"Ihr werdet wie Gott"

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Diese Worte der Verführung durch die Schlange im Paradies sind auch von christlichen Theologen und vom kirchlichen Lehramt zu hören.

Die Frage der Inkulturation des Christentums in die hellenistische Welt rückt in letzter Zeit vermehrt in den Blickpunkt, nicht zuletzt durch den gegenwärtigen Papst. Vor einigen Monaten hat in der Furche Paul Weß als kritischer Fragensteller dazu Kontroverses formuliert. Nachstehender Beitrag des Autors versteht sich als weiterer Mosaikstein in dieser Auseinandersetzung. red

Nach dem biblischen Schöpfungsbericht hat Gott dem Menschen im Paradies verboten, vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse zu essen (Genesis 2,17). Mit "Erkennen" ist hier nicht nur das geistige Wissen um Gut und Böse gemeint, das die Voraussetzung jedes moralischen Verhaltens ist. Ohne dieses Erkennen wüsste der Mensch nicht einmal, dass die Gebote Gottes einzuhalten sind, hätte er also nicht sündigen können. Ebenfalls unrichtig ist die Annahme, dass der Mensch erst durch die Sünde seine Freiheit entdeckt hätte; denn ohne Freiheit gibt es keine Sünde.

"Erkennen" heißt hier vielmehr "ein Urteil fällen, entscheiden", wie man von Richtern in der Justiz oder Schiedsrichtern im Sport sagt, dass sie "erkennen auf …" Gemeint ist ein "Definieren von Gut und Böse". Ein solches "Beurteilen" steht dem Menschen nicht zu, weil ihm mit seinem Dasein eine Wertordnung vorgegeben ist, die er allerdings in heutiger, evolutiver Sicht erst mühsam entdecken muss. Falls er selbstherrlich die Maßstäbe von Gut und Böse setzt, zerstört er das Leben und die Liebe, die Beziehung zu Gott und die Gemeinschaft der Menschen und geht daran zugrunde.

Doch der Mensch steht auf Grund seiner Lebensangst in der Versuchung des Misstrauens gegenüber dem vorgegebenen Dasein und damit gegenüber Gott als dessen Grund. Diese Versuchung wird durch die Schlange symbolisiert, liegt aber in ihm. Sie verleitet dazu, sich selbst an die Stelle Gottes zu setzen, um das Leben und die Liebe zu beherrschen, sie in den Griff zu bekommen, also zu "sein wie Gott" (Gen 3,5). Das ist und bleibt in biblischer Sicht für den Menschen unmöglich und tödlich. Daher sagt Gott nicht bloß: Du musst warten, bis ich dir von diesem Baum zu essen gebe.

Östliche Erlösungslehre

Die griechischen Kirchenväter jedoch hielten von ihren hellenistischen Verstehensvoraussetzungen her ein Wie-Gott-Werden der Menschen nicht nur für möglich, sondern sahen darin das Ziel der Erlösung und den Sinn einer Menschwerdung Gottes. Demgemäß wurde von Jesus Christus angenommen, dass er als Mittler zwischen Gott und den Menschen beiden Sphären angehören musste, um sie vereinen zu können. Von ihm sagt Athanasius von Alexandrien: "Er ist also nicht, da er Mensch war, später Gott geworden, sondern da er Gott war, später Mensch geworden, um vielmehr uns zu Göttern zu machen." Vergöttlichung wurde in der frühen Kirche als Ziel der menschlichen Sehnsucht aufgefasst und diente auch als Argument für die Gottheit Christi; denn nur wer Gott ist, kann vergöttlichen (wobei die Vergöttlichung ihrerseits wieder mit der Gottheit Christi begründet wurde - eigentlich ein Zirkelschluss).

Nach den Worten des Gregor von Nyssa wird durch diese Vergöttlichung "aus einem Sterblichen ein Unsterblicher, aus einem Befleckten ein Reiner, aus einem Hinfälligen ein Ewiger und aus einem Menschen völlig Gott". Dabei ist allerdings zu beachten, dass die griechischen Theologen in dieser Vergöttlichung ein gnadenhaftes Geschenk Gottes sahen, das dem Menschen nicht zusteht und aus ihm keinen Gott von Natur aus macht sowie von sittlichen Voraussetzungen abhängt. So schreibt der Theologe Maximus Confessor, dass jeder, "der durch seine Weisheit in sich Gott Mensch werden lässt, seine eigene Verwandlung in Gott auf Grund der Gnade erfährt" und dadurch "das wird, was auch Gott ist, mit Ausnahme der Wesensidentität". Es handelt sich nicht um ein Gott-Werden aus eigener Kraft, sondern um ein Wie-Gott-Sein, ein Gott-gleich-Sein aus Gnade. Aber auch dies widerspricht der Bibel.

Im Westen übernommen

Augustinus führte diese östliche Vergöttlichungslehre auch im Westen ein: "Wenn wir zu Söhnen Gottes gemacht werden, sind wir auch Götter geworden; doch dies geschieht [bei uns] aus der Gnade, die adoptiert, nicht [wie bei Christus] aus der Natur, die zeugt." Aber diese Lehre hat bis vor kurzem in der Frömmigkeit des Westens - außer bei einigen Mystikern - nicht richtig Fuß gefasst. Hier stand die Vorstellung der Erlösung durch den Sühnetod Christi im Vordergrund. Die "heiligmachende Gnade" wurde als Mittel der Sündenvergebung und Rechtfertigung verstanden.

