Schwierige Aufgaben des neuen Papstes

Werbung
Werbung
Werbung

Benedikt XVI. schloss inhaltliche Korrekturen der bisherigen kirchlichen Lehre grundsätzlich aus. Ohne solche lassen sich aber die Herausforderungen des Glaubens nicht beantworten.

Joseph Ratzinger wurde allem Anschein nach zum Papst gewählt, weil die Kardinäle wussten, dass er als enger Vertrauter von Papst Johannes Paul II. dessen Positionen vertritt, und weil sie hofften, dass er als großer Theologe und langjähriger Präfekt der Glaubenskongregation auf die Herausforderungen der Kirche durch das säkulare Denken der Neuzeit, auf die Religionskritik der Aufklärung, auf den Atheismus und Agnostizismus der Moderne die nötigen Antworten geben kann und wird. Er hat mit aller Kraft versucht, diesen Erwartungen gerecht zu werden, hat neben seiner Tätigkeit als allein letztverantwortlicher Leiter einer Weltkirche, neben den vielen Audienzen, Ansprachen und Reisen, noch Bücher geschrieben, die zu Bestsellern wurden.

In seiner Predigt als Dekan des Kardinalskollegiums in der Messfeier am Beginn des Konklaves, in dem er zum Papst gewählt wurde, sagte Joseph Ratzinger am 18. April 2005 zur geistigen Situation: "Es entsteht eine Diktatur des Relativismus, die nichts als endgültig anerkennt und als letztes Maß nur das eigene Ich und seine Gelüste gelten lässt. Wir haben jedoch ein anderes Maß: den Sohn Gottes, den wahren Menschen.“ Demnach gäbe es als Alternativen nur den Relativismus, für den alles gleich gültig ist, oder einen Wahrheitsanspruch, der auf der gottmenschlichen Autorität Jesu beruht. Genügt diese Begründung des Glaubens in einer kritisch denkenden Moderne? Gibt es nicht zwischen einem Relativismus einerseits und einem göttlichen Absolutheitsanspruch andererseits eine große Bandbreite mühsamer Annäherung an die Wahrheit (vgl. Paul Weß, Glaube zwischen Relativismus und Absolutheitsanspruch, 2008) und was ist dafür erforderlich?

Nichtfundamentalistische Begründung

Mit der Berufung auf Jesus Christus als Gott rechtfertigte Benedikt XVI. den Glauben auch auf der 5. Generalversammlung des lateinamerikanischen Episkopats im Mai 2007: "Nur wer Gott kennt, kennt die Wirklichkeit und kann auf angemessene und wirklich menschliche Weise auf sie antworten. […] Aber sogleich erhebt sich die weitere Frage: Wer kennt Gott? Wie können wir ihn kennenlernen? […] Für den Christen ist der Kern der Antwort einfach: Nur Gott kennt Gott, nur sein Sohn, der Gott von Gott, wahrer Gott ist, kennt ihn. Und er, ‚der am Herzen des Vaters ruht, hat Kunde [von ihm] gebracht‘ (Joh 1,18). Daher rührt die einzige und unersetzliche Bedeutung Christi für uns, für die Menschheit. Wenn wir nicht Gott in Christus und durch Christus kennen, […] gibt es weder Leben noch Wahrheit.“

Eine solche Begründung des Glaubens an Gott ist fundamentalistisch, sie beruft sich auf eine Offenbarung Gottes selbst in Jesus Christus, die durch Bibelzitate und deren lehramtlicher Auslegung nachgewiesen sei. Das ist ein logischer Zirkelschluss: Weil sich in der Person Jesu Christi Gott selbst geoffenbart habe und diese Offenbarung in der Heiligen Schrift und der Lehre der Kirche unter göttlicher Führung unfehlbar weitergegeben worden sei, stimme auch, dass es sich hier um göttliche Wahrheit handelt, wie diese Quellen von sich sagen. Mit dem gleichen Recht könnte der Islam vom Koran behaupten, dass dieser die göttliche Wahrheit beinhaltet, wie in ihm steht.

Korrekturen der bisherigen Lehre

Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. betonte zwar stets, so auch in seiner Vorlesung in Regensburg im Jahr 2007, dass der Glaube vernunftgemäß sei. Er beruft sich dabei aber wieder auf die Bibel (Joh 1,1): "Im Anfang war das Wort“, wobei er dieses "Wort“, das "Gott ist“, mit "Vernunft“ gleichsetzt und dem Menschen die Fähigkeit zur Einsicht in diese göttliche Vernunft zuspricht. Dabei setzt er eine bestimmte Philosophie voraus, eine idealistische Metaphysik, deren Berechtigung er wiederum damit begründet, dass sie der in ihrem Sinn interpretierten Offenbarung entspricht. Dieser Zirkelschluss findet sich auch in der Enzyklika "Glaube und Vernunft“ Johannes Pauls II. (1998): Das Lehramt sagt, welche Philosophie die wahre ist: jene, die den Glauben bestätigt. Daher ist eine bessere kritische Begründung des Glaubens nötig (nach Joh 7,17). Sie wird von einer kirchlichen Praxis ausgehen müssen, die von der Liebe Gottes Zeugnis gibt (vgl. Paul Weß, Glaube aus Erfahrung und Deutung, 2010). Ein neues Glaubensverständnis gibt es aber nicht ohne Änderungen in der geltenden Lehre.

