Religion - der Stachel im Fleisch

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Das Wissen, das die Religionen in die öffentlichen Kommunikationskanäle einspeisen, ist eigenwillig und gefährlich: Denn es relativiert alles Gegebene.

"Ein Gespenst geht um in Europa - das Gespenst der Religion.“ Peter Sloterdijk hat vor einigen Jahren der Angst vor dem Wiedergänger Religion Ausdruck gegeben. Gefährlich erscheinen Religionen in ihrer politischen Gegenwart mit fundamentalistischer Erregungskraft. Etwas Unkontrollierbares steht im Raum. Das zeigt sich an der Empfindlichkeit der Hochreligiösen. Wer Gott beleidigt, verletzt heiligste Gefühle. Zwischen Mohammed-Karikaturen und dem Titanic-Titel mit der Papst-Bekotung kocht der Zorn der Frommen hoch. Aber auch die Angst vor der Religion ist gefährlich: Die wachsende Furcht vor dem Islam bebt mitunter vor kaum verhohlener Gewalt.

Religionen wecken starke Gefühle, weil die Identität der Gläubigen an ihnen hängt. Man muss mit Unruhe rechnen, wenn sie auftreten. Das gilt vor allem aus einem Grund: Religionen speisen ein eigenes Wissen in die öffentlichen Kommunikationskanäle ein. Sie sprechen von Gott und geben Offenbarungsansprüchen einen gesellschaftlichen Raum. Dieses Wissen ist eigenwillig und gefährlich, weil es alles Gegebene relativiert. Wer den Willen Gottes einspielt, unterscheidet zwischen Letztem und Vorletztem und meldet Vorbehalte an, sobald es um Lebensfragen geht. Wie von Gott zu sprechen und wie in seinem Namen zu handeln sei, bringt das gefährliche Wissen von Religionen zutage.

Verwandt - und doch uneinig

Das gilt in besonderer Weise für die Offenbarungs- und Schriftreligionen Judentum, Christentum und Islam. Gerade in ihrer historischen Verwandtschaft zeigen sich die Unterschiede ihrer Gottesbestimmungen. Das schließt Interpretationsstreit ein und kann zu Religionskonflikten führen. Umgekehrt verfügen diese Religionen aber auch über Möglichkeiten, diese Risiken zu bearbeiten. Relativierungsbereitschaft, also sich von alternativen Gottesbestimmungen beeindrucken zu lassen und sie wertzuschätzen; Mehrdeutigkeiten auszuhalten; abweichende Gottesbestimmungen produktiv zu machen - diese Kompetenzen finden sich in Judentum, Christentum und Islam theologisch reflektiert wieder. Sie haben eine eigene Geschichte religiöser Toleranz ermöglicht. Einen Anhaltspunkt finden sie in theologischen Programmen, die eine kritische Selbstbeobachtung gestatten. Jede Theologie muss sich der Unverfügbarkeit Gottes aussetzen und ihr einen Ort geben. Die Arbeit am Gottesbegriff, die sich in den drei großen monotheistischen Religionen durchgesetzt hat, ist davon geprägt.

Religionen wissen um die Grenzen des Wissens. Wer seine eigenen Interessen im Namen Gottes durchsetzt, muss deshalb mit religiösem Einspruch rechnen, sich zumindest auf jenen Prüfstand stellen, den die heiligen Schriften der Offenbarungsreligionen bilden. Der einfache Zugriff auf sie, die gesuchte Auswahl von Zitaten und ihre wortwörtliche Auslegung, unterschätzt von Anfang an, wie komplex diese Texte entstanden und gebaut sind. Die historisch-kritischen Ressourcen des religiösen Wissens sind freilich ihrerseits nicht konfliktfrei zugänglich. Für die katholische Kirche hat erst das II. Vatikanum die Wege frei gemacht. Dieses Konzil speichert selbst ein gefährliches Moment kirchlichen Wissens. Es legt die katholische Kirche darauf fest, sich im Raum von markanten Differenzen zu bestimmen: in Auseinandersetzung mit den anderen Kirchen und den fremden Religionen, im Kontakt zur modernen Lebenswelt und in der Wahrnehmung ihrer Herausforderungen.

Einen entscheidenden Schritt auf diesem Weg stellte die Anerkennung der Religionsfreiheit im säkularen Staat dar, und das Ringen mit der schismatischen Pius-Bruderschaft zeigt, welche Gefahren katholische Fundamentalisten wittern, sobald man die Welt nicht exklusiv aus kirchlicher Innensicht bestimmt. Zumal der Blick in die eigene Geschichte deckt auf, dass sich die Kirche in einem Plural unterschiedlicher christlicher Stile entwickelt hat. Manches war möglich, was heute weit entfernt scheint. Frauen als Vorsteherinnen von Hausgemeinden, in denen das Herrenmahl gefeiert wurde? Frauen in kirchlichen Leitungsfunktionen? Die Antworten, die man von der neutestamentlichen Exegese wie der Kirchengeschichte erhalten kann, stellen ein gefährliches Wissen der Kirche bereit - und bilden einen Stachel im Fleisch der Selbstverständlichkeiten.

Auch den Koran als Diskurs sehen?

In den vergangenen Jahren hat die Arabistin Angelika Neuwirth für den Islam eindrucksvoll zeigen können, dass der Koran als ein Diskurs zu verstehen ist. Er reagiert auf spätantike Herausforderungen der Philosophie, aber auch des Judentums wie des Christentums, und verwickelt in ein Gespräch. Ein entschiedener Monotheismus ist die Antwort des Korans auf den christlichen Glauben an Jesus von Nazaret als den Sohn Gottes. Sie steht im Zeichen der uneingeschränkten Souveränität Gottes. Dieses Bekenntnis trägt einen Widerspruch zwischen Muslimen und Christen aus, der auch im 21. Jahrhundert von Gewalt imprägniert bleibt. Aber dieses Bekenntnis schiebt auch jeder vorschnellen Gottesanwendung einen theologischen Riegel vor, weil es zwischen Gott und dem Bild von Gott, also jeder Gottesanwendung unterscheidet.

Das Wissen um Gottes Transzendenz offenbart noch einmal das eigentümliche religiöse Gefahrenmoment. Wer von Gott spricht, arbeitet mit Grenzüberschreitungen. Er gibt dem Unverfügbaren gesellschaftlichen Raum, indem er markiert, dass das, was der Fall ist, noch nicht alles gewesen sein muss. Religionen schaffen Platz für Hoffnungen, die auf Gottes schöpferische Macht setzen, sich aber auch einer letzten Verantwortung stellen. Das muss nicht gespenstisch sein, sondern kann abklärend wirken.

* Der Autor, Fundamentaltheologe an der Universität Salzburg, ist Obmann der Salzburger Hochschulwochen

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