In neuerer Zeit wird die Gnade auch im Westen als Beziehungsgeschehen zwischen Gott und den Menschen gesehen, dabei aber die Theologie der griechischen Kirchenväter übernommen. So schreibt Joseph Ratzinger: "Der Mensch will Gott sein … Er will es und hat darin letztlich nicht unrecht, aber er will es in der Weise des Prometheus … Der Mensch kann, Gott' werden, aber nicht dadurch, dass er sich dazu macht …" (Eschatologie, 63). Noch deutlicher sagt es Karl Rahner: "Es ist dem Christen verboten (einziges Verbot, das ganz ernst genommen werden muss), sich mit weniger als der unendlichen Fülle Gottes zu begnügen …" (Schriften 14, 13). An die Stelle des biblischen Verbots, wie Gott werden zu wollen, tritt so als wichtigstes Verbot, nicht unendlich werden zu wollen wie Gott.

Im Anschluss an Nietzsches Satz "Wenn es Götter gäbe, wie hielte ich's aus, nicht Gott zu sein" schreibt Gisbert Greshake: "Das Seinwollen wie Gott … entspringt tiefstem Sehnen des menschlichen Herzens. … Der Mensch darf und soll werden wie Gott, aber nicht auf Grund eigenmächtigen Zugriffs, zu dem die, Schlange' in Gen 3 ermutigt …" (Der dreieine Gott, 536). Hier wird die biblische Erzählung umgedeutet: Der Mensch darf wie Gott werden wollen, sofern er es als Gnade annimmt. Die Frage bleibt offen, warum der Mensch noch eigenmächtig auf etwas zugreifen sollte, was ihm ohnehin schon geschenkt wurde (zumal er es dadurch noch verliert).

Vom Lehramt vertreten

Im Katechismus der Katholischen Kirche wird unter Berufung auf Athanasius und Thomas von Aquin die Vergöttlichung als Ziel der Menschwerdung Gottes erklärt (Nr. 460). Dabei spielt der Priester eine besondere Rolle. So sagt der Katechismus mit den Worten des Gregor von Nyssa (Nr. 1589): "Der Priester … erneuert die Schöpfung … und, was das Erhabenste ist, wird vergöttlicht und soll vergöttlichen." Auf der Vergöttlichung beruht auch die Lehre, dass die Kirche - durch das Lehramt des Papstes und der Bischöfe - an der göttlichen Unfehlbarkeit teilhat (Nr. 889-891). Damit wird dann wieder die Unfehlbarkeit und Unkorrigierbarkeit der Lehre von der Unfehlbarkeit und aller Dogmen begründet - ein verhängnisvoller Zirkelschluss.

In dem Apostolischen Schreiben Orientale lumen von Papst Johannes Paul II. (1995) wird die Theologie der Vergöttlichung als eine "Errungenschaft" aller orientalischen Kirchen bezeichnet (Nr. 6) und als Beispiel dafür der Theologe Nikolaus Kabasilas zitiert (Anm. 15): "Eingepflanzt in Christus, werden die Menschen göttlich und Kinder Gottes, … der Staub ist zu solcher Herrlichkeit emporgewachsen, dass er nunmehr an Ehre und Göttlichkeit der göttlichen Natur gleich ist'." Im Interesse der angestrebten Vereinigung mit den orthodoxen Kirchen treten offensichtlich alle Bedenken gegenüber der Lehre eines (geschenkten) Wie-Gott-Seins zurück. Doch der Mensch kann nicht wie Gott werden, weil ein göttliches Geschöpf ein Widerspruch in sich ist.

Jesus sündigte nicht

Als Gegenbeispiel zum Sündenfall der ersten Menschen im Paradies wird im Neuen Testament das Verhalten Jesu bei der Versuchung in der Wüste geschildert. Wie dort die Schlange ist hier der Teufel eine Symbolfigur für die satanische Einflüsterung im eigenen Inneren, wie Gott sein zu wollen und sich anbeten zu lassen. Gerade Jesus mit seiner Sendung und Vollmacht im Namen Gottes war dieser Anfechtung ausgesetzt (so wie ein Statthalter versucht sein kann, die Stelle des Königs einzunehmen). Doch er ließ sich nicht verführen, er wollte nicht wie Gott sein, sondern folgte dem Gebot "Vor dem Herrn, deinem Gott, sollst du dich niederwerfen und ihm allein dienen" (Mt 4,10). Er lehnte es ab, sich wie Gott anbeten zu lassen.

So hat Jesus als der zweite oder neue Adam im Gegensatz zum ersten Adam der Versuchung widerstanden, die sich aus seiner Berufung zum "geliebten Sohn" Gottes ergab, die Gottes Geist bei seiner Taufe kundtat. Er ist der Erste und der Anführer aller, die "aus Gott geboren sind" (Joh 1,13). In diesem Sinn ist er der "einzigartige" und "auserwählte" (Lk 9,35), aber nicht der "einziggeborene" Sohn Gottes (vgl. Furche 51-52/2006, S. 12, und 4/2007, S. 11). Wenn die Bibel Grundlage der kirchlichen Lehre sein soll, muss sich die Kirche fragen, ob sie nicht bei ihrer Inkulturation in die hellenistische Welt anders als Christus der Versuchung, insgeheim wie Gott sein zu wollen, nachgegeben hat. Dann wäre eine Umkehr nötig.

Der Autor ist Universitätsdozent für Pastoraltheologie an der Universität Innsbruck.

Weiteres zum Thema trägt Paul Weß als kritische Rückfrage zu Joseph Ratzingers/Benedikts XVI. Jesus-Buch bei, die in einem eben erschienen Sammelband zu finden ist:

"JESUS VON NAZARETH" kontrovers

Rückfragen an Joseph Ratzinger

Mit Beiträgen von Kardinal Karl Lehmann, Kardinal Christoph Schönborn, Adolf Holl, Klaus Berger, Karl-Heinz Ohlig, Paul Weß u. a. LIT-Verlag, Berlin 2007. 162 Seiten, brosch., € 17,90

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