In seiner Weihnachtsansprache an die Mitglieder der Kurie im Jahr 2005, in dem er zum Papst gewählt worden war, erklärte Joseph Ratzinger, dass das II. Vatikanum im Sinn einer "Reform in Kontinuität“ ausgelegt werden muss, dass es also keine Änderungen am Sinn und Inhalt der kirchlichen Lehre gebracht hätte. Das entspricht auch der Eröffnungsrede des Konzils von Johannes XXIII., der nur an eine bessere, zeitgemäße Formulierung der überlieferten Lehre gedacht hatte. Das Konzil hat dann zwar auch inhaltliche Korrekturen vorgenommen, etwa bezüglich der Religionsfreiheit und der Heilsmöglichkeit auch für Nichtkatholiken, aber diese nicht als solche eingestanden. Keine Korrekturen gab es bezüglich der hierarchischen Struktur der Kirche, auch der Primat des Papstes über alle Hirten und Gläubigen wurde nochmals fixiert.

Ohne weitere inhaltliche Korrekturen, die Benedikt XVI. grundsätzlich ausschloss, lassen sich aber die Herausforderungen des Glaubens durch die kritische Moderne nicht beantworten. Das betrifft schon die Unfehlbarkeitslehre selbst, aber auch die Frage der Irrtumslosigkeit der Bibel, das Verhältnis von Lehramt und dem Glaubenssinn der Gläubigen, dogmatische und moralische Fragen sowie die kirchlichen Strukturen. Karl Rahner rechnete mit der Notwendigkeit einer "erheblichen Revision früherer kirchenamtlicher (authentischer) Erklärungen“, die Veränderungen bringen wird, "die wir uns heute noch kaum vorstellen können“. Er hielt es für möglich, an die Zäsur beim Übergang vom Judenchristentum zum Heidenchristentum zurückzugehen und von da aus "mit einer paulinischen Kühnheit“ neue Inkulturationen des Christentums zu wagen, nachdem dieses "als westliche Exportware faktisch bisher bei den Hochkulturen des Ostens und in der Welt des Islams nicht angekommen ist“. Man wird ergänzen müssen: Auch in die moderne, metaphysikkritische Welt des Westens müsste der christliche Glaube neu inkulturiert werden.

Kollegiale Entscheidungsstrukturen

Die erste inhaltliche Korrektur in der Kirche müsste aber ihre eigene Struktur betreffen, in der die notwendigen Entscheidungen getroffen werden sollen. Denn diese ist derzeit dogmatisch so festgelegt, dass allein der Papst das letzte Wort und damit auch die letzte Verantwortung hat. Das ist nicht nur eine totale Überforderung des Amtsträgers, sondern steht auch im Widerspruch zum Wesen des Neuen Bundes, nach dem Gott das Gesetz in das Herz der Menschen geschrieben hat und "keiner mehr den anderen belehren muss“ (Jer 31,34). Im Artikel 1 des Dekrets über die Religionsfreiheit des letzten Konzils heißt es: "Und anders erhebt die Wahrheit nicht Anspruch als Kraft der Wahrheit selbst, die sanft und zugleich stark den Geist durchdringt.“ Diese Einsicht muss in der Kirche erst noch umgesetzt werden.

Das erfordert allerdings, dass die Christen in den Gemeinden, die Gemeinden in den Diözesen, die Ortskirchen in den Bischofskonferenzen und die Vorsitzenden der Bischofskonferenzen zusammen mit dem Papst im Konsistorium einmütig werden, wie es in dem Konflikt beim Apostelkonzil gelungen ist. Mehrheitsentscheidungen sind dabei nur zulässig, wenn alle jedes der möglichen Ergebnisse mit ihrem Gewissen vereinbaren können. Die leitenden Personen haben die Aufgabe, Zeichen und Werkzeug der Einheit zu sein. Auch der Papst kann also nicht allein die letzte Entscheidung treffen, er kann aber auch nicht gegen das eigene Gewissen überstimmt werden. Das wäre die Synthese des personalen und des kollegialen Prinzips in der Kirche. Nur auf diesem Weg sind die Reformen denkbar, die derzeit in der Kirche anstehen, in einer "Welt, die sich so schnell verändert“ und "heute durch Fragen, die für das Leben des Glaubens von großer Bedeutung sind, hin- und hergeworfen wird“ (so Benedikt XVI. in seiner Rücktrittsankündigung).

Der Autor ist Dozent für Pastoraltheologie

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung