aufgegriffen. Es gibt durchaus Kriterien, sie zu lösen: Nicht zuletzt jene, die eine gewisse tragfähige Ökumene zwischen den Religionen und Verträglichkeit untereinander ausweist. Eben das versucht die "Weltkonferenz der Religionen für den Frieden" zu praktizieren - bei all dem, was immer wieder weiterer Klärungen bedarf (vgl. Furche 17/98, Seite 9). Im Gegenzug ist auch das Bemühen um einen Platz in den Verfassungen moderner Rechtsstaatlichkeit seitens der Religionen festzustellen: es geht also um eine "Europareife" der Religionen.

Auch hier lernen die Religionen - für sich und miteinander -, den Menschen in einer Gesellschaft von heute zu dienen, und werden so in den Herkunfts- und Schwerpunktländern der meisten Weltreligionen als gleichsam künftige Zielvorstellungen ihre Rolle zu spielen haben. Es dürfte sich also, dem dringenden Gebot der Stunde entsprechend, jene Basis zusammenfügen, auf der das Haus Europa stehen kann.

Instrumentarien für die Vermittlung ethischer Werte sind nötig Was jedoch aussteht, ist jener "Mittelbau" der Beziehungen, der die spezifischen Fragestellungen von heute mit entsprechenden Vorgaben versieht. Hier haben die Religionen zweifellos noch gewaltige Arbeit zu leisten. Es müssen, um der hochdifferenzierten Lage der Ökologie, Ökonomie, Technik und Biowissenschaften sowie des gesamten Ausbildungssystems, weiterhin der ausufernden Szene der Medien in jeder Sparte, über allem noch dem sozio-politischen Gefüge genügen zu können, die begrifflichen Instrumentarien entwickelt werden, durch die die ethischen Werte und der vom Glauben getragene letzte Hintergrund des Lebens vermittelt werden können.

Wieviel hier noch ausständig ist, beweisen die christlichen Kirchen politischen und öffentlichen Instanzen gegenüber, deren Entwicklungsgeschichte und Problemstand sie ja mitbedingt oder wenigstens begleitet haben, denen gegenüber sie sich jedoch weitgehend im Rückstandbefinden.

Hier steht man - zumal in neuer interreligiöser Besetzung - an Anfangsstadien, die mit Umsicht und Geduld, aber auch mit aller Entschiedenheit aufgegriffen und behandelt werden müssen. Auch hier: die Notwendigkeit von Lernprozessen, die sich nicht hinter so manche klagende Selbstbezichtigungen über Vergangenes, wie sie heute als Alibikontrast zu einer Flucht nach vorne vielfach angeboten werden, verkriechen darf! Es ist vielmehr vor dieser Aufgabe ganz schlicht die bleibende Fehlerhaftigkeit religiöser Institutionen und Initiativen einzuberechnen. Dabei dürfen die Gebote der Stunde nicht hinter den Altlasten der Vergangenheit verschwinden.

Religionen in Europaals Lerngemeinschaft Ein erster Schritt dazu war das zitierte Symposion (siehe auch die nebenstehend dokumentierte Resolution). Die Religionen müssen sich als Lerngemeinschaften mit Konsequenz und Kontinuität aufeinander und auf ihre Aufgaben in der Zukunft einstellen, es muß aber auch endlich die Öffentlichkeit bereit sein, auf die Ergebnisse dieser Prozesse mit aller verantwortlichen Aufmerksamkeit und Beteiligung einzugehen.

Der Autor leitet die Kontaktstelle für Weltreligionen der Österr. Bischofskonferenz und der Österreichsektion der "Weltkonferenz der Religionen für den Frieden".

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