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Alle Grenzen sprengend

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Der sogenannte Absolutheitsanspruch des Christentums wurde seit der Zeit der Aufklärung mehrfach unter Beschuß genommen, die Universalität des Christentums in Zweifel gezogen:

1. Durch das rationalistische Prinzip: alle Religionen sind im Grunde gleich, sie sind Äste einer gemeinsamen Wurzel, das heißt des Glaubens an ein höheres Wesen. Und das ist ein allgemein menschliches Erbe. In diesem Sinn könne das Christentum all-

gemein oder katholisch genannt werden. Denn der Monotheismus sei eine späte Entwicklung. Offenbarung und Missionsauftrag haben politische und zeitbedingte Gründe des Entstehens.

2. Die vergleichende Religionsgeschichte der Neuzeit sieht im Christentum eine der Stifterreligionen, gestiftet von unten und nicht von oben.

3. Nach dem abendländischen Schisma (1378) war es die Reformation des 16. Jahrhunderts mit ihrer tiefgreifenden politischen, gesellschaftlichen und geistigen Auswirkung: Das ursprüngliche Ziel der Reformation, die katholische Kirche an Haupt und Gliedern zu erneuern, führte zur Bildung der evangelischen Konfession und später vieler Konfessionen. Mit der Glaubensspaltung und der dadurch verlorengegangenen Einheit des Christentums schien offenbar auch der Universalitätsanspruch rdes Christentums unglaubwürdig geworden zu sein.

4. Mit dem Stichwort Feuerbach, Nietzsche — Umwertung aller Werte (Untergang des Abendlandes im Nihilismus) wird jene geistige Strömung angedeutet, die heute als Atheismus, noch mehr als religiöse Indifferenz unserer Zeit dem Absolutheitsanspruch den Rücken kehrt, ihn als unglaubwürdig ablehnt. Die Universalität des Christentums findet seine Barriere im menschlichen Herzen und schafft das moderne europäische Missionsgebiet.

5. Die neuen Wissenschaften der Ethnologie, der Urgeschichte, die Entdeckung der Religionen der Naturvölker, die moderne Geschichte mit dem Blick auf die Tiefe und Breite der Menschheitsgeschichte und ihrer Kultur werfen eine alte Frage neu auf: Was ist es mit dem Universalitätsanspruch der Botschaft Christi gegenüber den vielen Jahrtausenden vor Christus? Damit verschärft sich die Frage nach dem Heil aller Menschen, einer nach Raum- und Zeitdimension so sehr ausgeweiteten Welt. Sich dieser vielschichtigen Provokation zu stellen, gehört heute zu den Aufgaben der religiösen christlichen Erneuerung.

Einen vielbeachteten Versuch, diese Herausforderung theologisch aufzuarbeiten, hat Karl Rahner unternommen. Er geht von der Annahme aus, daß der gerechte und gütige Gott, an den der Christ glaubt, für alle Menschen die Möglichkeit bereithält, das ewige Heil zu erlangen. Im Innersten des Menschen werde der allgemeine Heilswille Gottes wirksam, der ja niemanden ausschließt. Rahner bezeichnet dieses reale, dem Menschen eingesenkte Angebot der Gnade Gottes „übernatürliches Existential“.

Damit meint er ein Zweifaches: 1. Es handelt sich um eine mit der

Existenz des Menschen gegebene Bestimmung seines Wesens und Lebens. 2. Diese Bestimmung ziele, über die natürlichen Möglichkeiten des Menschen hinaus, auf die Anteilnahme am Leben Gottes selber. Dieses Angebot ist in uns am Werk; auf dem Grund unserer persönlichen Erfahrung auch in jenen Menschen, die nicht ausdrücklich darum wissen. Mit der ersten Lebensentscheidung des Menschen — etwa am Kreuzungsweg von Gut und Böse — wird das Angebot Gottes angenommen oder abgewiesen.

Und wer es, ohne um Jesus Christus zu wissen, annimmt, der ist ein „anonymer Christ“, denn er hat sich für das christliche Leben entschieden, insofern dessen Bestimmung Gemeinschaft mit Gott ist, der sich in Jesus Christus ein für allemal und unüberbietbar mit dem Menschen verbunden hat. Und darin besteht das Heil jetzt und für immer. Weil das Heilsangebot Gottes an jeden Menschen ohne Ausnahme ergeht, bezeichnet es Rahner als „allgemeine Offenbarung“. Das wäre die im ursprünglichen Woht- sinn zu bezeichnende, „katholische“ Offenbarung. Und so gefaßt ist sie ohne Zweifel uneingeschränkt universal. Rahners Theorie ist nicht unumstritten, man hält ihm entgegen, daß er damit das geschichtliche Jesus-Ereignis bagatellisiere.

