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Bibel und Koran

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FURCHE: Herr Mildenberger, denken Sie, daß Christen und Muslime überhaupt über die Belange ihres eigenen Glaubens genügend informiert sind?

OBERKIRCHENRAT MICHAEL MILDENBERGER: Gerade durch den Dialog stellen wir fest, daß viele Christen und Muslime Schwierigkeiten haben, ihren eigenen Glauben auszudrücken und in den Zusammenhang eines geschichtlichen oder theologischen Systems zu bringen. Besonders die Gespräche zwischen beiden Religionen können dazu beitragen, daß man sich klarer Rechenschaft über den eigenen Glauben gibt. Hier liegt eine große Erziehungsaufgabe für die Kirchen, daß sie ihre Mitglieder zum Gespräch mit dem Islam befähigen.

FURCHE: Im Westen gebrauchen wir für Anhänger des Islam oft noch die Bezeichnung Mohammedaner. Wie empfinden die Muslime diese Namensgebung?

MILDENBERGER: Sie mögen diese Bezeichnung nicht und empfinden sie als unkorrekt. Es ist ein Mißverständnis, wenn man meint, so wie die Christen Anhänger von Jesus Christus seien, so seien die Muslime Anhänger Mohammeds. Dagegen wehren sie sich, weil sie nicht an Mohammed glauben, der für sie ein Mensch wie andere ist. Sie glauben nur an Gott und sein geoffenbartes Wort.

FURCHE: Für den Islam ist der Koran die endgültige, vollständige Offenbarung. Welche Stellung nimmt Jesus in dieser Sicht ein?

MILDENBERGER: Der Islam kennt nicht nur Mohammed und den Koran als Offenbarungsschriften Gottes, sie stehen in einer langen Reihe von Propheten und Offenbarungsschriften des einen, ewig gleichbleibenden Gottes. In der Reihe der Propheten nimmt Jesus eine sehr hohe Stellung ein. Er ist nach Mohammed der wichtigste und verehrteste Prophet. Gleichzeitig sagt der Koran, daß mit Mohammed eine letzte und abschließende Offenbarung gekommen ist, an der alle vorherigen und eben auch Jesus Christus bemessen und kritisiert werdenmüssen. Den Christen wirft der Islam vor, daß sie im Laufe der Zeit das Evangelium verfälscht haben.

FURCHE: Versteht sich der Islam also als Weiterführung und Überbietung des Neuen Testaments?

MILDENBERGER: Er sieht sich zweifellos als Abschluß und Korrektur der vorhergehenden Offenbarungsreligionen.

FURCHE: Worin unterscheiden sich Islam und Christentum in der Einstellung zu politischer Macht, in Aussagen zu Krieg und Frieden?

MILDENBERGER: Der christliche Glaube hat den politischen Gegebenheiten dieser Welt gegenüber immer eine gewisse Kritik an den Tag gelegt. Das hängt damit zusammen, daß das Christentum von Anfang an unter dem Druck politischer Mächte gestanden ist. Dadurch und in Erwartung des baldigen Anbruchs der neuen Welt-Gottes hat der christliche Glaube ein gebrochenes Verhältnis zur Politik, zum Krieg und zur Ausgestaltung weltlicher Macht gehabt. Anders der Islam, der von seinem Ansatz her den Willen Gottes in dieser Welt verwirklichen wollte und glaubte, dazu von Gott gesandt und beauftragt zu sein. Daher kann in einer klaren Konsequenz der Bereich weltlicher Macht, staatlicher Gestaltung nicht ausgeschlossen werden.

FURCHE: Heute assoziiert man Islam sehr stark mit Fundamentalismus. Ist diese Einstellung im Islam grundsätzlich besonders stark?

MILDENBERGER: Die heutige islamische Welt befindet sich in £iner sehr zwiespältigen Situation. Nach einer langen Zeit der Entfremdung, der Ausbeutung durch die westliche Welt, zu der für die Muslime auch die christliche Mission zählt, ist der Islam mit dem Anspruch angetreten, nun eine Lebensperspektive zu entwickeln, in der die islamischen Völker wieder zu sich selber finden können.

Da diese Haltung in einem sehr starken Gegensatz zum Westen diskutiert wurde, ist daraus ein sehr massiver politischer Anspruch und eine Aggressivität gegenüber der westlichen Welt entwachsen. Dadurch war auch die Notwendigkeit gegeben, alle Lebensbereiche des einzelnen Menschen und der Gemeinschaft vom Islam her zu gestalten. Dieser totale Anspruch hat in einigen islamischen Staaten zu sehr extremen, totalitären, ideologisch überhöhten Formen geführt, die wir heute als Fundamentalismus bezeichnen.

