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Absage an religiöse Monopolansprüche

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FURCHE: In einem Artikel haben Sie kürzlich für einen „gemeinsamen Markt der Religionen in Europa" plädiert. Gibt es bereits Anzeichen für eine Verwirklichung dieses Modells?

OTTO KALLSCHEUER: Der religiöse Markt ist noch lange kein freier Markt, wie ihn der geistige Austausch in einem einheitlichen und freiheitlichen Europa erfordern würde. Die Bezugnahme auf den gemeinsamen Religionsgründer Jesus Christus spaltet Europa an der Grenze zwischen Orthodoxie und Katholizismus derzeit mehr als er es vereint. In O steuro-pa versuchen die Nationalkirchen in ihrem jeweiligen nationalen Staat eine Art religiöses Monopol zu errichten, und in Westeuropa führt ein gewisser Alleinvertretungsanspruch der katholischen Kirche zu der bekannten Forderung, Europa in Ost und West neu zu evangelisieren. Dahinter steht auch eine Vorstellung des Verhältnisses von Politik und Religion, die nicht pluralistisch im Sinne einer freien Konkurrenz ist. Das kann man schon daran sehen, daß es auf dem religiösen Markt unfaire Wettbewerbsvorteile gibt: Manche Kirchen werden via Kirchensteuer staatlich unterstützt, und andere Religionsgemeinschaften, etwa die Moslems in Deutschland, haben noch nicht einmal den Status von öffentlich-gemeinnützigen Gruppen.

FURCHE: „Freier Markt" hieße Gleichberechtigung aller Marktteilnehmer. Gerade aber vor einem radikalen fundamentalistischen Islam etwa wächst derzeit die Angst.

KALLSCHEUER: Die einzige Alternative zum islamischen Fundamentalismus besteht darin, die Nachfolger des Propheten als gleichberechtigte Religionsgemeinschaft zu akzeptieren. Der Islam wird nur dann eine Trennung von politischer Ordnung und religiöser Verpflichtung anerkennen können, wenn er sich in einem Lernprozeß an die pluralistische Gesellschaft gewöhnen kann. Je weniger Bürgerrechte Moslems haben, desto mehr werden sie dazu tendieren, ihre Identität im religiösen Bereich und zu politischen Programmen zu machen.

FURCHE: Wie leiten Sie die Forderung nach dem „gemeinsamen Markt" geschichtlich ab?

KALLSCHEUER: Bis zum Fall des

Eisernen Vorhangs wurde unter Europa Westeuropa verstanden, in gewisser Weise das Erbe des karolingischen Reiches; das oströmische Kaiserreich und das oströmische Christentum waren rausdefiniert, erst recht die Türken. Europa als westlich-christliche Zivilisation. Die Gründer des Europa-Gedankens waren rheinische oder italienische Katholiken: Adenauer, De Gasperi, Schuman. Sie verstanden sich nicht primär als Vertreter der deutschen oder italienischen Nation, sondern der abendländischen Zivilisation. Das ist nun ein Gedanke, den man nicht einfach ad acta legen sollte, weil die Bezugnahme auf gemeinsame zivilisatorische Werte eine Alternative zum Konflikt nationaler Egoismen sein kann. Man muß ihn nur, wenn er anschlußfähig sein soll, über den rein westeuropäischen oder weströmischen Tellerrand hinaus ausdehnen. Dann allerdings wird die Sache sehr viel schwieriger. Es ist nicht möglich, die kulturelle Öffnung gegenüber Osteuropa einfach als Anbau von einigen orthodoxen Kapellen an das Seitenschiff des katholischen Doms zu begreifen. Mit einigen mitteleuropäischen Ländern, vor allem Polen, ginge das vielleicht noch, mit den westlichen Ländern der ehemaligen Sowjetunion aber schon nicht mehr.

FURCHE: Ost und West kämpfen da mit ähnlichen Schwierigkeiten.