Rahner kann sich aber, ohne damit in die Diskussion eintreten zu wollen, mit seiner These auf das II. Vatikanische Konzil berufen. Eine Stelle aus der Kirchenkonstitution (Lumen gentium Nr. 16) führt uns in die Nähe einer solchen These:

„Die göttliche Vorsehung verweigert das zum Heil Notwendige auch den Menschen nicht, die ohne Schuld noch nicht zur ausdrücklichen Anerkennung Gottes gekommen sind, die jedoch, nicht ohne die göttliche Gnade, ein rechtes Leben zu führen sich bemühen. Was sich nämlich an Gutem bei ihnen findet, wird von der Kirche als Vorbereitung für das Evangelium und als Gabe dessen geschätzt, der jeden Menschen erleuchtet, damit er das Leben habe.“

Schon etwas aufregender ist aber ein Passus in der Pastoral- konstitution „Die Kirche in der Welt von heute“ (Nr. 22): „Da Christus für alle gestorben ist, und da es in Wahrheit nur eine letzte Berufung des Menschen gibt, die göttliche, müssen wir festhalten, daß der Heilige Geist allen Menschen die Möglichkeit anbietet, diesem österlichen Geheimnis (von Tod und Auferstehung Jesu) in einer Gott bekannten Weise verbunden zu sein.“

Auch vom Atheisten sagte das Konzil, daß er auf eine Gott (nicht unbedingt auch den Theologen) bekannte Weise, die über sein ewiges Schicksal entscheidet, in das fundamentale Mysterium des christlichen Glaubens und Lebens in das Heilsereignis von Kreuz und Auferstehung einbezogen sei.

Es ist daher Lehre der Kirche selber, daß aus dem universalen Anspruch, aus der katholischen Wesensbestimmung des Christentums eine Grenzüberschreitung folgt, die sich auf Dauer durch niemanden und nichts aufhalten läßt: Die Überschreitung und Aufsprengung der Grenzen von Rassen und Klassen, von Geschlecht, Sprache, Nation, ja so-

gar der Religion und der Are- ligiosität, das heißt der vermeinten Gottlosigkeit. Gott läßt den Menschen nicht los. Er ist zuerst da und er ist von sich aus, soweit es auf ihn ankommt, nur das Ja zum Menschen, nicht das Nein.

Das Christentum ist Offenbarungsreligion. Und Offenbarung des einen Gottes aller Menschen ist gleichbedeutend mit der angedeuteten Grenzüberschreitung. Durch Jesus von Nazareth und sein Evangelium ist es offenkundig geworden, was von Anfang an angelegt war in der Welt und in jedem Menschen.

Evangelische Theologen von heute, zum Beispiel Eberhard Jüngel und Jürgen Moltmann, stellen die These auf, wahre Gotteserkenntnis erschließe sich nur im Glauben an Jesus Christus. Oder wer Gott wirklich ist, das erfahre allein der Glaubende in der Konfrontation mit jenem Ereignis, in dem Gottes eigentliche und einzige Offenbarung für uns beschlossen ist, im Kreuzestod Jesu.

Die Theologia crucis war bereits Luthers Programm, und die Kreuzestheologie wird heute mit Entschiedenheit erneuert. Das ist ohne Zweifel große christliche Theologie. Sie geht ins Zentrum des christlichen Glaubens: in das Paradox und den Skandal der Botschaft vom Kreuz. Demnach ist durch das entehrende Scheitern eines zum Tod Verurteilten und Hingerichteten das Heil, das ewige Heil aller Menschen begründet und erwirkt worden.

Der ewige Gott hat nicht durch Weisheit, wie sie die Griechen suchten, und nicht durch Machttaten, wie sie die Juden verlangten, die Welt und uns Menschen gerettet, sondern durch die törichte und widersinnige Ohnmacht eines Außenseiterschicksals. Gott hat sich mit dem Kreuzestod Jesu identifiziert. Wer sich darauf ein lasse, der erfahre: wer Gott ist und wie Gott es mit der Welt meint, mit mir und meinem Leben.

In diesem Zusammenhang erhebt sich aber die Frage: Darf es aber damit christlicherseits sein Bewenden haben, die Botschaft vom Kreuz in einer kühnen Ausschließlichkeit zu Gehör zu bringen? Verlangt nicht auch gerade diese unerhörte Botschaft nach einer menschlichen Vermittlung? •

Es ist einerseits die Größe der reformatorischen Theologie, daß sie sich auf das Wesentliche des Christentums, auf das Wort vom Kreuz konzentriert; es ist ihre Grenze und Gefahr, daß sie dies mit einer Exklusivität des Glaubenssprunges tut, welche die menschliche Vermittlung verweigert.

Es ist andererseits die Größe katholischen Denkens und Lebens, daß es den ganzen Menschen mit kritischem Verstand und mit seinem nach Kultfeier begehrenden Gemüt in den lebenslangen Prozeß des Christwerdens einholen will. Es ist seine Grenze und Gefahr, daß sich darüber unversehens die Gewichte verschieben können.

Die einen stehen ein für die Reinheit des Evangeliums, die strenge Identität des christlichen Glaubens, den anderen liegt die katholische Fülle, die möglichst weite und volle menschliche Bedeutung des Christentums am Herzen. Was bleibt, ist der Wunsch, daß wir einander ergänzen und vollenden, soweit das uns Menschen gegeben ist. Ich bin der Meinung, daß ein inklusiver christlicher Universalismus den christlichen Bekenntnissen gemeinsam aufgegeben ist.

Referatsauszug aus der Ring-Vorlesung „Auf Gottes Spuren in Österreich — Religion und Kultur an Zeitenwenden“ im Internationalen Kulturzentrum Wien, der gleichnamige Sammelband wird im kommenden Frühjahr im Verlag Herold erscheinen.

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