Doch auch in der westlichen Welt - ich denke zum Beispiel an die USA - gibt es entsprechende Ansätze einer fundamentalistischen, extremen Haltung. Offenbar sind wir heute in einem Zeitalter, in dem in beiden religiösen Gemeinschaften Kräfte Zuwachs bekommen, die nicht bereit sind, in Toleranz neben der eigenen Gemeinschaft eine andere gelten zu lassen. Ich halte das für eine sehr problematische Entwicklung, der wir entgegenwirken sollten. Gerade die Bemühungen des Ökumenischen Rates der Kirchen um den Dialog mit Menschen anderer Religionen scheinen mir wichtig, daß Konflikte in diesem Bereich nicht weiter eskalieren.

FURCHE: Kann man sagen, der Islam sei gegen den Fortschritt und die Wissenschaften eingestellt?

MILDENBERGER: In der klassischen Zeit des Islam, in den ersten Jahrhunderten nach seiner Entstehung, war der Islam die führende, kulturelle, zivilisatorische und wissenschaftliche Kraft im Mittelmeerraum. Bis heute sind Muslime darauf stolz, daß diese ablehnenden Elemente gegenüber Wissenschaft und Fortschritt grundsätzlich fehlen. Daß der Islam in der neuzeitlichen Entwicklung der modernen Wissenschaften überhaupt keine Rolle gespielt hat, ist sicher auf geschichtliche Faktoren zurückzuführen.

FURCHE: Im Islam fehlt das Konzept einer Kirche, das Leben in .der islamischen Gemeinschaft bedeutet für den Muslim eigentlich in der Kirche leben. Wie kann man unter diesem Gesichtspunkt für die sechs Millionen Muslime im Westen befriedigende religiöse Gemeinschaften aufbauen?

MILDENBERGER: Sicher leiden die Muslime darunter, daß sie ihre gewohnte Lebensweise - die traditionellen Rollen der Familie, ihre religiöse Praxis- nur in einer bruchstückhaften Weise fortsetzen können. Viele Muslime ziehen daraus die Konsequenz, sich möglichst abzugrenzen, um ihre alte Identität zu bewahren. Bei anderen, besonders bei Kindern und Jugendlichen, führt der Anpassungsprozeß zu einer völligen Entfremdung von der eigenen religiösen Tradition.

Doch es gibt auch andere Muslime, die in den letzten Jahrzehnten, seit sie hier leben, sehr erfinderisch geworden sind. Sie haben Lebens-•und Gemeinschaftsformen entwickelt, die einerseits unseren rechtlichen und gesellschaftlichen Bedingungen entsprechen - zum Beispiel die Gründung von Vereinen -, in denen sie den Koranunterricht, das rituelle Freitagsgebet und andere religiöse Aktivitäten praktizieren können. Dabei spielt die Hilfestellung der Hodschas, der religiösen Führer, eine große Rolle.

FURCHE: Die großenWeltreligio-nen stehen ja nicht isoliert innerhalb einer Gesellschaft, sondern es ergeht an alle der kuf, gemeinsam die großen Herausforderungen unserer Zeit zu beantworten. Gibt es Ihrer Ansicht nach einen Ansatzpunkt für einen gemeinsamen Weg der Christen und der Muslime?

MILDENBERGER: Zunächst sollten wir versuchen, unseren muslimischen Nachbarn entgegenzukommen. Alle westlichen Länder, in denen heute größere islamische Minderheiten leben, haben diese Menschen selber ins Land geholt, als man Arbeitskräfte benötigte. Obwohl man in vielen Ländern Westeuropas der Meinung ist, es wäre besser, wenn keine oder weniger Ausländer da wären, dürfen wir uns jetzt nicht aus der Verantwortung für diese Menschen davonschleichen.

Wir sollten ihnen im Gegenteil auch rechtlich Rähmenbedingun-gen geben, die ihnen nicht die Lebensperspektiven verbauen. Wichtig ist ein gegenseitiges Respektieren, aus dem ein positives Zusammenleben erwachsen kann. Und ich bin sicher, daß dann in den beiden Religionsgemeinschaften die gemeinsame Verantwortung für die Umwelt, das gerechte Zusammenleben, den Frieden, die Menschenrechte auch zu einem gemeinsamen Einsatz führen kann. Diese Dinge sind ja in beiden Religionen als Gottes Wille, als sein Gebot verankert.

Das Gespräch mit Oberkirchenrat Michael Mildenberger, Mitarbeiter der Arbeitsgruppe „Dialog mit Menschen anderer Religionen” des Ökumenischen Rates der Kirchen in Genf, rührte Felizitas von Schönborn.

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