KALLSCHEUER: Die eingesessenen Kirchen schaffen es weder in West-, noch in Osteuropa zu akzeptieren, daß der Bereich der religiösen Überzeugungen nicht zur staatlichnormativen Ordnung werden darf. Europa wird vielfältiger werden, und zwar im Westen wie im Osten. Im Westen haben wir schon etwas länger Erfahrung damit: Wir haben schon sehr lange Türken, Araber, Inder, Japaner. .. bei uns - und innerhalb der Eingeborenen Westeuropas kommt es zu immer mehr konfessionellen Streitereien, den militanten Atheismus als „Konfession" eingeschlossen; und die ,.Privatreligionen" nehmen ständig zu. Die Vorstellung, daß es eine religiöspolitisch-kulturell normative, weitgehend einheitliche Ordnung geben kann, ist eine vormoderne, aber auch vorpluralistische Vorstellung. Die Chance, zu einheitlichen Spielregeln zu kommen, ist umso größer, je akzeptierter der Pluralismus der Religionen und Kulturen ist. Darauf sind unter anderem die römischen Kirchen in keiner Weise vorbereitet.

FURCHE: Das Zweite Va-tikanum hatte mit dem alten Missions-Verständnis gebrochen und zum ökumenischen Gespräch aufgerufen...

KALLSCHEUER: Leider kann man nicht sagen, daß die derzeitige Linie des katholischen Hauptquartiers eine brüchlose Anknüpfung an das II. Vatikanum wäre. Kardinal König hat sich zu Islam und Ostkirchen immer ausgesprochen pluralistisch geäußert. Wenn er Papst wäre, würde die Sache jetzt vermutlich anders laufen. Er würde wahrscheinlich auch nicht versuchen, kirchliche Moralvorstellungen mit staatlicher Sanktionsgewalt durchzusetzen, wie es in Polen derzeit geschieht.

FURCHE: In der jüngsten Ausgabe der Zeitschrift „Transit" verweisen Sie auf Amerika als ein Land, in dem der „freie Markt der Religionen" funktioniert.

KALLSCHEUER: Was das Zusammenleben der Religionen angeht, ist das amerikanische Modell bei all seinen Schwierigkeiten und auch Gefahren doch eine zukunftsweisende Perspektive für multireligiöse Einwanderungsgesellschaften. Der Freiheitsfortschritt der amerikanisch-calvini-stisch geprägten und später durch diverse Erweckungsbewegungen und Freikirchen weitergetragenen Form des Protestantismus hat zu einer Grundierung der Demokratie in der Gewissensfreiheit geführt. Sowohl die amerikanische Rechte als auch die amerikanische Linke sind protestantisch geprägt, allerdings nicht in europäischem staatskirchlichem Sinne, daß man aus Prinzipien der theologischen Verfaßt-heit der Welt eine institutionelle Ordnung ableitet. Zwischen öffentlicher Politik und privater Religiosität steht vielmehr das Gewissen des einzelnen. Die politische Religion der USA ist die Demokratie. Die Trennung von Kirche als frei finanzierter Gewissensgemeinschaft auf der einen und staatlicher Ordnung auf der anderen Seite - diesen Sprung hat die katholische Kirche noch nicht gemacht.

FURCHE: „Big brother" Amerika als Vorbild für Europa?

KALLSCHEUER: Ein freies Europa bedeutete „Vereinigte Staaten von Europa", wo die Vereinigung gleichwohl die Unterschiede nicht völlig auslöscht, sondern wo es möglich ist, daß jeder seine eigene Kultur lebt, ohne sie unbedingt staatlich durchsetzen zu müssen. Selbstverständlich hieße Pluralisierung mehr Verunsicherung, eine Orientierungskrise für das Gewissen, höhere Verantwortung des einzelnen. Der katholischen Kirche würde es gut tun, wenn sie sich auf dem freien Markt behaupten müßte, das Religionsleben würde interessanter. Die Kirche versucht ja derzeit mit den Mitteln der Postmoderne - TV, Popmusik... - eine alte Botschaft und Struktur von Heiligkeit neu zu beleben. Aber die Aura der Botschaft ist immer noch dieselbe: Es ist die eine Ordnung. Und wenn wir nur „eine" Ordnung haben, und jeder sagt, wir sind die „Einen", dann wird zwischen Ost- und Westrom irgendwann der Krieg wieder einmal ausbrechen. Dr. Otto Kallscheuer, geb. 1950, Philosoph und Politologe aus Berlin, ist derzeit Visiting Fellow am Institut für die Wissenschaft vom Menschen (FWM) in Wien. Das Gespräch führte Elisabeth Ohnemus.

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